Debatte

Der Ursprung des Geschlechts oder auch: Warum Männer Nippel haben

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Der Begriff "Geschlecht" ist im Ursprung biologisch (Sexus), wurde aber im Laufe der Zeit auch auf soziale Konstrukte übertragen (Gender). Warum das eine mit dem anderen aber nicht wirklich etwas zu tun hat, wissen nur wenige. Leider wird das biologische Geschlecht - die großartigste Erfindung, seit es Evolution gibt - heutzutage im Internet von Laien umdefiniert. "Die Wissenschaft sei schon weiter", heißt es gerne, ohne konkrete Fakten dazu belegen zu können. Warum die Fakten aber sagen, dass Geschlecht binär und Intersex nicht gleich Geschlecht ist, wird hier erläutert.

Damit Evolution überhaupt effektiv stattfinden kann, braucht es die Möglichkeit der Rekombination von Erbanlagen, den "Bauplänen" in unserer DNA. Denn erst, wenn die nachfolgende Generation sich in ihren Fähigkeiten unterscheidet, kann eine Selektion im Sinne der Evolution stattfinden: "Survival of the fittest" funktioniert nur, wenn es mehr oder weniger "fitte" Individuen gibt. Genau hierfür wurde die geschlechtliche Fortpflanzung "erfunden", bei der die Erbanlagen neu gemischt werden. Bei allen höheren Tieren und Pflanzen funktioniert das mit Hilfe zweier Gametentypen ( = Keimzellen) - den großen stationären Eizellen sowie den kleinen beweglichen Spermienzellen. Wissenschaftlich wurde festgelegt: Wer große Gameten produziert, ist weiblich, wer kleine Gameten produziert, ist männlich. Dies ist immer und überall so. Aus diesem Grund ist das biologische Geschlecht auch bei Tier, Pflanze und Mensch binär: die Anzahl der Gametentypen legt die Anzahl der Geschlechter fest.

So lobenswert es ist, dass der Seepferdchen-Papa die Aufzucht seines Nachwuchses übernimmt - er ist und bleibt dank seiner kleinen Gameten ein engagierter Vater. Immerhin wird er regulär benötigt - bei Wasserflöhen dagegen ist die geschlechtliche Fortpflanzung nur an der Tagesordnung, wenn sich die Lebensbedingungen verschlechtern. Solange genug Raum und Futter vorhanden sind, bedient sich das Wasserflohweibchen der Jungfernzeugung - es klont sich selbst und benötigt keinen Mann; es ist ja im Moment optimal angepasst ("fit"). Erst in einer Notfallsituation mit sich verschlechternden Bedingungen werden Männchen produziert, welche mit ihren Spermien dafür sorgen, dass eine neue, mit unterschiedlichen Merkmalen ausgestattete Generation an Weibchen entsteht, um das Überleben zu sichern.

Je höher entwickelt ein Lebewesen, umso fester ist das Geschlecht in den Genen einprogrammiert. Bei Schildkröten entscheidet noch die Lage im Nest - weiter oben, wo es wärmer ist, entstehen Weibchen, im kühleren Grund die Männchen. Das Geschlecht wechseln ist nur bei nieder entwickelten Tieren möglich - nämlich dann, wenn sie erst den einen, dann später den anderen Typ Gameten produzieren, wie man es gelegentlich bei Fischen findet. Wir halten also fest: Egal welches Tier oder Pflanze - der Gamet bestimmt das Geschlecht. Produziert man beide, ist man Zwitter - wie die meisten Blütenpflanzen oder auch die Regenwürmer. "Zwitter" bzw. Hermaphrodit ist daher ein Begriff, der früher fälschlicherweise für Intersexpersonen verwendet wurde - da diese in der Regel steril sind, also keinerlei Gameten produzieren, trifft diese Bezeichnung nicht zu. Denn: kein Mensch, egal welche Gene, wird jemals beide Typen an Gameten produzieren können.

