Die Geheimnisse von Fatima

Die Geheimnisse von Fatima III – Die Prophezeiungen

Als weiterer unwiderlegbarer Beweis für die Echtheit der “Marienerscheinungen” von Fatima gelten neben dem geschilderten „Sonnenwunder“ die Voraussagen der Gottesmutter, etwa zum Beginn des Zweiten Weltkriegs.

Dazu heißt es nämlich im sogenannten Zweiten Geheimnis von Fatima, das der “Seherin” Lucia Santos am 13. Juli 1917 geoffenbart worden sei: „Der Krieg [der Erste Weltkrieg; Anm. d. Autors] geht seinem Ende entgegen, aber wenn man nicht aufhört, den Herrn zu beleidigen, wird nicht lange Zeit vergehen, bis ein neuer, noch schlimmerer beginnt. Es wird während des Pontifikats Pius XI. geschehen. Wenn ihr dann eines Nachts ein unbekanntes Licht sehen werdet, so wisset, es ist das Zeichen von Gott, dass die Bestrafung der Welt für ihre vielen Verbrechen nahe ist.“

Zugegeben: Im Sommer 1917 wäre das eine recht eindrucksvolle Vorhersage künftiger Geschehnisse gewesen. Nur kann davon überhaupt keine Rede sein. Auch hier haben wir es mit einem typischen Fall von “Nachhersage” zu tun. Und das kam so: 1919 und 1920 starben die beiden Neben-Seher Jacinta und Francisco Marto an der Spanischen Grippe. Durch den frühen Tod der beiden lag die alleinige Deutung und Verfügung über die Botschaften der Gottesmutter nun bei Lucia Santos. Ab 1921 besuchte Lucia eine katholische Privatschule, wo sie lesen und schreiben lernte, ehe sie 1926 ins Kloster ging.

Dort wurde sie im Laufe der Jahre von ihren Beichtvätern und verschiedenen kirchlichen Autoritäten immer wieder aufgefordert, ihre Erinnerungen an die Ereignisse von 1917 “gewissenhaft bis ins Kleinste” aufzuschreiben. Und wann immer Lucia diesem Ansinnen nachkam, dichtete sie neue Details und “Botschaften” der Gottesmutter hinzu – von denen bei den zahlreichen Befragungen an den sechs Erscheinungstagen nie auch nur andeutungsweise die Rede gewesen war.

„Wir stehen vor einem geradezu klassischen Beispiel“, schrieb dazu der Theologe und Skeptiker Dr. Josef Hanauer, „wie durch anhaltendes Befragen und die eindringliche Beschäftigung mit einer Visionärin seitens geistlich-autoriativer Seite immer wieder neue geheimnisvolle Dinge von einer Phantastin produziert werden“.

Dazu gehören neben diversen “Engelserscheinungen”, die Lucia nun plötzlich schon 1915/1916 gehabt haben wollte, auch die drei berühmten “Geheimnisse” von Fatima, die Lucia zwischen 1941 und 1943 verfasste und auf die Erscheinungstage von 1917 zurückdatierte.

Der erste Teil umfasst eine Vision der Hölle, die als riesiges Flammenmeer „in der Tiefe der Erde“ beschrieben wird, darin sich „die Teufel und die Seelen“ befinden, „als seien sie durchsichtige schwarze oder braune glühende Kohlen in menschlicher Gestalt“. Skeptische Theologen erkennen in Lucias Höllenvision wenig Originelles und sprechen von einem „naiven Produkt übersteigerter Phantasie“.

Das Zweite Geheimnis von Fatima rankt sich, wie gesagt, um das Ende des Ersten und den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Aber alle diese Ereignisse hatten zum Zeitpunkt der Niederschrift längst stattgefunden – auch das weithin sichtbare Nordlicht am 25. Januar 1938, welches Fatima-Anhänger als das besagte „unbekannte Licht“ deuten.

Peinlich, dass Lucia trotzdem sogar noch ein Fehler unterlief. Anscheinend war sie während der Arbeit am zweiten “Geheimnis” der Überzeugung, zu Kriegsbeginn habe noch Pius XI. regiert. Dieser war indes am 10. Februar 1939 gestorben. Beim deutschen Überfall auf Polen im September 1939 hieß der Papst Eugenio Maria Giuseppe Giovanni Pacelli alias Pius XII. Lucia redete sich später damit heraus, die Besetzung Österreichs 1938 sei bereits der eigentliche Beginn des Zweiten Weltkriegs gewesen. Was Historiker für baren Unsinn halten.

Den dritten Teil des „Großen Geheimnisses von Fatima“ schrieb Lucia 1943 und übergab diesen dem zuständigen Bischof der Diözese Leiria in einem versiegelten Umschlag. Von dort gelangte das Dokument später nach Rom. Erst 1960 sollte das „Dritte Geheimnis“ veröffentlicht werden. Warum? „Weil die heilige Jungfrau es so will“, erklärte Lucia.

Das wurde es aber nicht. Prompt schossen apokalyptische Spekulationen ins Kraut: Papst Johannes XXIII. sei über den Inhalt so entsetzt gewesen, dass er den Text unter Verschluss halte – in dem es angeblich um einen Krieg oder eine große Katastrophe gegen Ende des 20. Jahrhunderts gehe.

Vierzig Jahre lang tat sich nichts. Dann die Sensation: Während eines Besuchs von Papst Johannes Paul II. in Fatima im Mai 2000 gab Kardinal Angelo Sodano ohne Vorankündigung das dritte Geheimnis der Seherin Lucia Santos preis, die zu diesem Zeitpunkt noch am Leben war (sie starb 2005).

Vor dem Hintergrund der blutrünstigen Spekulationen nimmt sich der tatsächliche Inhalt banal aus: Es geht um einen weiß gekleideten Mann, der sich durch eine zerstörte Stadt schleppt und auf einem Hügel erschossen wird, zusammen mit Bischöfen, Priestern und anderen Personen. Engel sammeln das Blut ein. Über dieser Szenerie schweben die Jungfrau Maria und ein Engel mit einem Schwert, der mit lauter Stimme ruft: „Buße, Buße, Buße!“

Die vatikanische Kongregation für die Glaubenslehre und Papst Johannes Paul II. selbst blieben der Tradition der “Nachhersage” treu und deuteten diese Bilder auf „Geschehnisse, die nunmehr der Vergangenheit anzugehören scheinen“, wie etwa die Unterdrückung des Glaubens im Ostblock und das Papst-Attentat am 13. Mai 1981 in Rom.

Warum die späte Veröffentlichung des “Dritten Geheimnisses”, gegen die ausdrückliche Weisung der Gottesmutter? Darüber können wir nur spekulieren.

Nicht ganz unplausibel scheint indes die Vermutung, dass man die hofierte und umjubelte “Seherin” Lucia nicht blamieren wollte und deshalb abwartete, bis man das “Dritte Geheimnis” auf irgendetwas halbwegs Passendes hinbiegen konnte.