Die Geheimnisse von Fatima

Die Geheimnisse von Fatima IV – Der Kommunismus

Der Papst ist mittlerweile in Fatima eingetroffen. Zu den Marienerscheinungen soll er sich bekannt salomonisch geäußert haben: Für ihn seien solche Visionen “keine Frage einer normalen äußeren Sinneswahrnehmung”, aber auch nicht bloß fromme Einbildung. Die Seele der Seher, so Ratzinger, werde “von etwas Realem berührt, auch wenn es jenseits der Sinne liegt”.

Nun ja, genau so hatten wir das Zustandekommen der “Erscheinungen” bereits weiter oben in Teil I erklärt.

Aber gehen wir weiter bei unserer skeptischen Erkundung: Am südlichen Zugang zum Sanktuarium in Fatima stößt man auf ein Betonteil der Berliner Mauer hinter Glas. Was hat es damit auf sich?

Der Aufstieg Fatimas zum kirchlich anerkannten “Erscheinungsort” und zu einem der größten Marienheiligtümer der katholischen Kirche ist eng mit der ihm zugeschriebenen weltpolitischen Bedeutung verbunden – gilt Fatima den Gläubigen doch als die „entscheidende Station auf dem Weg zur Rettung“, sprich: bei der ideologischen und praktischen Überwindung des „atheistischen Marxismus“. Der Regensburger Bischof Rudolf Graber schrieb: „Fatima ist die Antwort des Himmels an Moskau“. Und auf der Webseite Fatima prophetisch lesen wir: „Am 13. Juli 1917 spricht die Gottesmutter eindeutig vom Ende des staatsgetragenen Atheismus, auch wenn dieser für eine längere Zeit seine Herrschaft über Völker und Kontinente ausbreiten wird. Und sie legte es in unsere Hände, an der Befreiung aus dem diktatorischen Joch des Atheismus mitzuwirken: Wenn man auf meine Worte hört, wird Russland sich bekehren und es wird Friede sein, wenn nicht, wird es seine Irrlehren über die Welt verbreiten, wird Kriege und Kirchenverfolgungen heraufbeschwören; die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben, verschiedene Nationen werden vernichtet werden." Nimmt man diese Sätze einzeln, so fällt auf, dass die Gottesmutter den Sieg des Glaubens über den Atheismus (was wohl unter ,Russland’ zu verstehen ist) an die Weihe Russlands durch die Kirche bindet.”

Wie schon weiter oben in Teil I und Teil III dargelegt, hatte die “Erscheinung” an allen sechs Erscheinungstagen von Mai bis Oktober 1917 weder zukünftige Ereignisse vorhergesagt noch den Kommunismus gegeißelt. Es ging in den “Botschaften” an die drei Seherkinder um nichts weiter als um die Aufforderung, den Rosenkranz für die Beendigung des Ersten Weltkriegs zu beten.

Die Rolle Fatimas beim Kampf der Kirche gegen den Kommunismus ist eine nachträgliche Konstruktion – und muss in unmittelbarem Zusammenhang mit der Geschichte Portugals sowie der persönlichen Lebensgeschichte der Haupt-”Seherin” Lucia Santos betrachtet werden.

Seit dem Ende der Monarchie im Jahr 1910 befand Portugal sich praktisch permanent im Ausnahmezustand. Innerhalb weniger Jahre wechselten sich insgesamt 45 instabile Regierungen in rascher Folge ab. Und fast immer ging es dabei um harte Auseinandersetzungen zwischen klerikalen und antiklerikalen Kräften, also zwischen Katholiken und Sozialisten.

Schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt wurde der Versuch unternommen, die “Marienerscheinungen” von 1917 politisch zu instrumentalisieren. Konkret bereits im Dezember desselben Jahres. Nach einem Putsch in Lissabon übernahm eine prokatholische Militärjunta die Macht im Land – wenn auch nur für ein Jahr. Eine Zeitung schrieb dieses Ereignis prompt der „mütterlichen Hilfe der Jungfrau für unser Vaterland“ zu. Auch ein deutscher Theologe äußerte sich dazu wie folgt: „Das portugiesische Volk wurde durch die Ereignisse von Fatima so erschüttert, dass schon wenige Wochen später der konservative Führer Sidónio Pais seinen Staatsstreich wagen konnte.“

Weniger schwärmerisch veranlagte Gemüter sehen die Sachlage etwas anders: „Die einen sind der Meinung, dass man eine authentische Erscheinung der Jungfrau Maria zur Rechtfertigung eines Putsches von rechts ausnützte“, hat die Historikerin Monika Hauf recherchiert. „Andere halten sogar die Erscheinung an sich für ein geschicktes Machwerk der Klerikalen.“

Wie auch immer: Fraglos wurde die “Seherin” Lucia Santos durch die anhaltenden politischen Kämpfe und die Kommunistenangst der Kirche in ihrer Heimat tief geprägt. Eine direkte Verbindung zu den “Erscheinungen” von 1917 stellte sie nachweislich erst 1930 her. Zu diesem Zeitpunkt nämlich erreichte Schwester Lucia im Kloster zu Tuy eine Anfrage ihres ehemaligen Beichtvaters José Bernardo Gancalves: Inwieweit die angebliche “Bitte der Gottesmutter um die Praxis der Sühneandacht zu ihrem Unbefleckten Herzen” etwas mit der Kirchenverfolgung in der Sowjetunion zu tun haben könnte?

Gancalves bezog sich in seinem Brief auf eine Äußerung Lucias von 1926, nach der die Gottesmutter bei den Erscheinungen von 1917 die Verehrung des „Unbefleckten Herzens Mariens“ in Form einer besonderen Andacht gefordert habe, die die Versöhnung der Menschheit mit Gott bewirken könne. Außerdem erfand Lucia in diesem Zusammenhang eine „Sühnekommunion“ jeweils am ersten Samstag von fünf aufeinander folgenden Monaten.

Als Kritiker sie darauf hinwiesen, dass diese „Offenbarungen“ nahezu identisch seien mit den Visionen einer französischen Nonne namens Margareta Maria Alacoque im 17. Jahrhundert, antwortete Lucia: „Ich kann doch nicht der Mutter Gottes vorschreiben, wie sie sich ausdrücken muss.“

Anscheinend ließ Gancalves sich von solchen Merkwürdigkeiten nicht weiter beirren und ersuchte Lucia um Rat bezüglich der Situation in der Sowjetunion. Lucia antwortete zögerlich:

Wenn ich mich nicht täusche, verspricht der gute Herrgott die Verfolgungen in Russland zu beenden, wenn der Heilige Vater zusammen mit allen Bischöfen der katholischen Welt einen feierlichen und öffentlichen Akt der Wiedergutmachung und der Weihe Russlands an die Heiligsten Herzen Jesu und Mariens durchführen würde.”