"Gemeinsam Ethik statt getrennt Religion"

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Altes Klassenzimmer

Es sollte einen gemeinsamen Ethik-Unterricht geben – statt dem nach Konfessionszugehörigkeit getrennten Religionsunterricht. Das fordert der Zentralrat der Konfessionsfreien in einem aktuellen Papier. Der vorgeschlagene Weg: Vorschriften der Bundesländer sollen geändert werden – mit dem Ziel, dass öffentliche, staatlich getragene Schulen gemäß Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz als bekenntnisfrei gelten und daher keinen konfessionellen Religionsunterricht anbieten müssen.

Im Grundgesetz gibt es keine Regelung über den Mathematik- oder Lateinunterricht. Naja, warum auch? Sehr wohl aber, und zwar an prominenter Stelle im Grundrechtsteil, findet sich eine Vorschrift über den Religionsunterricht. In Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz heißt es: "Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt."

Fatale Aufteilung der Schüler in Gruppen

In Zeiten, in denen es in Deutschland so viele Konfessionsfreie gibt wie Katholiken und Protestanten zusammengenommen unternimmt der Zentralrat der Konfessionsfreien nun einen neuen Anlauf, das zu ändern. In dem Papier "Bekenntnisfreie Schule im bekenntnisfreien Staat. Gemeinsam 'Ethik' statt getrennt 'Religion'" wird Ahmad Mansour zitiert. In seinem Buch "Generation Allah" thematisiert der Psychologe, dass deutsche Schulen der religiösen Radikalisierung unter Jugendlichen oft hilflos gegenüberstehen. Er nennt verschiedene Gründe hierfür, doch gerade den konfessionellen Religionsunterricht hält er für "fatal": "Warum teilt man die Kinder auf, so dass Katholiken in Klasse A, Protestanten in Klasse B, Muslime in Klasse C gehen? Was für ein Bild bekommen die Gruppen voneinander? Eben: Die anderen sind anders!"

Diese religiöse Trennung, so der Zentralrat der Konfessionsfreien, sei nicht mehr zeitgemäß. So wie es keinen "SPD-", "CDU-" oder "AfD-Politikunterricht" geben dürfe, in dem "bekennende" Parteimitglieder ihre Überzeugungen an die Kinder von SPD-, CDU- oder AfD-Wählern vermitteln, sollte auch Religion unparteiisch und neutral vermittelt werden – zumal "Reli" vollständig aus Steuergeldern finanziert werde. Der Zentralrat betont: "Es gibt keine religiösen Kinder, nur Kinder religiöser Eltern. Denn die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion entsteht erst durch Erziehung und durch Sozialisation, bei der der Religionsunterricht eine Schlüsselrolle spielt. Konfessioneller Religionsunterricht dient nicht primär der Vermittlung von Wissen, sondern der Vermittlung eines bestimmten Glaubens – und damit der religiösen Beeinflussung von Kindern."

Anders als die Aufteilung von Kindern nach dem Glauben ihrer Eltern fördere dagegen das gemeinsame Lernen die selbstbestimmte Entwicklung der Schulkinder, wirke gesellschaftlicher Spaltung entgegen und schaffe Grundlagen für ein friedliches Miteinander. Die Forderung daher: Schüler sollten zu Themen der Religion, zu Sinn- und Wertfragen nicht religiös getrennt, sondern gemeinsam unterrichtet werden. Der Zentralrat der Konfessionsfreien argumentiert, dass diese Position sich mit der Meinung der Bevölkerung deckt: Laut einer GfK-Umfrage von 2022 befürworten 72 Prozent der Deutschen einen "Ethikunterricht für alle". Unter Konfessionsfreien ist die Zustimmung mit 86 Prozent besonders hoch, doch auch in allen Religionsgemeinschaften sind Mehrheiten dafür: 57 Prozent der Katholiken, 67 Prozent der Evangelischen, 60 Prozent der Muslime.

Weltanschauliche Manipulation

Michael Schmidt-Salomon, Vorstand der Giordano-Bruno-Stiftung, hatte schon in einem vor 13 Jahren in der Zeitschrift Pädagogik veröffentlichten Streitgespräch argumentiert:

"Ich bin aus verschiedenen Gründen ein Gegner des konfessionellen Religionsunterrichts: Erstens verstärkt er den Trend zur religiösen Gettoisierung der Gesellschaft. Zweitens ist er ein Fremdkörper im schulischen Curriculum, das Erkenntnisse vermitteln soll, die belegt sind – nicht Bekenntnisse, die weitgehend widerlegt sind. Drittens fördert der Religionsunterricht die problematische Neigung zum konventionellen Denken, da er grundsätzlich von einer göttlich vorgegebenen Werteordnung ausgehen muss. Viertens untergräbt die religiöse Rückbindung der Normen eine politische Einsicht, die für plurale Gesellschaften maßgeblich ist: Denn Werte, die für alle gelten sollen, müssen auch für alle einsichtig sein, weshalb sie eben nicht auf religiösen Überzeugungen fußen dürfen, die weite Teile der Bevölkerung nicht akzeptieren. Fünftens – und das ist vielleicht der schwerwiegendste Einwand – läuft der konfessionelle Religionsunterricht auf eine weltanschauliche Manipulation von Kindern und Jugendlichen hinaus."

Heute, 13 Jahre später, fügt Schmidt-Salomon hinzu:

"Zwar dürfen Eltern ihre Kinder im Sinne ihrer jeweiligen Präferenzen erziehen, aber das heißt keineswegs, dass der weltanschaulich neutrale Staat eine solche Perspektivverengung aktiv unterstützen darf. Im Gegenteil, denn Kinder haben ein Recht darauf, möglichst vorurteilsfrei in die Welt eingeführt zu werden. Sie haben ein Recht darauf, die Tatsachen des Lebens zu erfahren und verschiedene Perspektiven kennenzulernen, mit deren Hilfe sie später ihre eigene Sicht der Dinge entwickeln können, ohne von Vornherein ideologisch in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden."

