Menschenwürde am Lebensende

BERLIN. (hpd/HVD) Am 15. März 2009 verlieh der Berliner Humanistische Verband (HVD) den diesjährigen Ossip-K.-Flechtheim-Preis an Dr. med. Michael de Ridder, Chefarzt der Rettungsstelle des Vivantes Klinikum Am Urban in Berlin. Er wurde für sein gesundheitspolitisches Engagement ausgezeichnet.

Seine Dankesrede, die grundsätzliche Ausführungen zur Verantwortung des Arztes am Lebensende enthält, wird hier der Öffentlichkeit vorgestellt (PDF im Anhang).

De Ridder ergreift in öffentlichen Diskussionen regelmäßig Partei für die Belange der Patienten, gerade für Pflegebedürftige, Migranten, Drogenkranke oder schlicht Arme. In seiner immer wieder mit Beifall unterbrochenen Ansprache betonte er: „Die Menschenwürde – so, wie unsere Verfassung sie versteht – schützt den Menschen eben auch davor, zum Objekt der Menschenwürdedefinition anderer zu werden“. Er mahnte im Bezug auf ein humanes Sterben an, dass die moderne Medizin „neben all ihren Erfolgen und Leistungen … beängstigende und grausame Seinsweisen hervorgebracht“ habe.

Die Selbstbestimmung – und nicht, wie so häufig angenommen der Lebensschutz, so hoch auch der anzusiedeln ist – ist es, die den Kern der Menschenwürde ausmacht. Sie wird von unserer Verfassung garantiert, aus gutem Grund von ihr jedoch nicht definiert. Denn nur der einzelne Mensch als Grundrechtsträger ist befugt, darüber zu befinden, was seine Würde ausmacht, einschließlich der Verfügung darüber, wie weit seine körperliche Unversehrtheit und sein Leben zu schützen sind“, führte de Ridder aus.

Unverrückbarer Maßstab ärztlichen Handelns bleibe das Wohl des Patienten, „das primär seinem Willen zu folgen hat. Sich von der Authentizität dieses Willens zu überzeugen ist ärztliche Pflicht, nicht aber, ihn zu bewerten. Der ganzen Tragweite dieses arztethischen Prinzips gerecht zu werden, hat die verfasste Ärzteschaft, so jedenfalls mein Eindruck, bisher versäumt.“

In seiner Rede ging de Ridder auch auf katholische und jüdische Haltungen zum Sterbenlassen ein. „Die Grenzen seiner Befugnisse und Kompetenzen weit hinter sich lassend, dekretierte der Papst erneut, dass die künstliche Ernährung von Sterbenden, insbesondere Komapatienten, keine ärztliche Behandlungsmaßnahme, sondern eine unter allen Umständen unverzichtbare Maßnahme der Basisbetreuung darstelle, mit der Folge, dass Patienten selbst entgegen ihrem erklärten Willen und entgegen ärztlicher Indikation nach kirchlicher Lehre am Lebensende faktisch zwangsernährt werden müssten.

Ähnlich verfährt im übrigen auch die orthodoxe jüdische Ethik: Dem ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon, der seit Januar 2006 mit einem ausgedehnten Schlaganfall im Koma liegt, wird seit mehr als drei Jahren in und trotz aussichtloser Krankheit ein natürlicher Sterbeprozess vorenthalten – ein aus meiner Sicht zutiefst inhumanes Vorgehen.“

 

Antje Henke