141 Seiten Hilflosigkeit

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Petersdom / Foto: Manuela Bernauer (pixelio.de)

ROM / MÜNSTER. (hpd) Nun versucht er sich als Sozialethiker. Joseph Ratzinger hat aus den Misserfolgen seiner bisherigen Enzykliken nicht gelernt, die aus guten Gründen niemand mehr zitiert. Kurz bevor die Weltführer sich zum G-8-Gipfel einfinden, kurz bevor Barack Obama am Freitag den Vatikan betritt, legt Benedikt XVI. eine dickleibige „Sozialenzyklika“ vor.

Ein Kommentar von Horst Herrmann
 

„Liebe in Wahrheit“ nennt sich diese Sozialenzyklika und rechnet mit den Götzen Liberalismus und Profit ab. Auch der Papst hat mittlerweile das Vertrauen in die bestehende Ordnung verloren, der, nebenbei bemerkt, seine Vatikanische Konfession verhaftet ist wie kaum eine andere.

Schweigen wir an dieser Stelle von der Tatsache, dass sich jedermann darüber informieren kann, wie viel Geld, wie viele Sachwerte die Catholica bis heute zusammen gerafft hat. Alles, was recht ist: Über dieser Welt des Profits und der Geldanlagen schwebt die Kirche Benedikts nun gerade nicht.

Die Enzyklika bietet gewiss eine reiche Fundgrube für die Redenschreiber der Mächtigen, einen Steinbruch für passende Zitate nach dem Motto „Auch der Papst hat gesagt ...“ Eine politisch korrekte Berichterstattung wird die Enzyklika sogar loben, die Deutsche Bischofskonferenz sowieso.

„Großartig“ und „wegweisend“ soll sie sein. Darunter tun sie es nicht. Das ist eingespielt: Sagt der Chef etwas, kann er auf das Lob der einfacheren Mitarbeiter zählen.

Wir dürfen uns nicht beirren lassen: Realistisch ist das nicht.

Keine Legitimation

Zum einen hat die Kirche längst keine Legitimation mehr zur Führung. Dafür wurde in 2000 Jahren zu viel Unrecht verursacht. Und einen mitwirkenden „Heiligen Geist“ konnten viele nie erkennen.

Möchtegernvermittler

Zum anderen: Hat Herr Ratzinger, ein ziemlich blauäugiger Möchtegernvermittler, keine anderen Sorgen? Offenbar versucht er, von seinen wirklichen Problemen abzulenken, denen er, schwächster Papst seit 150 Jahren, nun einmal nicht gewachsen ist. Ablenken mit einem Papier, das nichts Neues bringt und wie viele andere, vielfach sogar ungelesen, in der Ablage verschwindet.

"Weltinstanz"

Drittens: Über die päpstlichen Vorstellungen von einer Weltinstanz können viele nur lachen. Dieser Papst hat nicht einmal die Pius-Brüder im Griff. Katholiken können sich nicht darüber einigen, wie die Hostie empfangen werden soll: Mund- oder Handkommunion? Und da schwebt Benedikt XVI. eine Art ständiger Krisengipfel vor, „um die Weltwirtschaft zu steuern“, die Ökonomien zu sanieren, „den Umweltschutz zu gewährleisten und die Migrationsströme zu regulieren“. Ein solches von allen anerkanntes Gremium, schreibt Ratzinger, müsse befugt sein, „gegenüber den Parteien, den eigenen Entscheidungen wie auch den in den verschiedenen internationalen Foren getroffenen abgestimmten Maßnahmen Beachtung zu verschaffen.“ Die Ackermänner dieser Welt hören es und kommen aus dem Lachen nicht heraus. Auf wie vielen Wirtschaftskonferenzen wird in den nächsten Tagen wohl über Ratzinger gespottet werden?

Hinter dem Zeitgeist herhecheln

Viertens: In seiner Enzyklika /Centesimus Annus/ hatte Johannes Paul II. 1991 noch das Hohe Lied des Liberalismus gesungen und einen fast hemmungslosen Freihandel begrüßt, jetzt, nachdem dieses Modell gescheitert ist, ruft Benedikt XVI. nach einer Art Eine-Welt-Regierung.

