„NEIN zu Gewalt an Frauen“

Gewalt gegen Frauen in Deutschland

In der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ ist zu lesen, dass 37% aller befragten Frauen in Deutschland im Alter von 16-85 Jahren irgendeine Form körperlicher Gewalt erlebt haben. 13 % der befragten Frauen haben seit dem 16. Lebensjahr Formen von strafrechtlich relevanter sexueller Gewalt erfahren. 42 % aller befragten Frauen gaben an, Formen von psychischer Gewalt erlebt zu haben, die von Eingeschüchtert-Werden oder aggressivem Anschreien über Verleumdungen, Drohungen und Demütigungen bis hin zu Psychoterror reichten. Rund 25 % der in Deutschland lebenden Frauen haben Formen körperlicher oder sexueller Gewalt oder beides durch aktuelle oder frühere Beziehungspartnerinnen oder -partner erlebt. Beziehungspartner waren mit großem Abstand die am häufigsten genannte Gruppe der Täter bei körperlicher und bei sexueller Gewalt. Unbekannte und flüchtig bekannte Personen sind mit Anteilen zwischen 11% bzw. 22 % und 15 % bzw. 20 % ebenfalls nicht irrelevant. Laut der Studie „Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen“ (Kurzfassung, Langfassung) konnte kein allgemeiner Bildungs- und Schichtzusammenhang bei den Betroffenen von Gewalt gegen Frauen festgestellt werden. In den jüngeren Altersgruppen erwies sich das Fehlen von Bildungsressourcen als gewaltfördernd. Gleichzeitig waren aber über 45-Jährige mit den höchsten Bildungsressourcen signifikant häufiger von Gewalt durch den Partner betroffen als Frauen mit mittlerer oder geringer Bildung. Entsprechend wirkte sich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bildungsschicht nur geringfügig auf die Gewalttätigkeit der Partner aus. Eine Ausnahme bilden lediglich die Männer ohne einen qualifizierten Schul- und Ausbildungsabschluss. Diese wurden überdurchschnittlich häufig übergriffig. Bei der Gruppe im Alter von 45 und aufwärts setzten die Männer mit den höchsten Schul- und Ausbildungsabschlüssen signifikant häufiger Gewalt gegen ihre Partnerinnen ein. Zu Gewalt kam es vor allem dann, wenn die Partnerin einen gleichwertigen oder höheren Schul- und Ausbildungsabschluss hatte. Dieser Zusammenhang ist aus schichtspezifischen Gründen stark tabuiert. Entgegen kulturellen Vorurteilen, denen zufolge Männer mehr physische und Frauen dafür mehr psychische Gewalt ausübten, erfahren Frauen in hohem Maße psychische Gewalt von Männern. So gaben 47 % der Betroffenen von psychischer Gewalt an, Formen psychischer Gewalt ausschließlich oder überwiegend durch Männer erlebt zu haben, 32 % gleichermaßen durch Männer wie durch Frauen und 20 % ausschließlich oder überwiegend durch Frauen.

Eine Anzeige und ein Gerichtsverfahren folgen körperlicher und sexualisierter Gewalt nur in 3-4% der Fälle. Tatsächlich gibt es nur sehr wenige Menschen, die nie eine der genannten Formen von Gewalt erlebt haben. Wenn Gewalt in Kindheit und Jugend miteinbezogen wird, dann haben nur 14 % der befragten Frauen bislang keinerlei sexuelle oder körperliche Gewalt vor und nach dem 16. Lebensjahr erlebt; es sind nur neun Prozent, wenn sexuelle Belästigung hinzugerechnet wird. Interessanterweise tritt Gewalt überdurchschnittlich häufig in Partnerschaften mit traditioneller Rollenaufteilung auf. Es ist unklar, ob die traditionelle Rollenverteilung die Gewalt begünstigt oder ob dominante Partner diese durchsetzen.

