Richard Dawkins diskutiert mit Ayaan Hirsi Ali

Das Christentum als Bollwerk gegen ein Gott-Vakuum?

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Der wohl prominenteste Atheist der Welt: Richard Dawkins
Richard Dawkins

Richard Dawkins diskutierte in New York mit seiner prominenten früheren atheistischen Mitstreiterin Ayaan Hirsi Ali. Sie war zum Christentum konvertiert. Und bezeichnet das Christentum als Bollwerk gegen den Islam und andere Weltbilder, die drohten, das westliche "Gottesvakuum" auszufüllen. Ein spannendes Streitgespräch.

"Ayaan, ich habe dich immer für einen der mutigsten Menschen gehalten, die ich kenne. Wie konntest du dich einer solchen Schwäche hingeben?" Richard Dawkins schrieb diesen Satz in einem offenen Brief an eine sehr gute Freundin. Eine Freundin, die mit ihm, dem renommierten britischen Evolutionsbiologen, einen langen Weg zusammen mit den sogenannten Neuen Atheisten gegangen war. Und jetzt das: die frühere Muslimin, spätere Atheistin, war ein weiteres Mal konvertiert. Nunmehr zum Christentum. Dawkins, so zeigt es sein offener Brief, war offensichtlich entsetzt. Und er hängte ein Postskriptum an seine Zeilen: "PS: Möchtest du ein aufgezeichnetes Gespräch führen, welches wir beide auf unseren sozialen Medien veröffentlichen können?"

Sie wollte. Zu eben diesem Gespräch ist es jetzt in New York gekommen. Bei der "Dissident Dialogues Conference" ging es nicht nur um die persönliche Entscheidung der gebürtigen Somalierin Ayaan Hirsi Ali, nunmehr an den christlichen Gott zu glauben, sondern auch um die politische Funktion, die sie diesem Schritt beimisst: Dass das Christentum ein Bollwerk gegen den Islamismus sei.

Moderator Freddie Sayers fragt Ali, wie es sein könne, dass sie, die sie doch Religionen abgelehnt habe, sich auf einmal als Christin sehe. Die Antwort: Sie sei nicht zum Glauben gekommen durch irgendein spektakuläres Ereignis, auch wenn sie das besser gefunden hätte. Sie habe in einer persönlichen Krise gesteckt, mit Depressionen und Angstzuständen. Ihre Therapeutin habe von einem spirituellen Bankrott gesprochen. In ihrer Verzweiflung habe sie angefangen zu beten. Da habe es einen Wendepunkt gegeben, sie habe sich zu etwas Höherem verbunden gefühlt.

Richard Dawkins gesteht seiner Freundin zwar zu, dass dies eine bewegende persönliche Geschichte sei, hakt aber offensiv nach: "Und nun gehst du in die Kirche. Und du hörst dem Pfarrer zu. Bemerkst du nicht, wieviel Unsinn er redet? Nimmst du das wirklich ernst, dass Jesus der Sohn Gottes ist? Dass Jesus von den Toten auferstanden ist? Dass er von einer Jungfrau geboren wurde?"

Zu Dawkins’ Verblüffung antwortet Ali: "Für mich klingt das, was der Pfarrer sagt, nicht weiter unsinnig. Es ergibt Sinn und ist erfüllt von der Weisheit aus Jahrtausenden." Dawkins mag das nicht glauben. Er wisse ja, dass sie das Christentum für ein Bollwerk gegen den Islam halte. Das akzeptiere und unterstütze er ja, sie sei halt eine "politische Christin".

Ali bekräftigt das. Die Geschichte der westlichen Zivilisation sei hauptsächlich christlich geprägt. Den Kräften von außen, insbesondere der Ausbreitung des Islam, müsse die Botschaft der westlichen Zivilisation entgegengehalten werden. Und das sei im Kern das Christentum. Schon in ihrer Erklärung, in der Ali im vergangenen November ihre Konversion zum Christentum öffentlich gemacht hatte hatte sie geschrieben, Islamismus könne nicht nur mit säkularen Werkzeugen bekämpft werden. Sie sprach von einem "nihilistischen Vakuum", man müsse den Menschen im Westen etwas anbieten gegen Weltbilder, die China, Russland oder Iran vertreten. "Wenn wir nicht etwas Bedeutungsvolles anbieten, dann fürchte ich, wird sich die Erosion unserer Zivilisation fortsetzen.“ Glücklicherweise müsse man sich da in dem Abwehrkampf gar nicht nach etwas Neuem umschauen. „Das Christentum hält all das bereit."

Der Islam sei eine böse Religion, pflichtet ihr Dawkins bei. Aber das Christentum sei auch ganz und gar nicht freundlich. Er spricht von "theologischem Bullshit". Das Christentum sei besessen von der Sünde, von der Erbsünde. Das Konzept, dass die Menschen in Sünde geboren sind und dass dies geheilt werden solle, indem Jesus gekreuzigt und für all unsere Sünden bestraft wird, sei eine "moralisch sehr unerfreuliche Idee".

