Nach dem Aus für die Ampel-Regierung und der für Februar erwarteten Neuwahl schließt sich schon sehr bald das Zeitfenster für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Entsprechend heftig und emotional wurde gestern im Bundestag darüber diskutiert, ob es jetzt noch zu einer Neuregelung des aktuellen Paragrafen 218 kommen soll. 328 Abgeordnete unterschiedlicher Fraktionen im Bundestag wollen eben dies erreichen, bevor neue Mehrheiten nach der nächsten Bundestagswahl das Ziel womöglich in weite Ferne rücken lassen.
Bisher gilt: Eine Abtreibung ist grundsätzlich rechtswidrig. Sie ist aber nicht strafbar, wenn sie innerhalb der ersten zwölf Wochen stattfindet und die Frau sich zuvor hat beraten lassen. Ebenso straflos bleibt ein Abbruch auch, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn eine Vergewaltigung zu der Schwangerschaft geführt hat.
Kritik der Abgeordneten, die eine sofortige Reform verlangen
Weil der Schwangerschaftsabbruch als rechtswidrig gilt, wird die medizinische Versorgung beeinträchtigt. Denn die Teilnahme an der Durchführung von Abtreibungen bleibt für das medizinische Personal eine Mitwirkung an einem gesetzlich rechtswidrigen Verfahren. Was wiederum dazu führt, dass sich nicht ausreichend Ärztinnen und Ärzte finden, die einen Abbruch vornehmen. Die geltende Zwölf-Wochen-Frist in der derzeit bestehenden Kombination mit Beratungspflicht und obligatorischer dreitägiger Wartefrist erschwere den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch für diejenigen Frauen, die sich erst kurz vor Ablauf dieser Frist dafür entscheiden, die Schwangerschaft abzubrechen. Oder die aufgrund der prekären Versorgungslage in vielen Teilen des Landes nicht in der Lage sind, rechtzeitig entsprechende medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die derzeit geltende grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs führe auch dazu, dass die Krankenkassen die Kosten für den Abbruch nicht übernehmen. All dies habe laut Antrag zur Folge, dass die geltende Regelung "eine erhebliche Einschränkung der Selbstbestimmung, der persönlichen Integrität und der körperlichen Autonomie Schwangerer darstellt und ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit Schaden zufügt".
Ziel des Gruppenantrags
In der frühen Phase der Schwangerschaft (bis einschließlich der abgeschlossenen zwölften Schwangerschaftswoche) soll laut Gesetzesantrag die Entscheidung für oder gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft in der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren liegen und nicht mehr rechtswidrig sein. Es soll bei der Beratungspflicht bleiben, die dreitägige Wartefrist zwischen Beratung und Schwangerschaftsabbruch soll aber entfallen. Die Kosten des Abbruchs sollen von den gesetzlichen Krankenkassen getragen werden. Der Abbruch nach der zwölften Woche soll strafbar bleiben.
Die Diskussion im Bundestag
Am gestrigen Donnerstag stritten 18 Frauen und zwei Männer knapp 90 Minuten lang über das Thema.
Carmen Wegge von der SPD, die den Gruppenantrag mitgeschrieben hat, setzte sogleich den Ton, als sie sagte: "Heute ist ein guter Tag für Frauen, für Ärztinnen und Ärzte. Wir werden von der Mehrheit der Gesellschaft getragen. Machen wir die Debatte zu einer Sternstunde des Parlaments."
Die Hoffnung auf eine solche Sternstunde machte Beatrix von Storch von der AfD schnell zunichte. Sie unterstellte ihrer Vorrednerin, dass "Ihr Geschrei, Ihre Aggressivität" das Gefühl vermittle, sie, Wegge, habe "Freude darüber, wenn Ungeborene getötet werden". Die seit vielen Jahren bestehende Regelung des Abtreibungsrechts habe gesellschaftlichen Frieden geschaffen, sagte von Storch. "Den wollen Sie jetzt abfackeln", warf sie der "Reste-Ampel" vor. Und: Mit dem Gruppenantrag solle der "ultimative Kulturkampf" ausgerufen werden. Die Würde des ungeborenen Lebens sei unantastbar, so die AfD-Frau.
