Gummi statt Brot

MÜNCHEN / FRIEDBERG.

Zur „Kopftuchentscheidung" des
Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
vom 15.1.2007.

Ein Kommentar von Gerhard Czermak.

 

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof (VerfGH) beherrscht, wie man den Gründen der <Popularklage> entnehmen kann, trefflich die Kunst, wohlformulierte Sentenzen hervorzubringen, die weithin gut aufgenommen werden dürften und dabei für die landesüblichen traditionellen Auffassungen und Verhaltensweisen alle Möglichkeiten offen halten. Die Frage, ob das zu prüfende Gesetz die Kopftücher islamischer Lehrerinnen stets verbietet und in welchem Verhältnis das zur christlichen Ordenstracht oder zu einem demonstrativ getragenen religiösen Symbol steht, hat es wie das Gesetz nur ganz abstrakt behandelt. Das aber doch so, dass die Öffentlichkeit die Entscheidung nach den bisherigen Reaktionen eindeutig versteht: Kopftuch nein, Nonnentracht ja. Eindeutig ist allerdings folgende Aussage des Gerichtshofs: Auch eine religiös aussagekräftige Lehrerkleidung ist dann nicht zu beanstanden, wenn sie „mit den Grundwerten und Erziehungszielen der Verfassung" in Einklang steht.

Gerade das aber wirft die Frage nach der weltanschaulich-ideologischen Neutralität auf. Man kann getrost davon ausgehen, dass der VerfGH die Nonnentracht für unproblematisch hält; sie lugt sozusagen zwischen seinen Zeilen hervor. Unproblematisch ist sie aber nicht. Als solche ist sie nämlich durchaus geeignet, einen religiösen Einfluss auszuüben, zumal wenn (in aller Neutralität?) ein Kreuz im Klassenzimmer hängt. Die weit weniger eindeutige Kleidung von Bhagwan-Lehrern hat man in Bayern vor 20 Jahren mit höchstrichterlicher Billigung rigoros untersagt, weil sie demonstrativ sei und eine nicht hinzunehmende Beeinflussung ausüben könne. Man sah das Vertrauen in die ideologische Neutralität der Schule untergraben (obwohl es diese wegen einer jahrzehntelangen betont christlichen Schulpolitik im Volksschulwesen bisher nie gab bzw. gibt).

Das Problem besteht nach der jetzigen Neuregelung fort. Denn gerade das Neutralitätsgebot ist, theoretisch unbestritten, einer der Eckpfeiler der Religionsverfassung nicht nur des Grundgesetzes, sondern auch der Bayerischen Verfassung. Man mag vielleicht doch eine vertretbare Möglichkeit finden, das Ordenskleid in der Schule als einer quasi-gesellschaftlichen Einrichtung zu retten. Das ginge aber allenfalls, wenn das Gesamtverhalten des Ordensangehörigen das beamtenrechtlich zulässt. Dann muss aber auch eine Kopftuchtragende Muslima die Möglichkeit haben, ihre persönliche beamtenrechtliche Eignung unter Beweis zu stellen. Dieses Problem haben der bayerische Gesetzgeber und der VerfGH mit abstrakten Formeln nur kaschiert. Plausibel wird der Gesamtvorgang nur, wenn man seine eigentliche Bedeutung in etwas anderem sieht als darin, die Grundwerte der Verfassung besser zu schützen: Darin nämlich, dass es nur um eines geht: der Dominanz „des Christlichen" eine neue Korsettstange einzuziehen. Solche Bestrebungen stehen in klarem Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG).

Das BVerfG hat bekanntlich in seinem heiß diskutierten Kopftuchurteil von 2003 erklärt, die für das Schulwesen allein zuständigen Länder dürften in Gesetzen generelle Regelungen zur Bekleidung und religiösen Symbolik erlassen. Dabei könne auch das Kopftuch generell verboten werden. Für derartige Regelungen, die aber nicht ohne weiteres zu empfehlen seien, mahnte das BVerfG aber eindringlich die strikte Beachtung der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staats an. Die meisten derjenigen Länder, die solche Gesetze erließen, formulierten aber Bestimmungen, deren erkennbares Anliegen die Unklarheit ist; nur Berlin macht da eine auch unter dem Gesichtspunkt der Neutralität vorbildliche Ausnahme.

Den parlamentarischen Debatten nach ging es wesentlich darum, islamischen Lehrerinnen das Kopftuchtragen zu verbieten. In den Gesetzen selbst ist davon, etwas feige, nie die Rede. So ist auch das bayerische, jetzt vom VerfGH abgesegnete Gesetz denkbar vage. Äußere Symbole und Kleidungsstücke dürfen nach ihm „von Lehrkräften im Unterricht nicht getragen werden, sofern sie bei den Schülerinnen und Schülern oder den Eltern auch als Ausdruck einer Haltung verstanden werden können, die mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen der Verfassung einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten nicht vereinbar ist." Unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten aber bei wem sinnvollerweise welchen Eindruck hervorrufen kann, ist gerade beim (keineswegs nur aus islamistischen Gründen getragenen) Kopftuch Sache der Einzelbeurteilung unter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten Gesamtumstände.

Eine klare gesetzliche generelle Verbotsregelung sieht anders aus. Man frage einmal Politiker, was sie konkret unter „christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten" verstehen oder was mit Überzeugungen ist, die zwar „abendländisch", aber nicht „christlich" sind. Und ist nicht gerade auch die staatliche ideologische Neutralität ein wesentlicher Grundwert? Das jetzt formal aufrechterhaltene Gesetz ist völlig überflüssig. Denn unbestritten machte das Kopftuch in Bayern noch nie Probleme. Das Gesetz wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet, und das gilt auch für die Entscheidung des BayVerfGH. Deren Bedeutung darf ohnehin nicht überschätzt werden. Sie hat keinen Einfluss auf das Grundgesetz und das europarechtlich fundierte Verbot der Diskriminierung. Beide aber müss(t)en auch bayerische Richter stets vorrangig beachten.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Der Islamismus ist eine der großen Gefährdungen unseres Gemeinwesens. Islamistische Lehrerinnen haben in unseren Schulen nichts zu suchen, ob mit oder ohne Kopftuch. Aber nicht alle Kopftuchträgerinnen sind Islamistinnen. Den Islamisten verschafft es aber Auftrieb, wenn sich unser Staat zu Lasten des Islam nicht an seine eigenen Regeln hält. Wenn Kopftuch, Ordenskleid, Kippa und demonstratives Kreuz gleichermaßen untersagt werden, kann sich niemand beschweren. Aber Ordenskleid ja, Kopftuch nein: das kann auf Dauer nicht gut gehen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat das übrigens im Juli 2006 auch so gesehen.