Prostituierte, Inhaftierte und weibliche Flüchtige sind in besonders hohem Maße von sexueller, physischer und psychischer Gewalt betroffen. Prostituierte waren nicht nur strak von Gewalt durch ihren Partner betroffen, sondern erfuhren auch Gewalt an ihrem Arbeitsplatz (41%). 43% der Prostituierten hatten sexuellen Missbrauch in der Kindheit erlebt, über die Hälfte (52%) wurde von den Eltern häufig oder gelegentlich körperlich bestraft. Das sind überdurchschnittlich viele. Überdurchschnittlich stark sind Prostituierte außerdem von Gesundheits- und psychischen Problemen aller Art betroffen. Auch die befragten inhaftierten Frauen hatten öfter als Frauen der Hauptuntersuchung sexuellen Missbrauch und sexuelle Gewalt in der Kindheit und dann im späteren Erwachsenenleben erlitten. Als problematisch ist anzusehen, dass die Frauen auch in der Haftsituation häufig weiterhin Formen von psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind. Die weiblichen Flüchtlinge sind in hohem Maße von körperlicher (51 %), sexueller (25 %) und psychischer (79 %) Gewalt bedroht.

Während in der Hauptuntersuchung 37 % der befragten Frauen angaben körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides seit dem 16. Lebensjahr erlebt zu haben, waren es bei den Frauen osteuropäischer Herkunft 44 % und bei den Frauen türkischer Herkunft 49 %. Generell weisen alle Untersuchungen auf sehr hohe Betroffenheit insbesondere der Frauen mit türkischem Migrationshintergrund durch körperliche und sexuelle Gewalt in Paarbeziehungen und in der Familie hin. Demgegenüber sind Frauen osteuropäischer Herkunft stärker durch sexuelle Gewalt durch fremde oder kaum bekannte Täter bzw. durch Täter am Arbeitsplatz betroffen. Bei der psychischen Gewalt, von der vor allem Migrantinnen betroffen sind, handelt es sich oft um rassistische und ausländerfeindliche Gewalt.

Von 150 befragten Frauen mit türkischem Migrationshintergrund sind oder waren143 Frauen mit einem türkischen Partner verheiratet. Etwa 25% der Frauen mit türkischem Migrationshintergrund kannten den Ehepartner vor der Eheschließung nicht. Bei etwa der Hälfte der Frauen hatten Verwandte den Partner ausgewählt. 75 % dieser Frauen waren mit der Wahl einverstanden, 23 % hätten den Partner lieber selbst ausgewählt, und weniger als 3 % machten dazu keine Angaben. 17 % hatten zum Zeitpunkt der Eheschließung das Gefühl, zu dieser Ehe gezwungen zu werden. Weitere Informationen sind in der ebenfalls vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen Studie „Gesundheit – Gewalt – Migration“ erhältlich.

Der „Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ kann hier eingesehen werden. Auch der Deutsche Olympische Sport Bund hat Aktionen geplant.

Ausblick

Wenn eine sich auf 50 Populationen beziehende Studie, die in 36 Ländern durchgeführt wurde, zu dem Ergebnis gelangt, dass die Rate der sexualisierten Gewalt in der Partnerschaft zwischen sechs und 59% und die der physischen Gewalt zwischen zehn und 50% rangiert, kann der Gewalt gegen Frauen keine unbedingte Notwendigkeit zugesprochen werden. Die Gewalt gegen Frauen ist ein Teil der geschlechtsrollenbedingten Gewalt und geht damit auf gesellschaftliche Verhältnisse zurück. Die Varianz im Vorkommen der Gewalt gegen Frauen und die Unterschiedlichkeit ihrer Formen machen dies deutlich. Es wäre absurd zu behaupten, dass es z.B. die gezielte Abtreibung weiblicher Föten oder die Zwangsheirat immer geben wird. Das könnte höchstens ein Individuum aus einer von diesen Phänomenen betroffenen Gesellschaft sagen – wenn es vom Rest der Welt noch nie etwas gehört hätte und die bereits vorhandenen Veränderungen in der eigenen Gesellschaft verleugnete. Genauso wenig wie diese Formen der Gewalt zur „menschlichen Natur“ gehören, tun es die anderen. Gewalt gegen Frauen ist ein gesellschaftliches Problem, das nur wegen fehlendem politischen Willen und ausbleibender Maßnahmen noch immer seiner Beseitigung harrt. Gesellschaften müssten vielmehr Gewalt gegen Frauen als fundamentale Menschenrechtsverletzung ernst nehmen, ihre Strukturen ändern und zu einem Problembewusstsein in der Bevölkerung beitragen, was viele NGOs heutzutage bereits tun.

