Lehren aus dem Minarettverbot

MASTERSHAUSEN. (hpd) 58 Prozent der Wähler haben sich bei der Schweizer Volksabstimmung am vergangenen Sonntag dafür entschieden, den Bau von Minaretten künftig zu verbieten. Was ist davon zu halten?

 

Ein Kommentar von Michael Schmidt-Salomon.

Ist die Mehrheit der Schweizer fremdenfeindlich oder politisch so unbedarft, dass sie rechtspopulistischer Propaganda willfährig auf den Leim geht? In der medialen Berichterstattung über den Volksentscheid wird dieser Eindruck momentan erzeugt, doch eine solche Einschätzung zielt, wie ich meine, auf bedenkliche Weise am Kern des Problems vorbei.

Dass die Kampagne für das Minarettverbot mit fremdenfeindlichen Ressentiments arbeitete und damit auch einen Teil der Schweizer Bevölkerung ansprach, ist nicht zu bezweifeln. Doch dies alleine hätte niemals für eine Mehrheit beim Volksentscheid gereicht. Für das Verbot stimmten ganz offensichtlich auch Menschen, denen man Fremdenfeindlichkeit nicht vorwerfen kann. Doch wie ist das zu erklären?

Ich habe auf meinen Vorträgen in der Schweiz zahlreiche Menschen getroffen, die genau wussten, dass ein Minarettverbot in der Verfassung im Grunde grober Unfug ist und wohl auch gegen die „Europäische Menschenrechtskonvention“ verstößt. Dennoch haben sich einige von ihnen „mit schlechtem Gewissen“, wie sie sagten, für die Minarettverbots-Initiative ausgesprochen. Warum? Weil sie mit dieser Entscheidung ein Zeichen setzen wollten gegen den politischen Islam, gegen Kopftuchzwang und Ehrenmorde, gegen die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen, kurzum: gegen all die reaktionären Werte, die von einigen führenden Islamlobbyisten (und leider auch einer steigenden Anzahl von Muslimen in der Bevölkerung) tatsächlich vertreten werden und die so gar nicht mit den Leitideen einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft in Einklang zu bringen sind.

Wenn sich Bürger gezwungen sehen, gegen ihre demokratischen Überzeugungen zu stimmen, so ist dies ein deutliches Anzeichen dafür, dass in der politischen Debatte etwas grundlegend schief läuft. Der Westen hat es bislang nicht geschafft, seinen eigenen Wertekanon, das heißt: die Kultur der Menschenrechte, der Aufklärung und des Humanismus, mit der notwendigen Entschiedenheit zu vertreten und Menschenrechtsverletzungen im Namen der Religion zu bekämpfen. Dies hat im Laufe der Zeit gehörigen Unmut in der Bevölkerung produziert, der in der Schweizer Volksabstimmung nun ein Ventil gefunden hat.

Es handelt sich hierbei allerdings keineswegs um ein Problem, das allein die Schweiz betrifft. In Deutschland wie in den anderen europäischen Ländern würde es ähnliche Abstimmungsergebnisse geben, sofern die Wähler dort ähnliche politische Einflussmöglichkeiten besäßen wie in der Urdemokratie der Schweiz. (In einer derzeit laufenden Spiegel-Online-Umfrage stimmen 77 Prozent für ein Minarettverbot in Deutschland – und unter diesen Befürwortern finden sich mit Sicherheit nicht nur Ausländerfeinde!) Politischen Handlungsbedarf gibt es also überall. Was aber müsste getan werden, damit die berechtigte Kritik am orthodoxen Islam nicht doch allmählich in fremdenfeindliches Ressentiment umkippt? Hierzu drei Vorschläge:

Erstens: Die westlichen Länder müssen ihre eigenen Spielregeln deutlicher als bisher definieren und beherzter durchsetzen – gerade auch gegenüber denjenigen, die sich zur Begründung ihrer reaktionären Vorstellungen auf angeblich „heilige Werte“ berufen. Es sollte klar sein, dass Menschenrechtsverletzungen weder innen- noch außenpolitisch toleriert werden dürfen. Darüber hinaus sollte der Staat endlich seiner Aufgabe nachkommen, durch eine verstärkte Integrationspolitik all jene Migranten und Migranteninitiativen aktiv zu fördern, die sich zu seinen Rahmenwerten bekennen. Die Handlungsspielräume derer, die dem notwendigen Grundkonsens einer offenen Gesellschaft widersprechen, sollten demgegenüber empfindlich begrenzt werden.

Zweitens: Da reaktionäre Wertvorstellungen meist Ausdruck mangelhafter Bildung sind, sollten die Schulen zu Lernorten werden, in denen traditionelle Vorstellungen kritisch hinterfragt werden. Hierzu bietet sich insbesondere ein für alle Schüler verbindlicher Ethikunterricht an. Der religiösen Gettoisierung der Gesellschaft sollte bereits in der Grundschule entgegengewirkt werden!

Drittens: Der Diskurs über den Islam krankt daran, dass liberale Muslime in der öffentlichen Debatte kaum auftreten. Progressiv denkende Muslime, die für die Gleichberechtigung von Mann und Frau eintreten, die Ehrenmorde verurteilen und Homosexuelle ganz selbstverständlich akzeptieren, die ihre Kinder nicht verschleiern und die sich über Fatwas gegen Religionskritiker ebenso empören wie wir, müssen sich stärker als bisher zu Wort melden. Sie dürfen es nicht den konservativen Islamverbänden überlassen, die Gesamtheit der Muslime zu repräsentieren. Bislang sind die Aleviten hierzulande die einzige Gruppierung, die sich für einen aufgeklärten Islam öffentlich stark macht. Doch das ist bei weitem nicht genug! Ein Verband liberaler Muslime ist dringend vonnöten! Wir von der Giordano Bruno Stiftung würden eine solche Vereinigung liebend gern unterstützen, so wie wir es auch im Fall des „Zentralrats der Ex-Muslime“ tun und getan haben.

Fazit: Es wäre höchst bedenklich, würde das aktuelle Votum für das Minarettverbot als Anlass genommen werden, ausgerechnet den Schweizern (!) mangelhaftes Demokratieverständnis vorzuwerfen. Vielmehr sollte es als Warnsignal begriffen werden, das uns zu einem anderen Umgang mit dem politischen Islam auffordert. Sollte die Schweizer Volksabstimmung einen solchen Umdenkungsprozess einleiten, so hätte das Votum vom Sonntag tatsächlich etwas Positives bewirkt – auch wenn ich persönlich, wenn man mich gefragt hätte, „mit schlechtem Gewissen“ gegen das Minarettverbot gestimmt hätte…

Michael Schmidt-Salomon ist Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung.