Mitgliederversammlung der "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften" (GWUP)

Showdown bei den Skeptikern

image001.jpg

Die Mitgliederversammlung der GWUP 2023.
Die Mitgliederversammlung der GWUP 2023.

Es wird spannend: Auf der Mitgliederversammlung der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) kommt es nach einem Jahr öffentlichen Streits, noch längeren internen Debatten und zahlreichen Austritten prominenter Mitglieder zum Showdown. Am 11. Mai wird die Frage geklärt, ob es für die Skeptikerinnen und Skeptiker in Deutschland bestimmte Themenfelder geben soll, zu denen man sich mit kritischen Fragen oder Stellungnahmen besser zurückhält. Oder ob alles, wirklich alles, was Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, überprüft und gegebenenfalls als Pseudowissenschaft entlarvt werden soll – unabhängig davon, ob jemand lobenswerte Ziele verfolgt und wen man vor den Kopf stößt.

Manifestieren wird sich die Entscheidung darüber in der Neuwahl des Vorstands. Und wenn sich danach der Staub gelegt hat, wird ein Teil der Mitglieder die Organisation verlassen. Denn eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen, aus denen die Kandidatinnen und Kandidaten für den Vorstand kommen, kann man sich auf beiden Seiten nicht mehr vorstellen. In der SZ kündigte der gegenwärtige Vorstandsvorsitzende Holm Hümmler den Austritt von etlichen Mitgliedern an, sollten er und sein Team nicht siegen. Vorstandsmitglied André Sebastiani und seine Mitstreiter überlegen für den Fall einer Niederlage, eine eigene Skeptikerorganisation zu gründen.

Um vor der Wahl noch einmal klar zu zeigen, wofür man steht, haben beide Gruppen jüngst Broschüren veröffentlicht, in denen die Kandidatinnen und Kandidaten sich und ihre Pläne vorstellen.

Aufschlussreich ist allerdings vorweg der Jahresbericht für die Mitglieder aus der Feder des Vorstandsvorsitzenden. Hümmler lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, seine Gegner zu attackieren. Eine "sehr lautstarke Gruppe innerhalb des Vereins" habe sich geweigert, die demokratische Entscheidung der Mitgliederversammlung 2023 anzuerkennen, habe den Vorstand zum Rücktritt aufgefordert und die vereinseigenen Social Media-Kanäle genutzt, um gegen ihn zu agitieren. Die Hintergründe diskutiert Hümmler hier nicht, er deutet sie nur an. Aber da der Konflikt "in die Öffentlichkeit getragen" wurde, wie der Vorsitzende ebenfalls kritisiert, lässt sich etwa in Artikeln auf den Seiten des hpd, dem kürzlich erschienenen Artikel in der Süddeutschen Zeitung sowie bei verschiedenen Blogs und YouTube-Videos herausfinden, woher der Zorn seiner Kritiker rührt. Und so erfährt man zum Beispiel, dass die Rücktrittsforderung an den neuen Vorstand vom Wissenschaftsrat stammte, einem nicht ganz unbedeutenden Gremium in der GWUP.

Postmoderne Ansätze

Zum eigentlichen Kern des Konflikts kommt Holm Hümmler in einem Nebensatz: Vereinsinterne Akteure hätten versucht, "die GWUP gegen moderne Richtungen der Geistes- und Sozialwissenschaften zu positionieren". Gemeint sind die sogenannten Critical Studies, Fachbereiche wie etwa die Gender Studies, Queer Studies, Critical Race Theory, Identitätspolitik, Intersektionalität, Post Colonial Studies, Fat Studies. Dass Hümmler hier von "modernen Richtungen" schreibt, ist ziemlich aufschlussreich. Denn: Diese Fachbereiche sind zwar relativ neu. Sie zeichnen sich aber vor allem dadurch aus, dass sie gerade nicht "modern" sind, sondern "postmodern". Ihnen zugrunde liegen Vorstellungen von Theoretikern wie Michel Foucault und Judith Butler. Damit gehören diese Fächer zu jener Denkschule, von der der jüngst verstorbene Philosoph Daniel Dennett sagte, sie habe sich mit der Behauptung, "Es gibt keine Wahrheiten, nur Interpretationen", weitgehend in die Absurdität verabschiedet, und habe "eine Generation von Akademikern in den Geisteswissenschaften zurückgelassen, die sich aufgrund ihres Misstrauens gegenüber der eigentlichen Idee der Wahrheit und ihrer Respektlosigkeit gegenüber Beweisen selbst behindert" und "sich mit 'Konversation' zufrieden gibt, in der niemand falsch liegt und nichts bestätigt werden kann". (Edge, 09.10.2013) Charakteristisch für das postmoderne Weltbild ist zudem die Unterstellung, letztlich alle Strukturen in unseren Gesellschaften hingen mit Macht, Unterdrückung, Privilegien und Sprache zusammen beziehungsweise davon ab. Und die Wissenschaft – genauer: Erkenntnisgewinn mittels "westlicher" oder "europäischer" wissenschaftlicher Methoden – ist nur ein Instrument der Mächtigen – genauer: der weißen, heterosexuellen Männer.