Die Frage muss lauten: Was ist in einer Gesellschaft anders, in der Gewalt gegen Frauen seltener ist als in einer anderen? Der Umstand, dass türkische Migrantinnen signifikant häufiger Gewalt erleiden als z.B. Frauen der Mehrheitsgesellschaft, könnte nur aus einer rassistischen Position heraus für ein überzeitliches Phänomen erklärt werden – also eines, an dem niemand jemals etwas ändern kann. Ähnlich wäre es, wenn jemand behauptete, dass Deutschland im Jahr 2008 mit 37% Frauen mit Gewalterfahrungen bereits alles Menschenmögliche ausgeschöpft hätte – Verbesserungen also nicht mehr möglich wären. Eine solche Einstellung verkennt darüber hinaus, dass statistische Häufigkeit zwar Zusammenhänge aufzeigen, aber nichts über den einzelnen Menschen aussagen kann. Zudem verfehlen viele aufklärende Maßnahmen durchaus nicht ihre Wirkung, auch wenn sie immer wieder evaluiert und weiterentwickelt werden müssen. Seit nicht allzu langer Zeit gibt es speziell für Männer (aber auch Frauen) mit Migrationshintergrund Aufklärungsprogramme gegen Gewalt im Namen der „Ehre“.

Diese Maßnahmen sind längst überfällig. Es muss aber auch mehr Programme für alle Männer und Frauen geben, die sich gegen geschlechtsrollenbedingte Gewalt im Allgemeinen richten. Wenn man das Männerbild hinter dem Kopftuchgebot des Islam kritisiert, sollte man bedenken, dass in Deutschland vor einigen Jahrzehnten Frauen, die Miniröcke trugen, bei Vergewaltigung regelmäßig zu hören bekamen, dass sie die Täter mit ihrer Kleidung provoziert hätten. Auch die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe erst ab 1997 weist in eine ähnliche Richtung.

Die Arbeit von Frauenrechtsinitiativen schafft die Voraussetzungen für die tatsächliche Durchsetzung von Menschenrechten auch für Frauen (ca. die Hälfte jeder menschlichen Population), darum ist sie wichtig und unersetzlich. Inzwischen erreicht sie zunehmend Männer, die (mit Frauen) in Initiativen gegen Männergewalt wirken. Den Begriff „Männergewalt“ führen sie im Namen. Damit schließen sie sich der politischen Praktik an, die die möglichst genaue Benennung eines Phänomens als Voraussetzung zu wirkungsvoller Kritik begreift. Sie richten sich vornehmlich gegen Gewalt gegen Frauen. Der methodische Zugang über den Begriff Männergewalt könnte theoretisch aber eine Ausweitung der Kritik ermöglichen. So werden viele Jungen und Männer sogar häufiger als Mädchen und Frauen Opfer von Gewalt durch andere Jungen und Männer. Zusammen bildet die von Jungen und Männern ausgehende Gewalt – unabhängig davon, ob sie sich gegen andere Jungen und Männer oder gegen Mädchen und Frauen richtet – die mit weitem Abstand häufigste Gewalt auch in Deutschland. Diese Gewalt ist, weil sie als Beweis der eigenen Männlichkeit oder zur Bestärkung einer hegemonialen männlichen Identität dient, letztlich geschlechterrollenbedingte Gewalt. Auch sie wird bagatellisiert, naturalisiert und auf gesellschaftlicher Ebene weitgehend ignoriert. Als geschlechtsrollenbedingte Gewalt verstärkt sie das geschlechtsrollenbedingte Selbstverständnis der Täter und der Opfer. Dass diese Gewalt bzw. dieser Teil der Betroffenen gar nicht erst genannt wird, hängt vermutlich mit dem Männlichkeitsideal der Stärke zusammen, das das Eingeständnis von Schwäche zu einem Tabu macht. Dass es von Frauen ausgehende Gewalt gibt, will ich nicht leugnen. Es ging mir lediglich um eine möglichst wirkungsvolle Kritik, die sich daher auf die wesentlichen Strukturen konzentrierte.


Katharina Eichler