Die guten Hirten

Phänomenales Unverständnis

Die jüngste Stellungnahme der katholischen Bischofskonferenz zeigt ein Mitgefühl für die Opfer und den Wunsch, den Menschen zu helfen, deren Leben zerstört wurde. Und ein phänomenales Unverständnis für strukturelle Verantwortlichkeiten, die jegliches Mitgefühl mehr als wettmachen. Im wesentlichen geht man immer noch davon aus, dass kinderschändende Priester tragische Einzelfälle sind, die man vielleicht durch die eigene Vertuschung unlautererweise geschützt hat. Das ist nur die halbe Miete.

Es stimmt, wenn Schönborn sagt, dass die meisten Missbrauchsfälle innerhalb der Familie stattfinden. Spricht das die katholische von ihrer Verantwortung frei? Keineswegs. Gerade sie ist es, die ein Familienbild propagiert, das tausende Kindesvergewaltigungen in Österreich jedes Jahr ermöglichen. Die heile, die unauflösliche Familie, in der alle Probleme mit Beten und Verzeihen aus dem Weg geräumt werden. Ein Weltbild, in dem Menschen Kraft ihrer Funktion unhinterfragbare Autorität haben. Autoritäten, denen man sich unterzuordnen und bedingungslos anzuvertrauen hat.

Nirgends wird das so deutlich wie in der Beichte. Wer Kinder zur Beichte zwingt, darf sich nicht wundern, wenn sie sich gegen Männer, die sich an ihnen vergehen, nicht zur Wehr setzen können. Der Beichtstuhl ist die praktizierte Unterordnung unter den Hirten, die praktizierte Erniedrigung der kindlichen Seele. Zusätzlich wird den Kindern hier das Bewusstsein der Grundschuld eingeimpft. Das verstärkt kindliche Tendenzen, sich als Schuldiger und nicht als Opfer zu fühlen, wenn sich ein Mann an ihnen vergeht. Sei es der eigene Vater, Bruder oder ein Pfarrer.

Das ist eine gesellschaftliche Verantwortung, die die katholische Kirche trägt. Sicher trifft das auch hierzulande auch auf andere gesellschaftliche Gruppen zu. Die Kirche allerdings heftet sich das auf die Fahnen und reklamiert allgemeine Bewunderung ob ihrer angeblichen ethischen Autorität (nebst reichlich fließenden öffentlichen Mitteln). Und sie bekämpft mit Zähnen und Klauen eine Gesellschaft, die diese Grundübel entsorgt. Wer das traditionelle Familienbild infrage stellt, propagiert nach katholischem Verständnis den Zusammenbruch der sittlichen Ordnung. Und damit irgendwie den Weltuntergang als solchen. Zumindest langfristig. Siehe den Kampf gegen die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. Oder gegen das Recht der Frau auf den eigenen Körper.

Der Kampf um eine hierarchische und patriarchale Gesellschaft ist eine Lebensbedingung für die katholische Kirche. Nur in einer solchen kann sie ihre Strukturen aufrecht erhalten, ihre Ideologie verbreiten. Dass sich die Gesellschaft geöffnet hat, erklärt auch die schwindende Bedeutung der katholischen Kirche. Bei allem Bemühungen – so verbiegen, dass sie in diese moderne Welt hineinpasst, kann sie sich nicht. Das hieße, ihr Innerstes zu verleugnen und zu zerstören. Natürlich gilt das nicht nur für die katholische Kirche – aber sie ist in dieser Hinsicht wesentlich stärker an die Voraussetzungen gebunden als Religionsgemeinschaften, die ahierarchischere Vorstellungen von den Dingen haben.

Im Widerspruch zu den hierarchischen und autoritären Strukturen steht der Anspruch, Hüterin der Ethik und Beschützerin der Schwachen zu sein. Ein Anspruch, dem die katholische Kirche nie gerecht wurde. Ein Anspruch, dessen Leere besonders deutlich wird, wenn bekannt wird, dass katholische Pfarrer Kinder systematisch missbrauchen.
Das ist auch der Grundwiderspruch, an dem der katholische Kampf gegen Kindesmissbrauch in den eigenen Reihen scheitern muss und scheitert. Das Mitgefühl Schönborns kann die Struktur nicht wettmachen. Noch weniger kann und will Schönborn die inneren Strukturen, die den Missbrauch ermöglichen, zerschlagen. Das hieße, die Kirche in die Moderne zu führen. Daran würde sie zerbrechen.