WIEN. (hpd) Als 19. Preisträgerin erhielt Erika Pluhar in einer Feierstunde vor zahlreichen Gästen den jährlich zu vergebenden Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln im Stadtsenats-Sitzungssaal des Wiener Rathauses.
Erstmals wurde der Preis 1990 an Milo Dor vergeben, weitere Preisträger waren Viktor Frankl, Inge Merkel, Kardinal Franz König, Gerhard Roth, Simon Wiesenthal, Hugo Portisch, H. C. Artmann, Christine Nöstlinger, Sir Peter Ustinov, Josef Haslinger, Karl-Markus Gauß, Ilse Aichinger, Konrad Paul Liessmann, Erich Hackl, Barbara Frischmuth, Klaus Wagenbach, Martin Pollack und Paul Lendvai. Er ist inzwischen mit 10.000 Euro dotiert.
Fragen nach Toleranz als Anspruch und persönlicher Bedeutung im Lebensalltag begleiteten nicht nur durch den Abend.
„Erika Pluhar hat immer Haltung bewahrt und immer Haltung gezeigt“, ehrte der Kulturstadtrat der Stadt Wien, Andreas Mailath-Pokorny, die Preisträgerin für ihr Engagement für Toleranz und ein friedliches Miteinander. „Toleranz hat viele Gesichter“, betonte HVB-Präsident Gerald Schantin im Anschluss: „Erika Pluhars Weg zur Anerkennung und Toleranz für ihre Mitmenschen und gesellschaftliche Randgruppen führte immer wieder über ein unaufdringliches, stilles, aber umso konsequenteres Auftreten zum Ziel.“
Laudatio auf die Preisträgerin
Die Laudatio Rede zur Verleihung des Ehrenpreises wurde von Frau Bundesministerin Dr. Claudia Schmied vorgetragen.
"Richtig auf dem Weg zu sein, schenkt einem Menschenleben den gesuchten Sinn und die gewünschte Würde", diesen Satz haben Sie, Frau Pluhar heuer in einer Rede formuliert.
Ihr Weg, Ihr auf dem Weg sein war und ist immer mutig und voller Würde. Und Sie haben in all Ihrem Suchen, im Voranschreiten, sich Wehren, Kämpfen nie Ihr Lachen verloren. Es tut gut, Ihr freundliches Porträt auf der Einladung zur heutigen Veranstaltung zwischen manchen ernsten Männern heraus strahlen zu sehen.
Ihr Weg, den wir heute mit einem "Preis für Toleranz im Denken und Handeln" auszeichnen wollen, war immer von dem Wort "Trotzdem" geprägt.
Es erscheint in Ihren Schriften, in Ihren Liedern und in Ihren Interviews. Schon Mitte der 1980er Jahre findet es sich in einem Text zum Burgtheater, der die Liebe zum Theater ebenso widerspiegelt, wie die Ablehnung von jeglicher institutioneller Verhärtung. Sie schrieben damals, dass es Ihnen ohne ein kräftiges "Trotzdem" unmöglich gewesen wäre, sich mit dem Burgtheater verbunden zu fühlen. Das "Trotzdem" erscheint auch bei einer Lesung zum 100.Geburtstag von Viktor Frankl im Mai 2005. Das Wort "Trotzdem" erscheint in diesem, wie in anderen Texten in Großbuchstaben. Es trotzt der Schar der anderen Wörter und erhebt sich zu einer produktiven Devise - zu Ihrer Lebens-Devise.
Ein anderes Ihrer Lebensprinzipien ist jenes des Dialogs. Rede und Antwort, Schauspiel und Publikum, Musik mit Partnern, gelebte Dualität.
Der Lebenslauf von Erika Pluhar ist einer der ständigen Emanzipation, ein Weg zur Eigenständigkeit, zu eigenen Texten, zur eigenen Lebensbestimmung - aber immer in Kontakten mit Anderen, in Reflexion, in Konfrontation, in Begegnung.
In einem Interview zu einem runden Geburtstag berichten Sie davon, dass Simone de Beauvoirs Schriften Sie geprägt hätten. Als Akteurin haben Sie ihr aber ein "Trotzdem" hinzugefügt, als sie das Stück "Eine gebrochene Frau" nach einer Novelle von Beauvoir gespielt haben. Die Frau scheint bei Ihnen nicht endgültig gebrochen, sondern fähig eines Neubeginns.
Das Leben von Erika Pluhar scheint wie ein Prozess des Zurückgeworfenwerdens und des Neubeginns.
Schmerzhafte, persönliche Verluste haben Sie zu einem tiefen Verständnis der Menschen und ihrer Nöte geführt. Ihre Talente haben Sie in einem steten Vorwärts zur Freude von uns allen entwickelt und zu einer hohen Reife gebracht.
Das "Trotzdem" ist Ihnen, wie Sie sagen, auf eine völlig eigenständige, in Ihnen selbst entstandene Weise lebensnotwendig geworden. Dieses Leben, das "weh tut und uns quält, uns so müde macht bei der Suche nach dem Glück."
Hochgeschätzte Frau Pluhar, ich verwende nochmals Ihre eigenen Worte und sage es zu Ihnen wie zu allen Anwesenden: "Trotzdem kämpfen wir, trotzdem glauben wir, trotzdem lieben wir …. Trotzdem!" Ich gratuliere Ihnen herzlich zum "Ehrenpreis für Toleranz im Denken und Handeln".
