Kommentar

Werbeunterbrechung für Waldorfschulen in den Tagesthemen

goetheanum.jpg

Das zweite Goetheanum in Dornach (1928 bis heute), Südansicht
Das zweite Goetheanum in Dornach (1928 bis heute), Südansicht

Öffentlich-rechtliche Berichterstattung sollte ausgewogen sein und bei strittigen Themen stets alle Seiten zeigen. Doch genau dies geschah in einem völlig kritikfreien Beitrag über Waldorfschulen, der gestern von den ARD-Tagesthemen ausgestrahlt wurde, nicht. Ob es daran liegen könnte, dass die Journalistin, die den Beitrag erstellt hat, selbst eng mit der Waldorfschul-Welt verbunden ist?

"Wir unterbrechen die Tagesthemen für eine Werbesendung der Waldorfschulen", wäre meine Anmoderation für den Beitrag "100 Jahre Waldorfschule" in den Tagesthemen vom 3. September 2019 gewesen – Caren Miosga sagt aber (ab 0:23:40):

"Ich könnte jetzt einfach mal die Klappe halten und stattdessen wie hier (Caren Miosga zeigt auf die Tagesthemen-Studio-Videowand, auf der sie das Wort "TAGESTHEMEN" eurythmisch darstellt – Anm. d. A.) ein paar Verrenkungen machen und sie könnten trotzdem verstehen, in welcher Sendung Sie sich befinden und mit wem Sie es zu tun haben. Ich tanze hier nämlich unseren Namen, beziehungsweise ich hab' ihn wahrscheinlich im übertragenen Sinn leicht genuschelt, denn keine Ahnung, ob das alles so stimmt. Das hier ist weder Akrobatik noch Cheerleading, sondern schlicht das ABC, so wie es die Waldorfpädagogik lehrt. Diese buchstäblich andere Schule der Kindererziehung wird jetzt 100 Jahre alt und Esther Saoub – selbst einst eine Waldorfschülerin – erklärt, warum diese Art zu lernen auch heute noch viele Schüler und deren Eltern bewegt."

Es folgt die Werbesendung für die Waldorfschule – aufgenommen von Esther Saoub in der "Interkulturellen Waldorfschule Mannheim". Kritik an der Waldorfschule? Fehlanzeige. Dabei gäbe es bekanntlich einiges Kritisches über das Waldorf-Konzept und seinen Gründer Rudolf Steiner zu sagen. In einem ausgewogenen Beitrag, wie man ihn von öffentlich-rechtlichen Medien erwarten darf und muss, hätte diese Kritik wenigstens Erwähnung finden müssen.  

Dass dies nicht der Fall ist, liegt möglicherweise daran, dass die Journalistin Esther Saoub nicht nur Waldorfschülerin war, sondern auch Vorstandsmitglied des Schulvereins der "Freien Waldorfschule Uhlandshöhe" ist. Darüber hinaus tritt sie auf Podien von Waldorfschul-Feierlichkeiten auf und sie moderiert sogar die große Festveranstaltung "100 Jahre Waldorfschule" (unter anderem mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann) am 7. September in der Liederhalle Stuttgart.

Nun ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn Journalistinnen und Journalisten sich in dem Themenfeld, über das sie berichten, auskennen. Wer allerdings, wie Esther Saoub, so eng mit der Waldorfbewegung verbunden ist, den sollte sein eigenes journalistisches Berufsethos davon abhalten, Berichte über das Thema für öffentlich-rechtliche Medien zu gestalten. Sollte das eigene Berufsethos versagen, so wäre es Aufgabe der Tagesthemen-Redaktion, entsprechende Interessenkonflikte aufzuspüren und von einer Beauftragung abzusehen. Dass beides nicht geschehen ist, ist traurig. 

Nun bleibt abzuwarten, ob es Frau Saoub gelungen ist, in ihrer 45-minütigen Dokumentation "Waldorf global: Eine Schule geht um die Welt", die am 5. September 2019 im SWR ausgestrahlt wird, eine ausgewogenere Darstellung des Waldorf-Konzepts zu erstellen. Ich persönlich erwarte mindestens etwas wie: "Ladies and Gentlemen: The greatest school on earth!"