Einer zunehmenden Zahl von Aktivistinnen und Aktivisten gelingt es inzwischen, die postmoderne Beliebigkeit von Wahrheit und den Verzicht auf Beweise reibungslos mit der Überzeugung zu kombinieren, man wisse genau, was richtig und was falsch ist. Die Forderung und der Anspruch, besonders sensibel für jegliche Form von Diskriminierung zu sein – kurz woke – hat dazu geführt, dass ihre Haltung in der Gesellschaft als "Wokeness" bezeichnet wird. Rechte und Rechtsextreme verwenden den Begriff häufig herabwürdigend. Von Seiten etlicher Linker und Wissenschaftler kommt dagegen inhaltliche Kritik an den fragwürdigen Prämissen, wackligen Grundlagen und negativen Effekten von Wokeness. Diese Kritik kommt auch von GWUP-Mitgliedern. Darauf spielt Hümmler an, wenn er schließlich erklärt, die Zusammenarbeit mit einigen externen Gruppen sei gescheitert auch wegen "als rechtslastig wahrgenommener Äußerungen". Nicht deren Inhalt war für Hümmler demnach entscheidend, sondern das Urteil von Menschen, die offenbar nicht so genau zugehört hatten. Denn wer sich die YouTube-Videos auf dem Kanal "The Boys of Reason" anschaut, die Hümmler und seinen Kreis getriggert haben, findet dort keine Spur von "rechts". Eine solche Verbindung steckt also lediglich in genau diesen Vorwürfen.

Hümmler kippt hier Öl ins Feuer, denn – wie Johannes C. Zeller im Sceptical Inquirer schreibt – solche Äußerungen seien bereits zuvor als Versuch wahrgenommen worden, "alle, die öffentlich die Critical Studies kritisieren, mit einer solchen [rechten, d.Red.] Ideologie in Verbindung zu bringen, selbst wenn sie sich eindeutig nicht damit identifizieren." Zeller zufolge haben sich einige von Hümmlers Unterstützern auf der internen Mailingliste sogar dazu aufgeschwungen, von dessen Herausforderer André Sebastiani eine Distanzierung vom Rechtsextremismus und der AfD zu fordern. Manche würden in einer solchen Aufforderung den bösartigen Versuch sehen, Sebastiani unfairerweise als Rechten zu diffamieren. Was auch sonst, angesichts früherer öffentlicher Stellungnahmen Sebastianis, der übrigens Mitglied im eher linken Bremer SPD-Landesvorstand ist?

Wie geht es weiter?

Wie soll es nun mit der GWUP weitergehen, wenn Hümmler und sein Team die Richtung bestimmen, und welche Vorstellungen hat die Gruppe um Sebastiani von der Zukunft der deutschen Skeptiker? Wenig überraschend ist, dass beide Gruppen in ihren Wahlbroschüren betonen, für "Wissenschaft, Skeptizismus" (Team Hümmler) oder "wissenschaftlichen Skeptizismus" (Team Sebastiani) zu stehen und kritisches Denken fördern zu wollen. Auch gehört es heute dazu, zu betonen, man wolle "inklusiv" sein und "Diversität" fördern. Sollte sich die versprochene Vielfalt allerdings auf die Untersuchungsgebiete beziehen, ist man wieder genau an dem Punkt, an dem sich die Geister scheiden: Wird die GWUP über die klassischen Bereiche wie Homöopathie und andere Paramedizin, Verschwörungsmythen oder Astrologie hinaus weitere Gebiete kritisch erkunden? Und wenn ja, welche? Oder besser: welche nicht?

