WIEN. (hpd) Die Studierenden-Proteste in Österreich scheinen ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Das Wiener Audi Max bleibt besetzt. Allerdings eher spärlich. Nach mehr als drei Wochen Protest mit zwei Großdemonstrationen sind die Studierenden erschöpft. Unmittelbare Erfolge sind ausgeblieben.
Von einem Scheitern will aber niemand sprechen. Auch nicht bei den Sympathisantinnen und Sympathisanten.
Ein Bericht von Christoph Baumgarten
„Ich steh dahinter. Wenn's was bringt, ist das eine super Sache.“ Der junge Metallgewerkschafter versteckt nicht, wo seine Sympathien liegen. Dass die Bewegung rund um die Studierenden des Audi Max in den vergangenen Tagen merkbar an Energie verloren hat, deutet er nicht notwendigerweise als Zeichen des Scheiterns. 34 Millionen Euro haben die Studierenden dem Wissenschaftsministerium abgetrotzt, eine Sondersitzung des Nationalrats ausgelöst. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Und doch mehr als andere Uni-Proteste in der Vergangenheit gebracht haben. „Dass sie es so lange durchgehalten haben, ist schon eine Leistung.“ Seit drei Wochen sprechen die Menschen in ganz Österreich über Bildung. „Dieses Bildungssystem liegt darnieder. Es gibt Probleme, vom Kindergarten über die Schulen und dem Lehrlingsausbildungssystem bis zu den Lehrlingen. Irgendwer hat anfangen müssen, dagegen aufzustehen“, analysiert eine junge Gewerkschaftsfunktionärin bei einem Treffen von Vertreterinnen und Vertretern der Gewerkschaftsjugend am Wochenende.
Hier werden die Uni-Proteste auch zu Chiffre eines Generationenkonflikts. Junge Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gegen die Arrivierten. Auf der Uni, da tut sich was. Da wehren sich die Leute. Und was tut ihr? Der Vorwurf an die ältere Generation wird laut ausgesprochen. Zum Teil zu Unrecht. Auch die Älteren haben sich vor die Studierenden gestellt. So auch heute. Auch wenn manche bei aller Sympathie noch nicht ganz wissen, wie sie mit den Protesten umgehen sollen. Eine basisdemokratische, selbstverwaltete Besetzung widerspricht dem Wesen einer Gewerkschaft. Der Kampf auf der Straße, der organisierte Protest und vor allem die gelebte Solidarität, die Fähigkeit zur Selbsthilfe, entsprechen ihm. Ein nahezu unauflösbarer Widerspruch.
Gewerkschaften leben davon, dass Verantwortung delegiert wird. Anders sind kollektive Vertragsverhandlungen nicht organisierbar. Nur wenn die Vertretenen durch die Gewerkschaft mit einer Stimme sprechen können sie – im Regelfall zumindest – das Maximum herausholen. Was die Existenzberechtigung einer Gewerkschaft ist. Gleichzeitig muss sie ihre Mitglieder disziplinieren können. Wilde Streiks machen eine gemeinsame Verhandlungsposition unmöglich, unterminieren die Autorität einer Gewerkschaft nach außen. Und doch: Auf Kommando hin muss sich der Unmut entleeren können, müssen alle protestieren. Nur mit der meist unausgesprochenen Drohung, dass auf einen Wink hin alles still steht und der Streit auf der Straße stattfindet, kann sich eine Gewerkschaft gegenüber den ökonomisch mächtigeren Arbeitgebern behaupten. Das Audi Max funktioniert doch etwas anders.
Soziale Protestbewegung
Hier interpretiert man die mittlerweile etwas leiser gewordenen Uni-Proteste als soziale Protestbewegung. Und bei den Jungen als Signal für etwas Größeres. Notfalls auch gegen die Altvorderen, wie man signalisiert.
Barbara Marx am Mikro „Wenn man Jahre lang etwas fordert und es nicht bekommt, ist es dann OK, sich das einfach zu nehmen“, stellt Barbara Marx eine eher rhetorische Frage an die Älteren in die Runde. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend. Und erntet lebhaften Applaus. Nicht nur bei den Jungen. Auf so viel Widerstand wie erwartet, stoßen die Jungewerkschafterinnen- und gewerkschafter nicht.
Viele ältere Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zeigen sich stolz, auf Studierendendemos mitmarschiert zu sein. Oder zu den ersten gezählt zu haben, die ihre Solidarität erklärt haben. „Wenn wir weiter zulassen, dass das Bildungssystem kaputt gespart wird, wo bleiben wir dann?“ Und manche zeigen Bewunderung für die jungen Menschen. „Welchen Widerstand die in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt haben, ist beeindruckend. Da können wir uns in der Gewerkschaft einiges abschauen“, formuliert es ein Spitzenfunktionär.
Dass der Widerstand in Wien zuletzt geschwächelt hat, trübt die offene Sympathie nicht. Gerade mal 200 Menschen hat eine gemeinsame Demonstration von Metallgewerkschafterinnen- und gewerkschaftern und Studierenden auf die Straße gebracht. In Innsbruck, wo die Besetzung später begonnen hat, war die Erschöpfung noch nicht so groß. Ausgerechnet in der konservativen Hauptstadt des erzkatholischen Tirol marschierten mehr als 1.000 Menschen für ein besseres Bildungssystem und für einen fairen Lohnabschluss in der Metallindustrie.
Es liegt Proteststimmung in der Luft in Österreich. Erstmals seit langem könnte es Lohnkämpfe geben. Die Verhandlungen in der Metallindustrie stocken. Zu weit liegen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite nach vier Verhandlungsrunden auseinander. Die Gewerkschaft spricht von Warnstreiks. Und die scheinen diesmal mehr als eine rhetorische Drohung zu sein. Ob es so weit kommen wird, wird von der fünften Verhandlungsrunde nächste Woche abhängen.
Proteststimmung liegt in der Luft
Ähnliches gilt für die Uni-Proteste. Am 25. November hat Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) zu einem „Bildungsdialog“ eingeladen. Die Besetzerinnen und Besetzer der Unis haben dafür gestimmt, sich am Dialog zu beteiligen. Wie, bleibt vorerst offen. Allzuviel erwartet man sich im Audi Max nicht. „Es ist eine Katastrophe, wenn sich 50 Leute drei Stunden in einen Raum setzen und jeder weniger als eine Minute Redezeit hat," formuliert es ein Studierender. Man will Verhandlungsbereitschaft signalisieren. Und vielleicht etwas Kraft sparen.
Am Dienstag kommender Woche werden sich Österreichs Studierende am Weltstudententag beteiligen – einer weltweiten Aktion Studierender. HörerInnenversammlungen und Demonstrationen sind geplant. Unklar ist, wie viele Menschen sich an den Demos beteiligen werden. Die bislang letzte Großdemo in Wien hatte mit 10- bis 20.000 Menschen weniger Teilnehmende als die erste, wo 40.000 Menschen auf die Straße gegangen waren. Ungeachtet dessen werden die Proteste in zahlreichen europäischen Ländern von der Entwicklung in Wien in den vergangenen Wochen beflügelt sein. Was, so hoffen einige Studierende, auch den erschöpften Besetzenden in Österreich Energie geben könnte. Im Internet kursieren mittlerweile Durchhalteparolen a la: „Die Welt schaut auf Wien. Unsereuni.at“