Beim Menschen wird das Geschlecht über die Geschlechtschromosomen festgelegt (XX = weiblich, XY = männlich), diese enthalten die "Merkmals-Baupläne", die Gene, für die jeweilige Entwicklung. Nun ist es aber so: der "Grundembryo" ist auf den weiblichen Typus angelegt - was der Grund ist, warum Männer funktionslose Nippel (Brustwarzen) besitzen - diese sind im "Basisprogramm“ enthalten. In den ersten Wochen der Embryonalentwicklung läuft nur das "Basisprogramm" ab - erst nach ca. 7-8 Wochen beginnt der Körper, das männliche Programm zu starten. Dann senken sich die Hoden aus dem Bauchraum herab und der Penis beginnt zu wachsen. Was aber auch bedeutet: kann das Programm nicht normal ablaufen, sind diese Vorgänge beeinträchtigt, und können sich, je nach Beeinträchtigungsstärke, auch phänotypisch ( = nach außen hin sichtbar) auswirken, z.B. bei einer Androgenresistenz, also einer Beeinträchtigung der Fähigkeit von Körperzellen, das Hormon Testosteron zu erkennen. Das Y-Chromosom ist in diesem Fall zwar eigentlich voll funktionstüchtig, jedoch können die zugehörigen Entwicklungsprozesse auf verschiedenste Art gestört werden. Die Androgenrezeptoren, also die Andockstellen für männliche Hormone, sind ganz oder in Teilen in ihrer Funktion eingeschränkt. Der männliche "Hormonschlüssel" wird unverändert produziert, nur das "Schloss" an den Zielzellen funktioniert nicht richtig - ähnlich wie bei Diabetes Typ 2, wo der Körper normale Mengen an Insulin produziert, aber nicht mehr richtig darauf reagieren kann.

In sehr leichten Fällen einer Androgenresistenz wird dies meist gar nicht erkannt, da die Spermatogenese, also die Produktion der Spermienzellen, oftmals nicht eingeschränkt ist und sich die Symptome nur in leicht verminderter Bart- oder Körperbehaarung zeigen. Bei partieller Androgenresistenz ist meist schon die Lage der Hoden beeinflusst, die sich nicht korrekt absenken, sowie die Spermienbildung und oft auch die Penisgröße. Bei der kompletten Androgenresistenz, auch CAIS ( = Complete Androgen Insensitivity Syndrome) genannt, wird, trotz männlichem Genotyp ( = die Zusammensetzung der genetischen Baupläne des Individuums) ein pseudo-weiblicher Phänotyp ( = äußerlich anatomisch entstehende Merkmale) ausgebildet. Es liegen aber trotzdem Hoden im Bauchraum vor, weswegen keine Eizellen gebildet werden können (Es gibt weltweit einen einzigen dokumentierten Fall, bei dem eine XY-Person Eizellen produzieren konnte - bei einer Familie, bei der eine weitere Mutation vorliegt, welche dies ermöglicht. Ohne diese Zusatzmutation werden aber bei genetisch männlichen Individuen niemals große Gameten entstehen können).

Intersexmenschen, bzw. XY-Personen mit pseudo-weiblichem Phänotyp, können aber auch durch andere Störungen im Entwicklungsablauf entstehen: beim Swyer-Syndrom ist das SRY-Gen ( = sex determining region of Y) auf dem Y-Chromosom betroffen: der Bauplan für eines der "Zahnrädchen" in der männlichen Entwicklung ist defekt, weswegen auch hier trotz männlichem Genotyp phänotypisch weibliche Organe ausgebildet werden. Eine zusätzliche Entwicklung in der Pubertät bleibt aber aus, daher kommt es trotz vorhandener Gebärmutter zu keiner Regelblutung. Auch ist eine eigene Gametenproduktion nicht möglich - dank Vorhandensein einer Gebärmutter gibt es jedoch die Möglichkeit, durch eine Fremdeizellspende schwanger zu werden. Die eigenen Gene können aber nicht weitergegeben werden.