Kein Wort mehr davon, dass der freie Markt „das wirksamste Instrument für den Einsatz der Ressourcen und für die beste Befriedigung der Bedürfnisse“ sei. Denn diese Meinung eines Papstes ist nach zig Billionen verbrannten Ressourcen und angesichts ganzer Staaten, die von der unsichtbaren Hand des Marktes zermalmt werden, sehr erklärungsbedürftig geworden. Eine seltsame Kontinuität im Amt übrigens. Hinter dem Zeitgeist herhecheln, oder nicht? Mal Liberalismus, mal nicht, mal Testamentsvollstrecker eines Ludwig Erhard, mal nicht.

Wirklichkeitsfremd

Fünftens: Ratzingers Vorschläge gehen, befreien wir sie von dem üblichen Zierrat an hehren Worten, an der Wirklichkeit vorbei. Doch wer dürfte sich Idealismus leisten, wenn nicht der Hausherr im Vatikan? Zwar entgeht Benedikt XVI. diesmal der Versuchung zum üblichen Sozialklempnertum, denn „die Kirche hat keine technischen Lösungen anzubieten und beansprucht keineswegs, sich in die staatlichen Belange einzumischen“. Doch fehlt der für Ratzinger typische Ruf nach der „Caritas“ nicht, was immer diese konkret beinhalte. Sie löst kein einziges Problem. Die Sozialenzyklika weist entscheidende Defizite auf. Die Probleme der Finanzmärkte sind oberflächlich dargestellt. Und der Professor für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik Friedhelm Hengsbach urteilt soeben: „Wenn man es etwas kritisch beurteilt, ist es ein Selbstgespräch des gegenwärtigen Papstes mit seinen zwei Vorgängern.“

Türen der römischen Üppigkeit

Sechstens: „Die gesamte Wirtschaft und das gesamte Finanzwesen“ müssen ethisch sein, fordert der Papst, „und das nicht nur durch eine äußerliche Etikettierung, sondern aus Achtung vor den ihrer Natur selbst wesenseigenen Ansprüchen“. Ohne die „Caritas“ aber ist alles nichts: „Ohne Wahrheit, ohne Vertrauen und Liebe gegenüber dem Wahren gibt es kein Gewissen und keine soziale Verantwortung: Das soziale Handeln wird ein Spiel privater Interessen und Logiken der Macht, mit zersetzenden Folgen für die Gesellschaft, um so mehr in einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung und in schwierigen Situationen wie der Augenblicklichen.“

Und noch eins drauf, in vatikanischer Sprachregelung: „Während die Armen der Welt noch immer an die Türen der Üppigkeit klopfen, läuft die reiche Welt Gefahr, wegen eines Gewissens, das bereits unfähig ist, das Menschliche zu erkennen, jene Schläge an ihre Tür nicht mehr zu hören.“ Ich schenke mir die Frage, ob sich nicht gerade in Rom „Türen der Üppigkeit“ finden und wo die praktische Solidarität einer Kirche bleibt, die stets „für“ die Armen spricht – und nie selbst arm ist.

Und wer hat sich eigentlich über Jahrhunderte hinweg als „Bildnerin der Gewissen“ betrachtet, wenn nicht die Kirche? Wer ist unter diesen Umständen mitverantwortlich für den heutigen Zustand, da es entweder gar keine „Gewissen“ mehr gibt oder diese sich in einem deplorablen Zustand befinden? Haben nicht die „wegweisenden“ Päpste auf ganzer Linie versagt? Zumindest vor aller Welt bewiesen, dass sie nichts erreichen können?

Keine Geburtenkontrolle

Siebtens: Geradezu trotzig beharrt Ratzinger auf der These, das Bevölkerungswachstum sei ein Faktor der Entwicklung: „Große Nationen haben auch dank der großen Zahl und der Fähigkeiten ihrer Einwohner aus dem Elend herausfinden können.“ Und es gebe „Platz für alle auf dieser unserer Erde“. Ein Geburtenrückgang dagegen, meint die herrschende Doktrin im Vatikan, stürze die Sozialhilfesysteme in die Krise. Also das bekannte Lied neu gesungen: Keine Geburtenkontrolle, bitte, denn jedes Kondom löchert unser Sozialsystem ... Päpste haben Sorgen.