"Es wird Zeit, dass die Bundesländer ... ihren Schulen die Möglichkeit geben, als 'Bekenntnisfreie Schule' nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes zu arbeiten" (Gerhard Lein)

Der Zentralrat der Konfessionsfreien betont in seinem Papier, dass in anderen europäischen Ländern – etwa in Schweden, Norwegen, England oder Luxemburg – Religion nicht konfessionell unterrichtet beziehungsweise das Phänomen "Religion" im Rahmen eines gemeinsamen Werte- oder Ethikunterrichts behandelt werde. In einem Werteunterricht erhalten Schülerinnen und Schüler eine gemeinsame Grundlage in ethischen, philosophischen und religionskundlichen Themen, ohne dass sie nach der Religionszugehörigkeit ihrer Eltern separiert werden. Dieses integrative Modell fördert den Dialog zwischen unterschiedlichen Weltanschauungen und leistet einen Beitrag zu mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt.

Diese Position teilt auch Gerhard Lein. Der ehemalige Gesamtschuldirektor und Lehrer unter anderem für evangelische Religion ist Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Säkularität und Humanismus beim Parteivorstand der SPD und engagiert bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Sein Plädoyer: "Wenn eine gesellschaftliche Forderung ist, über Werte, Religionen und Weltanschauungen gemeinsam zu sprechen, und unsere Schulen ein bedeutsamer Ort dafür sind, dann müssen Schulen Räume für gemeinsamen Dialog bieten. Voneinander lernen nicht übereinander reden. Eine bekenntnisfreie Schule hat – frei von bestimmender Einflussnahme durch Religions- und Weltanschauungsgesellschaften – die Möglichkeit, solchen Unterricht anzubieten."

Lein kritisiert: "Religionsunterricht als einzig genanntes Fach in unserem Grundgesetz trennt Schüler nach den Bekenntnissen ihrer Eltern. Das Bundesverfassungsgericht hat 1987 entschieden, dass in diesem Unterricht nicht Religionskunde gelehrt werden darf, vielmehr muss es um den Bekenntnisinhalt als 'bestehende Wahrheit' gehen – so die Verfassungsrichter. Wer sich und seine Kinder solcher Indoktrination (selbst wenn sie im Einzelfall noch so liberal unterrichtet wird) nicht aussetzen will, findet häufig keine Alternative, denn gerade im Grundschulbereich ist das Interesse der Religionsgesellschaften groß, ihren Einfluss auf die Kinder zu behalten."

Vermittlung von Bekenntnissen statt Erkenntnissen

Der Zentralrat der Konfessionsfreien kritisiert in seinem Papier: "Im Gegensatz zu allen anderen Fächern und dem allgemeinen Zweck schulischer Bildung, vermittelt der Religionsunterricht nicht in erster Linie Erkenntnisse, sondern Bekenntnisse. Trotzdem ist er versetzungsrelevant. In einigen Bundesländern ist der Religionsunterricht auch als Prüfungsfach im Abitur zugelassen. So lässt sich die Abiturnote durch Leistungen in einem Bekenntnisunterricht verbessern, die schließlich als Zugangsvoraussetzung für Studienfächer gilt, die aufgrund hoher Nachfrage durch den Numerus Clausus begrenzt sind."

Eine Absage erteilt der Zentralrat der Konfessionsfreien dagegen Versuchen, den Erhalt des konfessionellen Religionsunterrichtes abzusichern, indem er ausgedehnt wird und mehrere Konfessionen in einem Schulfach vereint. Das führe zu neuen Spannungsfeldern. "Diese Modelle verfehlen das verfassungsgerichtliche Gebot klarer Bekenntnisorientierung und stoßen pädagogisch wie organisatorisch an ihre Grenzen. Zwar ändert sich die äußere Form, doch bleibt es beim 'bekenntnishaften Unterricht', der weiterhin die weltanschauliche Neutralität staatlicher Schulen infrage stellt."

Der Weg zum Ziel

Was tun? Die Hürden für eine Grundgesetzänderung im Sinne einer Abschaffung des Religionsunterrichts scheinen unüberwindbar. Der Zentralrat der Konfessionsfreien sieht daher einen leichter umzusetzenden Hebel, der an der Formulierung des Artikels 7 Absatz 3 Grundgesetz ansetzt, wonach ja der Religionsunterricht an bekenntnisfreien Schulen gerade kein ordentliches Lehrfach ist. Die an die Bundesländer mit ihrer Schulhoheit gerichtete Forderung: Ändert die Länder-Schulgesetze und Verwaltungsbestimmungen mit dem Ziel, dass öffentliche, staatlich getragene Schulen gemäß Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz als bekenntnisfrei gelten und daher keinen konfessionellen Religionsunterricht anbieten müssen.

So würde der Weg frei für einen Unterricht mit Wissensvermittlung im Rahmen eines gemeinsamen bekenntnisfreien Unterrichts mit neutraler sachlicher Vermittlung von Ethik, Weltanschauungen und Religionen. Auch der frühere Gesamtschuldirektor und Religionslehrer Gerhard Lein betont: "Es wird Zeit, dass die Bundesländer ihre Schulgesetze überarbeiten und ihren Schulen die Möglichkeit geben, als 'Bekenntnisfreie Schule' nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes zu arbeiten, in denen der bekenntnisgebundene Religionsunterricht nicht als ordentliches Lehrfach angeboten werden muss."„“

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