Das entscheidende Statement des Teams Hümmler dazu sollte der Fairness halber vollständig vorgestellt werden:

"Wir wollen keine ganzen Wissenschaftszweige aufgrund der Extrempositionen einzelner Protagonisten delegitimieren, sondern arbeiten streng auf Basis der Faktenlage. Wir beziehen dabei keine politische Position, sondern geben den wissenschaftlichen Stand wieder. Einseitige Äußerungen und Positionierungen im Namen des Vereins zu politischen Themen bei noch unklarer Faktenlage oder geringer empirischer Zugänglichkeit sind nicht nur für den Vereinsfrieden extrem schädlich, sondern öffnen den Skeptizismus auch einer gewissen Beliebigkeit. Eine Positionierung bei unklarer Faktenlage ist mithin geradezu das Gegenteil der wissenschaftlichen Redlichkeit, die den guten Ruf der GWUP als Institution der Bildung und Aufklärung ausmacht. Fragen sollen durchaus aufgeworfen werden und Themenbereiche weiter beobachtet, in welche Richtung sie sich entwickeln."

Der "Wissenschaftszweig", den Team Hümmler in Schutz nehmen will, muss der Bereich der Critical Studies sein, denn den Sozial- oder Geisteswissenschaften insgesamt hat in der GWUP bislang wohl kaum jemand die Existenzberechtigung abgesprochen. Weil es Team Hümmler so wichtig ist, sich nicht mit den Critical Studies anzulegen, wiederholen sie ihren Standpunkt gleich noch einmal mit etwas anderen Worten – und wenden sich dann dem Begriff woke zu: Die GWUP kümmere sich nicht um religiöse Aussagen über Moral, Ethik und Tradition, weil diese nichts mit Naturwissenschaft zu tun hätten, aber angeblich blutende Madonnen und Wunderwasser könnten naturwissenschaftlich untersucht werden.

"Ähnlich sollte mit den Critical Studies und dem nebulösen Vorwurf des 'Wokeismus' umgegangen werden. Die kritische Betrachtung unwissenschaftlicher Behauptungen oder Vorgehensweisen in konkreten Publikationen oder durch einzelne Forschende dieser Disziplinen sind selbstverständlich mit dem Vereinsziel der GWUP vereinbar. Die pauschale Ablehnung ganzer Wissenschaftszweige oder unscharf beschriebener gesellschaftlicher Strömungen hingegen sollte kein Kernthema der GWUP sein. Titel wie 'Das Woke-Phänomen – Angriff auf die Wissenschaft' sind bei der GWUP ebenso deplatziert, wie es 'Das Judentum – Angriff auf die Wissenschaft' wäre."

Nach der von Team Hümmler geforderten "strengen Prüfung der Faktenlage" – die übrigens alles andere als unklar ist – zeigt sich aber, dass nicht lediglich einzelne Protagonisten der Critical Studies Extrempositionen einnehmen. Vielmehr verkörpern die Critical Studies aufgrund des postmodernen Weltbildes insgesamt Extrempositionen. Dies zu ignorieren ist, als würde man darüber hinwegsehen, dass die Grundannahmen der Homöopathie gegen die Naturgesetze verstoßen. Zudem ist Kritik an den Critical Studies gar nicht möglich, ohne politische Themen zu berühren. Ihre Anhänger haben den Anspruch, Gesellschaft und Politik nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen und zu verändern. Kritik an ihnen ist unweigerlich so politisch, wie sie selbst politisch sind.

Erwünschte Polarisierung

Der Vergleich von Wokeness mit dem Judentum hat bereits zu etlichen zornigen Reaktionen geführt – womit Holm Hümmler auch gerechnet hat. In einer Sitzung mit Mitgliedern des Vereins hat er eingeräumt, dass er tatsächlich "polarisieren" wollte. Das Judentum war hier für Hümmler und sein Team also nicht einfach nur ein Beispiel für eine der Religionen, von denen die GWUP immer schon die Finger lässt. Soll die Abscheu, die ein solcher antisemitischer Titel zu Recht hervorrufen würde, auf den "Woke-Phänomen"-Titel abfärben und die Kritiker der Wokeness als ähnlich gefährlich, rechts und blöde erscheinen lassen, wie es Antisemiten sind? Ist es eine subtile Anspielung auf die Nazis, die ebenfalls von "jüdischer Wissenschaft" gesponnen haben als Gefahr für "deutschen" Erkenntnisgewinn? Der Vergleich mit der inhaltlichen Kritik an Wokeness ist jedenfalls eine Geschmacklosigkeit und Verharmlosung der Judenverfolgung.

