Fünf Klarstellungen zu Fehlwahrnehmungen

(hpd) Immerhin acht Seiten schrieben Andreas Müller und Bernd Vowinkel (im Folgenden: Müller/Vowinkel) als Entgegnung auf meine nur zwei Seiten umfassenden zwölf Thesen, die ein Plädoyer für einen aufgeklärten Atheismus und gegen eine selbstgefällige Religionskritik enthielten.

Eine Entgegnung von Armin Pfahl-Traughber

Obwohl die darin formulierten Polemiken und Unterstellungen zeigen, dass die Autoren nicht unbedingt an einer sachlichen Debatte interessiert sind, soll hier zumindest im Sinne einer Klarstellung auf einige Fehlschlüsse verwiesen werden. Aufgrund deren Fülle findet nur eine Auswahl statt, ergänzt um einige kurze inhaltliche Kommentare. Beides soll nicht als Beginn eines fortwährenden Hin und Her von Kritik, Kritik der Kritik und Kritik der Kritik der Kritik verstanden werden. Einer solchen Debatte könnten dauerhaft wohl selbst die aufmerksamsten Leser nicht mehr folgen. Gleichwohl sollen einige der Ausführungen von Müller/Vowinkel in dem Text „Für eine konsequente Aufklärung" hier in Form von fünf Klarstellungen kurz kommentiert werden:

1. Eine Kritik, welche sich darauf beschränkt, die Kernaussagen des Glaubens mit ideengeschichtlichen, ideologiekritischen oder naturwissenschaftlichen Argumenten zu widerlegen, kann die historische wie weltweite Akzeptanz von Religion nicht erklären. Dazu bedarf es einer erweiterten Perspektive mit dem Focus auf deren gesellschaftlicher Bedeutung als Erkenntnis-, Identitäts-, Integrations- oder Orientierungsfaktor. Hierbei handelt es sich um eine deskriptive, nicht um eine normative Aussage. Auch völlig realitätsfremden Auffassungen wie diffusen und irrationalen Konspirationsvorstellungen kommt als ideologische verzerrte Wahrnehmung sozialer Realität eine Erkenntnisfunktion zu (Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat, Wien 1993). Diese Feststellung bedeutet keine inhaltliche Akzeptanz. Wenn demnach Müller/Vowinkel als Kritik gegenüber meinen Ausführungen darauf verweisen, dass „Religion im Vergleich zur Wissenschaft den Kürzeren zieht", dann verkennen sie mit dieser Bemerkung, dass es sich bei meinen Ausführungen um Beschreibungen und nicht um Bewertungen handelte.

2. Die Werke von Dawkins & Co. nahm ich keineswegs nur per „Reading by Title" zur Kenntnis, wovon zahlreiche ausführliche Besprechungen an verschiedenen Orten („Diesseits", „Extremismus & Demokratie" „Humanismus aktuell", „Humanistischer Pressedienst" etc.) zeugen. Bei meinen „Zwölf Thesen für einen aufgeklärten Atheismus und gegen eine selbstgefällige Religionskritik" handelte es sich um eine Kritik: Bei einer Kritik muss man aber nicht ausführlich auf das eingehen, was man nicht kritisiert. Insofern unterließ ich etwa Ausführungen zu Dawkins Widerlegungen zu rationalen Gottesbeweisen, die man übrigens so auch in jeder besseren Einführung in die Philosophie lesen kann. Darüber hinaus sei noch darauf aufmerksam gemacht, dass Dawkins in seinem „Gotteswahn" in der zitierten Aussage die Religionen für viele Konflikte in der Welt hauptverantwortlich macht, in anderen Passagen auch anderes behauptet. Dies spricht nicht für die inhaltliche Stringenz seiner Positionen, was allerdings wohl kaum einem Kritiker angelastet werden kann.

3. Über ein Verständnis von Toleranz, das die Ambivalenz oder Dialektik des damit verbundenen Begriffs genauer benennt, will ich mich hier nicht auslassen. An anderer Stelle findet sich dazu eine längere Erörterung (Toleranz braucht Grenzen. Ein Plädoyer für Kulturpluralismus und gegen Kulturrelativismus, in: Vorgänge, 46 Jg., Nr. 179, S. 110-119). Die Forderung nach einem entsprechenden Umgang mit Gläubigen schließt - und dies sei hier in Erinnerung an meine These 6 erneut hervorgehoben - nicht den Verzicht auf vehemente Kritik an Religion aus. Insofern muss auch kein Gegensatz zwischen Michael Shermers Auffassungen und Handlungen bestehen: Man kann die Auffassungen der Religiösen (grundsätzlich) kritisieren, man kann die Positionen der „Neuen Atheisten" (teilweise) kritisierten, und man kann für Toleranz gegenüber Beiden im aufgezeigten Sinne eintreten. Dies wäre übrigens auch meine Position. Es handelt sich jeweils um unterschiedliche Einstellungs- und Handlungsebenen, welche von Müller/Vowinkel nicht auseinander gehalten werden. So erklären sich möglicherweise auch eine Reihe von inhaltlichen Fehldeutungen meiner Thesen durch die Beiden.

4. Weder in These 9 noch an anderen Orten vertrat ich die Auffassung, dass sich Müller/Vowinkel oder die „neuen Atheisten" auf die Repressionspraxis eines Staates zur Überwindung des religiösen Glaubens stützten wollten. Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf der Strohmann-Argumentation fällt auf die Autoren zurück. Sie mögen die besagte These noch einmal lesen! Auffällig ist an dieser Passage übrigens, dass im Unterschied zu anderen Stellen meine Originalaussage eben gerade nicht vollständig oder teilweise zitiert wird. Vielmehr verzerrt man im Sinne einer klassischen Technik der Manipulation die ursprüngliche Aussage, um sie dann um so einfacher kritisieren zu können. Meine diesbezügliche Position forderte vielmehr eine Klarstellung: Streitet man argumentativ für die Hegemonie der Religionskritik im öffentlichen Diskurs oder beabsichtigt man die Erhebung dieses Denkens zu einer rechtlich verbindlichen Weltanschauung? Lehnen Müller/Vowinkel Letzteres ab, wie von ihnen angedeutet, besteht hier sogar ein Konsens.

5. Ihr Text endet mit der Aussage, die heutigen Konfliktlinien verliefen dort, wo sie seit „Anbeginn der Menschheit" verlaufen: u. a. auch „zwischen Wissenschaft und Religion". Diese Formulierung ist gleich aus mehreren Gründen nicht unproblematisch: Erstens entspricht sie einem manichäischen Denken, das mit seinem Gut-Böse-Dualismus formale Strukturen typisch religiöser Diskurse aufweist. Zweitens ist diese Aussage historisch schlicht falsch, bildeten sich doch Religion und Wissenschaft erst im Laufe der Evolution im Kontext des menschlichen Vermögens zu abstraktem Denken heraus. Und drittens ignoriert diese wertende Gegenüberstellung, dass im Namen der Religion auch humane (z.B. durch Bürgerrechtsbewegungen) und im Namen der Wissenschaft auch sehr inhumane Handlungen (z.B. durch Menschenversuche) vollzogen wurden. Die Geschichte, die Welt und die Wissenschaft sind komplizierter und vielschichtiger als die monokausale und unterkomplexe Sichtweise mancher „neuer Atheisten" vermuten lässt. Der Evolution sei dank!