Ali sieht das anders: Für sie ist das Christentum "besessen von der Liebe". Das zeigten auch ihre Erfahrungen aus ihrer Zeit als Atheistin. Vor Muslimen habe sie durch Leibwächter geschützt werden müssen, Christen hingegen hätten ihr Briefe geschrieben: sie sei fehlgeleitet, man bete für sie.

Dawkins kann es nicht fassen, versucht es noch mal. "Wenn du Christin bist, musst du das ganze Paket nehmen. Dann musst du auch daran glauben, dass Jesus von den Toten auferstanden ist."

Ayaan Hirsi Ali (© Gage Skidmore via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)
Ayaan Hirsi Ali (© Gage Skidmore via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Ja das glaube sie, antwortet Ali und erklärt: "Wenn es etwas sehr viel Mächtigeres gibt als uns, das alles erschaffen hat, dann sind Auferstehung und andere Wunder doch keine große Sache." Aber das sei ihre persönliche Überzeugung. Und sie kommt wieder auf den grundsätzlichen gesellschaftlichen Wert zu sprechen, den das Christentum für sie habe. Weil das Christentum aus den Schulen und Universitäten verbannt worden sei, gebe es ein Gottesvakuum. Und dieses Vakuum werde von anderen gefüllt. "Es gibt heute sehr böse Kräfte, die die Herzen, Köpfe und Seelen der jungen Menschen besetzen." Der Atheismus helfe da nicht weiter. Der sage ja nur, es gebe keinen Gott. Das Christentum hingegen habe ein Rezept, wie man sich mit dem Universum und den Mitmenschen verbinden könne.

Dawkins gesteht zu, dass auch er ein kultureller Christ sei, ein in der christlichen Kultur aufgewachsener Mensch. Aber er halte das Christentum für Unsinn. Und doch fügt er hinzu: "Ich glaube, dass, wenn zum Beispiel in Afrika christliche und muslimische Missionare um Anhänger werben, dann bin ich beim Team Christentum." Dennoch glaube er, dass man keine Religion brauche. Wenn aber doch, dann lieber das Christentum als irgendetwas anderes.

Was Ali fantastisch findet. Sie jubelt: "Richard Dawkins ist im Team Christentum." Aber diesen Weg will Dawkins denn doch nicht mitgehen. Nicht christliche Werte, sondern rationaler säkularer Humanismus und Aufklärung - das seien die Werte, auf die es ankomme.

Aber diese Werte hätten sich doch im Christentum entwickelt, behauptet Ali. "Die Aufklärung passierte doch in christlichem Kontext, nicht in China, nicht im Nahen Osten." Dawkins widerspricht: Säkularer Humanismus sei eine Reaktion gegen das Christentum gewesen.

Und wie reagiert Dawkins auf Alis Vorwurf, der Atheismus habe nichts im Angebot gegen "böse Mächte, die das Gott-Vakuum füllen wollen"? Dawkins spricht zwar auch von einem bösartigen Virus. "Doch wollen wir das wirklich bekämpfen durch eine Impfung mit einer milderen Form des Virus?" Da sei es doch besser, man entscheide sich gegen jedes Virus und für Aufklärung und rationales Denken. "Wir haben säkularen Humanismus, wir haben Rationalität, wir haben Moralphilosophie. Auf dieser Basis entscheiden wir, was moralisch ist und was nicht. Wir müssen auf unsere Moral nicht noch einen Haufen übernatürlichen Unsinn draufsatteln."

Er glaube, dass alle Religionen falsch seien, er sei immer nur daran interessiert gewesen, was wissenschaftlich wahr ist. Und wenn der Vorwurf laute, der Atheismus könne keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens geben, antwortet Dawkins: "Ich für meinen Teil habe verschiedene Dinge gefunden, die meinem Leben Sinn und Zweck geben. Da ist die Wissenschaft, und in meinen Büchern habe ich mein lebenslanges Streben nach dem Sinn und Zweck allen Lebens dargelegt. Dann gibt es die menschliche Liebe, die Schönheit eines Kindes, ein tropisches Bad unter dem Sternenhimmel, ein hinreißender Sonnenuntergang, ein Schubert-Quartett. Es gibt die Kunst und die Literatur der ganzen Welt. Die Wärme einer innigen Umarmung."

Hinweis: Auch Michael Shermer, Wissenschaftshistoriker und Gründer der Skeptics Society, hatte Ayaan Hirsi Ali in einem Offenen Brief auf ihre Konversion zum Christentum geantwortet und dabei ähnlich argumentiert wie Richard Dawkins.

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