Klage für Ethik an der Grundschule

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Zeichnung: Ignatius

FREIBURG. (hpd) Mehr als die Hälfte der Schüler der Karoline-Kaspar-Schule in Freiburg gehören keiner Konfession an. Ein Anteil, der die Einführung eines adäquaten Ersatzunterrichtes für das Fach Religion eigentlich selbstverständlich machen sollte. Da das Kultusministerium Baden-Württemberg hier allerdings ganz anderer Auffassung ist, wurde jetzt von Seiten der Eltern Klage eingereicht.

Das Kultusministerium zeigt keinerlei Problembewusstsein

Wenn es um den Ausbau des Ethikunterrichtes geht, liegt Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich ganz hinten. Bereits in sechs Bundesländern gibt es einen Ethikunterricht ab der 1. Klasse. In weiteren fünf Ländern wird das Fach Ethik zumindest ab der fünften Klasse angeboten.

In Baden-Württemberg ist Ethik erst ab der 8. Klasse vorgesehen und daran hält das Land nicht nur eisern fest, es weigert sich zudem, auch nur anzuerkennen, dass hier ein Problem vorliegt. Während bei den meisten andern Bundesländern wenigstens angekommen ist, dass hier Handlungsbedarf besteht, bleibt das Ministerium in Stuttgart überzeugt, seiner Aufgabe einer umfassenden Werteerziehung in den Schulen seines Landes vollkommen ausreichend nachzukommen. Bar jeder Einsicht wird die eigenständige Bedeutung eines Lehrfaches Ethik einfach in Abrede gestellt. Da die moralische-ethische Bildung und Erziehung zum pädagogischen Kernauftrag der Schulen gehöre, erübrige sich das Fach Ethik, so die Argumentation des Kultusministeriums (zumindest bis zur achten Klasse).

Mit der Einführung von Ethik ab der 8. Klasse „ist Sorge getragen, dass auch die den Religionsunterricht nicht besuchenden Schülerinnen und Schüler, beginnend in der für sie bisweilen schwierigen Zeit der Pubertät ein Fach haben, in dem sie über die Grundfragen des menschlichen Lebens nachdenken und sprechen können“, ist in der Antwort des Ministeriums auf den jüngsten Antrag auf Ethik zu lesen.

Während konfessionsfreie vorpupertäre Grundschüler sich also mit der ethischen Bildung, die ihnen ihre Mathe-, Sport- oder Englischlehrer vermitteln, begnügen müssen, wird auf den Religionsunterricht in der Grundschule jedoch großen Wert gelegt. Wie schief und wenig neutral die Auffassung des Kultusministeriums ist, wird deutlich, wenn es in einer Stellungnahme auf einen früheren Antrag auf die Einführung von Ethik in der Grundschule explizit feststellt, „dass Schülerinnen und Schülern vorrangig Anspruch auf Erteilung von Religionsunterricht in ihrem jeweiligen Glaubensbekenntnis haben“. Diesen Unterricht könne ein Fach Ethik nicht ersetzen. Das Ministerium sorgt sich offensichtlich um die Stellung des Religionsunterrichtes. Dies wird umso deutlicher, wenn man weiß, dass ein Ersatz des Religionsunterrichtes in dem damals eingereichten Antrag der Grünen tatsächlich gar nicht zur Debatte stand.

Die Elterninitiative für Ethik an der Grundschule reicht Klage ein

Während das Kultusministerium also keinerlei Notwendigkeit sieht, etwas an der bestehenden Regelung zu ändern, liegt für eine Elterninitiative, die sich für die Einführung eines Ethikunterrichtes an der Karoline-Kaspar-Schule in Freiburg einsetzt, ganz eindeutig eine inakzeptable und mit dem Grundgesetz unvereinbare Ungleichbehandlung zwischen konfessionell gebundenen Kindern und konfessionsfreien Kindern vor. (Näheres auch in den hpd - Artikeln „Kostenpflichtiger Ethik-Unterricht“ und „Ethikunterricht an der Grundschule“).

Nachdem alle Versuche beim Kultusministerium Gehör für ihr Anliegen zu finden, gescheitert sind, hat sich die Initiative jetzt zur Klage gegen das Land Baden-Württemberg entschlossen. Die Klage ging am 19.4.10 beim Verwaltungsgericht Freiburg ein.

Die jetzige Regelung verstößt gegen Artikel 3 und 4 des Grundgesetzes

Neben Artikel 3 GG, in dem klar geschrieben steht: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden", beruft sich die Klage auf Art. 4 GG, der die Glaubensfreiheit garantieren soll. Konkret steht dort: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.”

