"Outsourcing" staatlicher Aufgaben

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Abstieg / Foto: Klaus-Uwe Gerhardt (pixelio)

MARBURG. (hpd) "Den Folgen von Armut zu begegnen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", meinen der Landkreis Marburg-Biedenkopf und der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB). Deswegen ruft der Landkreis gemeinsam mit dem Marburger Kinderschutzbund jetzt einen lokalen Aktionsfonds gegen Kinder-Armut ins Leben.

Bei der Versorgung bedürftiger Kinder sollen Spender nun dort einsteigen, wo der Staat spart. Angesichts der offenbar zu geringen Regelsätze von Hartz IV sollen mitfühlende Mitmenschen den Mangel lindern nach dem alten Ablass-Motto: "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt."

Seiner elementaren Verpflichtung zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums der Bürgerinnen und Bürger kommt der Staat seit Einführung des Sozialgesetzbuchs II (SGB II) – im Volksmund besser bekannt als "Hartz IV" – nach Ansicht vieler Experten nicht in ausreichendem Maße nach. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wird heute (9. Februar) eine Entscheidung zur angemessenen Festlegung der Regelsätze verkünden.

Zahlreiche Indizien weisen darauf hin, dass ihre Höhe nicht ausreicht, um ein gleichberechtigtes Leben in der Gemeinschaft führen zu können. So gibt es in Deutschland inzwischen mehr als 5.000 so genannte "Tafeln", die Lebensmittel an Bedürftige verteilen.

Noch vor zehn Jahren wäre jede Prognose, dass Deutschland im "Agenda-Jahr" 2010 über ein flächendeckendes Netz solcher "Tafeln" verfügen werde, als unglaubliche Schwarzmalerei abgetan worden. Doch selbst in Kleinstädten wie Bidenkopf existiert inzwischen eine eigene "Tafel".

Pikant ist dabei die Tatsache, dass diese Vereine weltweit von der US-amerikanischen Unternehmensberatung "MacKinsey" kostenlos beraten werden. Sie hat Muster für die Struktur einer effizienten Verteilung abgelaufener Lebensmittel an Bedürftige erarbeitet und reicht sie an die jeweiligen Vereine weiter. Böse Zungen bezeichnen diese Hilfsleistung als "Aufwisch-Strategie für die Auswirkungen der neoliberalen Verelendungspolitik".

Zu den Tafeln hinzu kommen Kleiderkammern wie beispielsweise beim Diakonischen Werk Oberhessen (DWO) in Marburg. Dort können Bedürftige bereits getragene Kleidung abholen, die deren frühere Besitzer in einigermaßen gutem Zustand abgeliefert haben.

Angesichts der derzeitigen Rahmenbedingungen sind Einrichtungen wie die "Tafeln", Kleiderkammern und sogar Fonds gegen Armut bitter nötig. Schließlich kann man die Menschen ja nicht am ausgestreckten Arm verhungern oder erfrieren lassen.

Doch tragen solche Einrichtungen zugleich dazu bei, die ungerechte Situation steigender Armut abzupuffern und noch halbwegs erträglich zu machen. Dabei wäre der Kampf gegen Armut eine originäre Aufgabe des Staates.

Bei der Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums dürfen Sparzwänge nach Auffassung des Marburger Rechtsanwalts Dr. Peter Hauck-Scholz keine Rolle spielen. Artikel 1 des Grundgesetzes verpflichtet alle staatlichen Organe zum uneingeschränkten Schutz der Menschenwürde.

Wenn in Berlin einmal wieder von Steuersenkungen geredet wird, sollte man die steigenden Kosten für die Bürgerinnen und Bürger wie auch das steigende Elend von Beziehern sozialer Transferleistungen mit dem Steuernachlass verrechnen. Bei der Marburger Tagung "Wenn die Würde gewürdigt würde – Kurskorrektur hin zu Sozialen Grundrechten" am Samstag (30. Januar) hab Dr. Kai Eicker-Wolf vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vorgerechnet, dass der Fiskus allein im Jahr 2009 über zusätzliche 50 Milliarden Euro verfügen würde, wenn die Steuersenkungen der letzten zehn Jahre nicht stattgefunden hätten.

Die viel zitierten "Sparzwänge" haben die unterschiedlichen Bundesregierungen seit 1998 also selbst verursacht. Ausgetragen werden ihre Folgen nun aber auf dem Rücken der Armen.

"Outsourcing" nennen Unternehmen die Ausgliederung von Leistungen. Durch ihre Verlagerung in Fremdfirmen oder oft auch in eigene Tochterunternehmen sollen diese Leistungen kostengünstiger erbracht werden als im eigenen Haus. Dieselbe Strategie verfolgt der Staat schon seit Jahren bei den Sozialleistungen.

Kirchliche Einrichtungen oder Träger der Freien Wohlfahrtspflege erbringen viele Leistungen im sozialen Bereich mit Hilfe ehrenamtlicher Freiwilliger. Das hohe Lied des Ehrenamts wird daher in letzter Zeit gerade von staatlichen Stellen nicht ohne Grund gesungen.

Mittlerweile ist auch ein Netz so genannter "Freiwilligen-Agenturen am Entstehen. Sie vermitteln Ehrenamtliche an gemeinnützige Vereine und Organisationen.

Regelrechte Stellenausschreibungen suchen nach Freiwilligen für Funktionen im sozialen Bereich. Mitunter werden da Aufgaben ausgeschrieben, die früher durch versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wurden.

Anscheinend werden diese Arbeiten aber nicht mehr finanziert. Ohne das bürgerschaftliche Engagement vieler Zeitgenossen ginge vieles offenbar nicht mehr.

Wer aus Mitgefühl mit sozial benachteiligten Kindern spendet und damit dem staatlichen Outsourcing von Sozialen Leistungen – möglicherweise widerwillig – Vorschub leistet, sollte sich aber eine Perversität von Hartz IV vergegenwärtigen: Nach der Gesetzeslage müssen die Bezieher von Leistungen alle Einkünfte mit ihrem ALG II verrechnen. Größere Spenden könnten dann möglicherweise nicht den Betroffenen zugute kommen, sondern dem gnadenlos geizigen Staat.

Franz-Josef Hanke