Unterm Strich können wir also festhalten: Auch wenn bei XY-Personen phänotypisch weibliche Organe angelegt sind: Baupläne des Y-Chromosoms können immer noch abgelesen werden und daher ist es möglich, dass auch die Entwicklung der körpereigenen Gewebe anders abläuft, z.B. bei Muskeln (Männer haben aufgrund ihrer Gene durchschnittlich 162 Prozent mehr Schlagkraft als eine Frau). Was in Folge bedeutet, dass z.B. XY-Menschen mit Androgenresistenz je nach Ausprägungsstärke auch zu einer viel größeren Schlagkraft fähig sind als eine Frau - was im Einzelfall sozial zwar völlig irrelevant ist, nicht aber in Situationen, in denen die körperliche Kraft ein unerlässlicher Faktor ist, z.B. in einem Profisport, in dem Muskelleistung entscheidend ist, wie beim Boxen oder auch beim Sprint.

Testosteron als Hormon führt im Körper u.a. vor allem zu Muskelzuwachs, weswegen Männer grundsätzlich viel stärker sind als Frauen. Diese physiologischen Unterschiede ermöglichen es leider auch Männern, Frauen problemlos körperlich zu überwältigen - was auch der Grund ist, warum viele Frauen zurecht Angst haben, nachts alleine auf die Straße zu gehen: im Fall der Fälle haben sie keine Chance, bei einem Angriff durch einen Mann mit Hilfe rein körperlicher Kraft zu entkommen. Diese körperliche Unterlegenheit der Frau ist wohl auch der Grund, warum in den meisten Kulturen dieser Welt ein Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Chancen von Männern und Frauen besteht.

Verständlich also, dass viele Menschen, insbesondere Frauen, beunruhigt sind, wenn nun versucht wird, im Zuge der Neuorientierung des sozialen/kulturellen Geschlechts ("Gender") auch das des biologischen ("Sex") umzudefinieren. Denn: so wundervoll es wäre, wenn eine Frau rein durch ihr Identitätsdenken auch ihre Muskelkraft erhöhen könnte, ist es doch leider nicht möglich. Wer XX-Chromosomen besitzt, ist und bleibt körperlich unterlegen. Daher ist es unerlässlich und wichtig, endlich eine klare und deutliche Trennung zwischen biologischem Geschlecht und sozialem Gender zu schaffen.

Natürlich sollte jeder Mensch mit Vulva als Frau in der Gesellschaft akzeptiert sein. Gleichermaßen darf aber auch nicht sein, dass dort, wo es relevant ist, genetische Hintergründe verleugnet werden, die in Folge genotypisch weibliche Menschen benachteiligen. Eine sachliche Diskussion und klare wissenschaftliche Sprache kann hierbei helfen, Missverständnissen vorzubeugen. Eine "cis-Frau" z.B. wird als Frau definiert, die phänotypisch weiblich geboren wurde und sich auch als solche identifiziert. Wissend, dass auch Intersexpersonen bei der Geburt als weiblich gelesen werden können, sagt diese Definition aber nicht wirklich etwas über das biologische Geschlecht aus, da genetisch männliche Individuen (umgangssprachlich als "XY-Frauen" bezeichnet) in Folge auch als "cis-Frau" definiert werden können - daher führt der Begriff die eigentliche Intention bei Diskussionen (eine biologische Frau fachlich zu benennen) ad absurdum.

Als Fazit bleibt: Die faszinierende Welt der Genetik wird jeden Tag weiter erforscht. Ein simpler Wangenabstrich kann heutzutage unheimlich viel über einen Menschen aussagen; zumindest schon zu 100 Prozent, welchem Genotyp, und damit welchem genetischen Geschlecht das Individuum entspricht. Und da diese Möglichkeiten heutzutage gegeben sind - warum sollte man sie nicht nutzen, um zu gewährleisten, dass die Hälfte der Menschheit, die sowieso schon benachteiligt lebt, zumindest dort, wo es uns möglich ist, eine faire Behandlung erfährt?

Zum Beispiel, indem sie in Sportarten die Sicherheit bekommen, nicht gegen Gegnerinnen antreten zu müssen, die einen starken körperlichen Vorteil besitzen könnten.

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