Durch die Weigerung, einen konfessionsfreien Ethikunterricht anzubieten, dränge das Land Baden-Württemberg die konfessionsfreien Schüler dazu, so die Argumentation, sich konfessionell zu orientieren. Damit liege ein Eingriff in die negative Glaubensfreiheit aus Art. 4 GG sowie ein Verstoß gegen das in Art. 140 GG i.V.m. Art. 136, 137 WRV garantierte Neutralitätsgebot vor.

Der Staat ist zur ethischen Bildung verpflichtet

Indem der Staat über die Einführung der Schulpflicht einen großen Teil der Bildung und Erziehung der Kinder an sich gezogen hat, habe er sich verpflichtet, alles hierzu Erforderliche tatsächlich auch zu leisten. Art. 7 GG über das Schulwesen, „normiert nicht nur eine Pflicht, Kinder in die Schule zu schicken, sondern auch eine Pflicht des Staates, eine umfassende schulische Bildung auch anzubieten”. Explizit betrifft dies die ethische Erziehung bzw. Bildung, zu der sowohl in der baden-württembergischen Verfassung (Art. 12) als auch in den Leitzielen des Schulgesetzes (§ 1) angehalten wird.

Während die hier festgeschriebene „ethische Bildung“ jedoch noch die „Verantwortung vor Gott“ und die „christliche Nächstenliebe“ beschwört, entfällt hierfür heute die soziale Grundlage. Denn eine durchgängig christlich geprägte Bevölkerung gibt es, wie in der Klage festgestellt wird, in der Bundesrepublik nicht mehr. Sie ist einer Pluralität religiöser und weltanschaulicher Orientierung gewichen, der letztlich nur ein „einheitlicher, den übergeordneten Werte- und Normenkonsens vermittelnder Ethikunterricht“ gerecht werden kann. Der Alleinanspruch der Kirche bezüglich der ethisch-moralischen Bildung lasse sich somit nicht mehr rechtfertigen.

Die Ungleichbehandlung ist willkürlich

In den Grundschulen Baden-Württembergs aber auch in den weiterführenden Schulen ist für konfessionsfreie Kinder bis zur achten Klasse kein Ersatzunterricht für Religion vorgesehen, das aber heißt: Der Staat kommt seiner Verpflichtung zur ethischen Bildung gegenüber den konfessionsfreien Schülern nicht nach.

Zudem werden konfessionell gebundene Schüler in der Grundschule gegenüber nicht konfessionell gebundenen Schülern klar bevorteilt, “weil sie durch den konfessionellen Religionsunterricht einen den Staatszielen des Schulunterrichts entsprechenden moralisch-ethischen Unterricht erhalten” - wohingegen ein solcher Unterricht konfessionslosen Schülern verweigert wird.

Wie in der Klage klar festgestellt wird, gibt es für diese Ungleichbehandlung keine Rechtfertigung: “Sie ist willkürlich”.

Nur ein neutraler Ethikunterricht kann die Ungleichbehandlung beseitigen

Diese Ungleichbehandlung aufgrund der staatlichen Garantie des Religionsunterrichtes kann gemäß Art. 7 GG nur auf eine Art und Weise beseitigt werden, nämlich durch das gleichzeitige Angebot eines religions- und weltanschaulich neutralen, staatlichen Ethikunterrichts. Sofern Eltern daher, unter Berufung auf ihre eigene aber auch die Erziehungspflicht des Staates, die Einführung eines konfessionell neutralen Schulfaches der Werte- und Normenbildung verlangten, sei der Staat aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes verpflichtet, dieses auch anzubieten.

Allgemein wird in der Klage darauf verwiesen, dass für die ethische Bildung die Auseinandersetzung mit anderen Positionen und Auffassungen wesentlich sei. Nur so könnten Kinder lernen, ihre eigene Position zu begründen und die Auffassung anderer zu werten. Dies könne nicht in der Familie geleistet werden, sondern nur in größeren, heterogen zusammengesetzten Gruppen Gleichaltriger, wie sie in einer Schulklasse gegeben sind. Das aber heißt: „Wenn ein solcher Unterricht in der Schule nicht angeboten wird, findet eine entsprechende Bildung der Kinder nicht statt.“

Unabhängig vom Ausgang der Klage hofft die Initiative mit diesem konsequenten Schritt die Politik, die Medien und damit auch die Bevölkerung dazu zu bewegen, sich grundsätzlich mit der ihrem Anliegen zugrundeliegenden Problematik auseinanderzusetzen.

Anna Ignatius