Zudem erhebt das Judentum an sich keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Diese und andere Religionen sind keine Pseudo- oder Parawissenschaften. Die Verfechter der Critical Studies betrachten ihre Fächer dagegen als Wissenschaft, die woken Aktivisten in ihrem Kielwasser meinen, auf wissenschaftlichen Fundamenten zu stehen. Das macht sie anders als Religionen zu einem geeigneten Untersuchungsgegenstand der Skeptiker.

So jedenfalls sieht es offenbar das Team um André Sebastiani. Ihnen geht es um deutlich mehr als um Verbraucherschutz, den Hümmler und sein Team betonen. Sie wollen "explizit in die gesamte Gesellschaft hineinwirken", heißt es in ihrer Broschüre. Wenn sie sich "konsequent" auf "die Vernunft und die Werte der Aufklärung" verpflichten, ist das auch ein Statement gegen die Postmoderne und die Critical Studies, denn die Aufklärung, ihre Werte, die wissenschaftlichen Methoden, die sie von ihren Verfechtern verlangt, werden von deren Vertretern kritisiert oder abgelehnt. Eine Anspielung auf die Wokeness und die Haltung des Hümmler-Teams dürfte die Ansage sein, man weise "Ideologien, die darauf abzielen, unsere Sicht auf die Realität zu verzerren, Diskurse zu erschweren und Denk-Tabus zu etablieren", entschieden zurück. In den Debatten über die Untersuchungsgebiete dürfe es keine Dogmen und Tabus geben, über alles müsse zu streiten erlaubt sein: "Konträre Standpunkte und die Sichtweisen des sprichwörtlichen 'Advocatus Diaboli' sind Voraussetzung dafür, dass wir Debatten tiefer durchdringen, Denkfehler identifizieren und uns gemeinsam emporirren können."

Vor dem Hintergrund des heftigen Streits vor allem im vergangenen Jahr betonen Sebastiani und sein Team, "dass Menschen vor Angriffen auf ihre Person geschützt sein müssen. Bedrohungen, Beleidigungen, Mobbing, das Streuen von Gerüchten, Belästigung und Bullying haben in der GWUP keinen Platz – wir werden sie konsequent ahnden." Sicher würde Holm Hümmler alles dies auch für sich und sein Team beanspruchen. Weniger sicher ist, ob er auch diese Ankündigung seiner Gegner ohne Wenn und Aber unterschreiben würde: "Wir werden es nicht dulden, wenn einzelne Mitglieder versuchen, das Engagement anderer zu torpedieren oder zu stoppen." Auch, so ließe sich im Geiste ergänzen, wenn es um Kritik an den Critical Studies oder Wokeness geht.

Es ist richtig, schreibt Zeller, dass manche Themen der Critical Studies mit Vorliebe von rechten Populisten wie der AfD kritisiert werden. "Aber die Logik, dass man zum Extremisten wird, wenn man einfach bloß dieselben Themen diskutiert wie Extremisten, ist offensichtlich fehlerhaft und würde dazu führen, dass der gesamte Diskurs den tatsächlichen Extremisten überlassen wird." Dem kann man nur zustimmen. Eine solche Haltung ist einer Skeptikerorganisation unwürdig. Sie ist übrigens auch ein deutlicher Hinweis darauf, dass eine gewisse Wokeness tatsächlich selbst in die GWUP eingezogen ist, indem sie sich im Team Hümmler zeigt. So vorbildlich das Engagement der einzelnen Mitglieder in ihren jeweiligen Fach- und Interessengebieten ist – auch das von Hümmler und seinen Leuten –, so schädlich ist ihre Forderung, bestimmte Themen (aus Angst vor Anfeindungen) nicht oder nur mit Samthandschuhen anzufassen.

Vielleicht haben bestimmte Themengebiete der GWUP – etwa die Aufklärung von Verschwörungsmythen – eine Reihe von Menschen angelockt, die etwas Grundsätzliches nicht verstanden haben: Ein Anspruch auf Wissenschaftlichkeit lässt sich nicht nur innerhalb der Naturwissenschaften prüfen, sondern für jedes Fach, das Erkenntnisse über die Welt und das menschliche Verhalten und Miteinander gewinnen und seriöse Aussagen darüber machen will. Die Critical Studies solchen Prüfungen zu unterziehen, bedeutet einfach nur, den Job als Skeptikerin oder Skeptiker zu machen. Eine GWUP, die vor den Critical Studies kneift, wäre nicht die "alte GWUP", die Hümmler zurückhaben will, sondern eine neue, weichgespülte GWUP, in der der Skeptizismus beliebig wird, wie die Wahrheit in der Postmoderne.

Unterstützen Sie uns bei Steady!