Dankesworte der Preisträgerin
"Maßvoll, aber doch gab es in meinem langen Leben - 70 Jahre sind ein langes Leben, machen wir uns nichts vor -, immer mal wieder eine Auszeichnung, eine Ehrung, in letzter Zeit sogar ungewöhnlich viele dieser "Awards", die zur Zeit ja reichlich verteilt werden. Und in gewisser Weise habe ich mich dieser Würdigungen ja auch stets erfreut.
Der heutige Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels jedoch macht mir persönlich eine ganz besondere Freude. Bedeutet für mich ein wenig mehr als alle vorangegangenen Ehrungen. Weil dieser Preis eine Anerkennung auch meiner Bücher, meines Schreibens bedeutet. Und nichts ist schwieriger - ich weiß ausreichend, wovon ich spreche -, diese Anerkennung, als eine durch Jahrzehnte anerkannte Schauspielerin, jemals zu erringen. Wir alle - die Gesellschaft - die jeweilige ´"Szene" - der allgemein herrschende Dünkel in der Kulturlandschaft, wenn Sparten sich treffen oder überschneiden wollen - wie auch immer: es wird nicht gern gesehen, wenn der Schuster nicht lebenslang bei seinem Leisten bleibt. Eine Schauspielerin hat Schauspielerin zu sein. Darf vielleicht irgendwann eine Autobiographie schreiben oder sich schreiben lassen. Darf singen, wenn ein Poet, und sei es der Ehemann, ihr die Texte schreibt. Aber eine Schauspielerin darf eben nie auch eine Schriftstellerin oder gar Dichterin sein. Oder sich zu solchem entwickeln.
Dieses Vorurteil zu durchbrechen bedarf einer nicht erlahmenden Widerstandskraft gegen Beleidigung und Entmutigung, bedarf der nicht zu zerstörenden Intensität und auch Freude beim Schreiben selbst, bedarf bei nach außen gerichteten Handeln aller inneren Konsequenz, und benötigt vor allem das Nicht-Aufgeben der eigenen Motivation und Lebenssicht.
Schön ist, dass auch letzteres in diesem Ehrenpreis enthalten ist: dass mein Denken und Handeln innerhalb meiner bisherigen Lebenszeit anerkennende Beachtung gefunden hat.
Einzig zum Begriff der Toleranz möchte und muss ich einiges hinzufügen. Ich bin in keiner Weise tolerant, wenn ich mir einer für mich unumgänglichen Gegnerschaft bewusst geworden bin. Jede Form von Fundamentalismus hat mich zum Gegner, sei er nun politischer oder religiöser Natur. Fremdenhass, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Herr Strache, [der FPÖ-Bundesparteiobmann] hat mich zum Gegner, Massen-Tierhaltung und Tiertransporte haben mich zum Gegner. Profitärer Wahnsinn und zivilisatorische Verbrechen an der Umwelt haben mich zum Gegner. Sogar jeder Baum, der im Umfeld meines Hauses völlig grundlos geschlägert wird, macht mich zur Furie, ich brülle dagegen an. (Mein Enkelsohn, jetzt 25, der heute hier anwesend ist, kann ein Lied davon singen. Der Arme hat sich wegen seiner wild gewordenen Oma deshalb als Kind oft geniert und versucht, mich vor Freunden zu verleugnen. Aber das nur nebenbei ..) Ich bekriege nicht, jedoch, ich bekämpfe. Ich wäre gern in der Lage, zu verändern, oder wenigstens zu besänftigen, zu versachlichen. Jedoch nie um den Preis opportunistischen Wegschauens und Den-Mund-Haltens, ein Preis, den der Mensch leider so gern und willig zu zahlen bereit ist, weil der Mensch sich immer fürchtet.
Da gibt es aber auch diese gönnerhafte Toleranz, die von oben herab, die des Machtvollen dem Machtlosen gegenüber, dieses "schließlich bin ich ja tolerant", wenn man gewähren lässt, was man letztlich verachtet. Sowohl Daniel Barenboim in seinen Buch "Klang ist Leben", als auch Achim Henning in seinem wundervollen Essay über Toleranz (beide Zeitgenossen, die ich hoch achte, und bei denen zutrifft, dass der Geistvolle in seiner Zeit die Torheiten des Zeit-Geistes zu durchbrechen und zu widerlegen vermag) zitieren Goethe, der in den Maximen und Reflexionen sagt: Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein. Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen."
Nach diesen eher ausführlichen, sehr persönlichen, mir aber notwendigen Bemerkungen zur Toleranz selbst nehme ich also den so genannten Toleranzpreis des österreichischen Buchhandels als hohe Anerkennung mit Stolz und Freude entgegen. Er ist mir eine Ehre. Ich danke Ihnen.“
Zur Person
Erika Pluhar, 1939 in Wien geboren, war nach ihrer Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar bis 1999 Schauspielerin am Burgtheater. Sie textet und interpretiert Lieder, hat Filme gedreht und zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter Marisa. Rückblenden auf eine Freundschaft (1996), Am Ende des Gartens. Erinnerung an eine Jugend (1997) und die Romane Matildas Erfindungen (1999), Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation? (2001), Die Wahl (2003) und Reich der Verluste (2005). Zuletzt erschienen PaarWeise (2007), der Roman Er (2008) und eine Sammlung ihrer Liedtexte mit dem Titel Mehr denn je (2009, alle drei Residenz Verlag).
Evelin Frerk