Elisabeth Winkelmeier-Becker von der CDU schlug in die gleiche Kerbe: "Es geht um Leben und Tod des Ungeborenen. Wir stehen als Union zu der geltenden Regelung." Den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig zu machen, "wäre unvereinbar mit Lebensrecht und Menschenwürde des Ungeborenen".
Helge Limburg von den Grünen hielt dagegen, als er die derzeitige Situation beschrieb: "Frauen werden bevormundet und Ärzte werden kriminalisiert. Den Kulturkampf führen diejenigen, die Ärztinnen und Ärzte diskreditieren und die vor Beratungsstellen demonstrieren und Frauen unter Druck setzen." Limburg betonte, Abtreibungsrecht sei auch ein Männerthema. Aber die Rolle des Mannes dürfe nicht bevormundend sein, sondern der Mann solle solidarisch an der Seite der Frau stehen. Limburgs Parteifreundin Ulle Schauws hält den bestehenden Paragrafen 218 für "zutiefst patriarchal", Frauen würden kriminalisiert und stigmatisiert. Die Frau solle sich schuldig fühlen – das stehe hinter dem Paragrafen 218. Umfragen zeigten, dass 80 Prozent der Bevölkerung für eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches seien.
Nina Warken von der CDU warnte jedoch: "Das Gesetz jetzt durchzupeitschen, wird der ungeheuren Tragweite nicht gerecht." Schwangerschaftsabbruch werde zu einer Heilbehandlung wie jede andere gemacht.
Tina Rudolph von der SPD hält dagegen, das bislang geltende restriktive Abtreibungsrecht und die Zugangshürden "sorgen für Leid, Unsicherheit, für all das, was Frauen in dieser Situation nicht gebrauchen können".
Ob der Gruppenantrag im weiteren Verfahren die Mehrheit erhält, hängt freilich auch von denen ab, die ihn bislang nicht mittragen. Sevim Dagdelen vom Bündnis Sahra Wagenknecht spricht sich für eine Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch aus. "Wir hätten den Antrag gern mit eingebracht", sagte sie und ergänzte vorwurfsvoll: "Wer Interesse an Mehrheiten hat, streckt die Hand aus und schließt andere nicht aus."
Die gerade aus der Regierung herausgeworfene FDP zeigte eine eher diffuse Haltung. Gyde Jensen sagte zwar mit Blick auf die Notlage schwangerer Frauen: "Wer in einer solchen Lage ist, sollte nicht zusätzlich damit belastet werden, potenziell eine Straftat zu begehen." Aber die FDP-Politikerin meint auch, über das Thema solle man "nicht in Eile entscheiden". Ihre Parteifreundin Kristine Lütke fügte hinzu, mit einer möglicherweise verfassungswidrigen Regelung sei den Frauen nicht geholfen. "Wir brauchen keinen parlamentarischen Schnellschuss."
Wie geht es weiter?
Damit der Gesetzesantrag tatsächlich Gesetz wird, braucht er die Mehrheit der 733 Abgeordneten im Bundestag. Also mindestens 367 Stimmen. Bisher unterstützen 328 Abgeordnete die Legalisierung der Abtreibung in der beschriebenen Form. Sie kommen insbesondere aus dem Lager der SPD, der Grünen und Linken. Nach der Debatte vom Donnerstag muss aber zunächst noch der Rechtsausschuss entscheiden, ob das Vorhaben tatsächlich erneut auf die Tagesordnung des Bundestages kommt und somit überhaupt noch in dieser Legislaturperiode über ein entsprechendes Gesetz abgestimmt wird. Die das Gesetz befürwortenden Abgeordneten befürchten, dass der Rechtsausschuss sich querstellt und die Abstimmung verhindern wird. Eine Möglichkeit, die gewiss Thema bei den morgen anstehenden Großdemonstrationen in Berlin und Karlsruhe für ein liberaleres Abtreibungsrecht sein dürfte.