AACHEN. (tp/hpd) Die Erlebnisse von einem der auszog, aus der Kirche auszutreten: Die Geschichte vom Kirchenaustrittserschwerungsgesetz, dem Amtsgericht Aachen, einem Schreiben und Beschluss.
Ein Bericht und Kommentar von Tilman Bremer
Die katholische Kirche steht in Deutschland wegen des aktuell aufgekommenen Missbrauchsskandals ja mal wieder ziemlich in der Kritik. Bischof Mixa hat seinen Rücktritt angeboten, Papst Benedikt steht unter Beschuss, hält sich aber trotz der heftigen Vorwürfe bedeckt und der Rückhalt in der Bevölkerung für eine Kirche die sich derart ignorant gibt schwindet dahin.
Ich möchte mich dem an dieser Stelle aus aktuellem, persönlichen Anlass anschließen und über meine Erlebnisse der letzten Wochen berichten, die im weitesten Sinne mit der (nicht vorhandenen) Trennung von Staat und Kirche und den Konsequenzen daraus zu tun haben.
Um genau zu sein fängt die Geschichte damit an, dass ich Atheist bin und daher aus der katholischen Kirche austreten wollte. An sich schien mir das keine große Sache zu sein, bis ich nach einiger Recherche feststellen musste, dass dieser – per Grundgesetz – neutrale Staat scheinbar ein Interesse besitzt mich an einem Austritt zu hindern. Das hat mich ziemlich geärgert und ist der Grund für einige Dinge die geschehen sind, und einiges was noch kommen wird.
Persönlicher Hintergrund
Ich möchte erst noch ein paar Worte zu meinem persönlichen Hintergrund verlieren. Ich bin wie schon erwähnt Atheist, und das nicht erst seit gestern. Ich bin katholisch getauft und bin zur Kommunion gegangen. Danach war ich mehrere Jahre Messdiener in der Kirchengemeinde in meinem Heimatdorf. Trotzdem habe ich nie an Gott oder irgendeine andere übernatürliche Macht geglaubt und mich konnte man daher auch noch nie als “religiös” bezeichnen. Was mir daher auch wichtig ist: Religiosität und die Mitgliedschaft in der Kirche sind meines Erachtens zwei völlig unterschiedliche Zustände, die sich gegenseitig weder bedürfen noch bedingen. Diesen Punkt zu beachten halte ich für wichtig, meine Kritik an der Kirche ist nämlich um ein vielfaches größer als die Kritik an der Religiosität.
In der neunten Klasse habe ich schließlich zum frühestmöglichen Zeitpunkt “aus Gewissensgründen” den Religionsunterricht abgewählt und stattdessen das Fach praktische Philosophie belegt. Ich hatte das Glück, dass dieses Fach von einem strengen aber sehr guten Lehrer unterrichtet wurde und habe erlebt, wie Werte und Weltsichten völlig ohne religiösen Unterton und Zwang gelehrt bzw. diskutiert werden können. Damals habe ich mir noch nicht viel dabei gedacht, ich habe den Religionsunterricht einfach für mich persönlich abgelehnt. Durch die politische Arbeit bei der Piratenpartei bin ich nun aber sehr oft mit dem Themengebiet Grundrechte, Selbstbestimmung und Freiheit in Kontakt gekommen und stelle nun fest, dass in Deutschland ordentlich was falsch läuft. Der Religionsunterricht ist zwar nur ein Puzzleteil im Gesamtbild, da er aber so gut wie jeden schon mal betroffen hat, ein netter Diskussionsgegenstand.
Kirchenaustritt
Zurück also zum Kirchenaustritt. Diesen hatte ich mir schon vor Jahren vorgenommen, bin aber aus Bequemlichkeit nie dazu gekommen. Als Student zahle ich schließlich keine Einkommens- und damit auch keine Kirchensteuer, da fehlt zumindest der finanzielle Anreiz für einen solchen Schritt. Trotzdem stieg bei mir im Laufe der Zeit das Unbehagen über meine Konfession, letztlich störte mich schon, dass ich als Mitglied in der Statistik auftauche und die Kirche das nutzen könnte, um über Rückhalt in der Bevölkerung oder Ähnlichem zu argumentieren. Der Skandal um die Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen hat bei mir dann schließlich nur noch einen draufgesetzt und das Fass zum Überlaufen gebracht.
Wo ist nun also das Problem? Der ganze Spaß kostet Geld! Ja ganz recht, wenn man in NRW aus der Kirche austreten möchte, kostet das seit dem 08.07.2006 geschmackvolle 30€!
Am 08.07.2006 ist das von der schwarz-gelben Landesregierung beschlossene Kirchenaustrittsgesetz in NRW in Kraft getreten und belegt nun diesen blasphemischen Akt mit einer Strafgebühr. Offiziell werden diese 30€ als Gebühr für den Verwaltungsaufwand gerechtfertigt, den das Amtsgericht mit dem Austritt hat. Diese Behauptung ist aber ziemlicher Blödsinn oder zumindest vorgeschoben, das sieht man gleich an mehreren Punkten:
- Sind sowohl Kircheneintritt bzw. Kirchenwiedereintritt als auch der Kirchenübertritt (z. B. von katholisch zu evangelisch) kostenlos. Der Verwaltungsaufwand von einem Kircheneintritt ist mit dem Austritt verständlicherweise zu vergleichen, wenn er nicht sogar mehr Arbeit macht. Das riecht verdächtig nach Kalkül.
- Lässt sich das Finanzamt den Verwaltungsaufwand des Kirchensteuereinzugs z. B. schon mit mehreren Prozent vom Kirchensteueraufkommen bezahlen. Das Erzbistum Köln bezahlt 2010 für diesen Service zum Beispiel alleine laut Wirtschaftsplan 18 Millionen Euro. Davon müssten ja ein paar Ein- und Austritte gerade so mitzufinanzieren sein oder etwa nicht?
- Ist die Kirchensteuer als Sonderausgabe steuerlich absetzbar. Mal abgesehen davon, dass die Kirche hier einen deutlichen Vorteil gegenüber anderen Organisationen mit “grundgesetzlich verankerter Relevanz, zum Beispiel Parteien und Gewerkschaften” hat, finanziert dieser neutrale Staat (also auch ich) die Kirche indirekt pro Jahr mit 3 Milliarden Euro (in Worten: Drei Milliarden!). Bevor wir für Kirchenaustritte also Geld nehmen, sollten wir endlich mal aufhören die Kirche so heftig zu subventionieren.
- Ist eine Austrittsgebühr (und damit auch eine Bearbeitungsgebühr) laut Deutschem Vereinsrecht nicht zulässig, da sie eine “unzulässige Erschwerung des Austritts” darstellt. Das dieses Schutzrecht gerade in einem so sensiblen Bereich wie bei Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften keine Verwendung finden soll, dafür gibt es einfach keine vernünftige Erklärung.
Diese Punkte sind zusammengenommen der Grund, warum ich das Gesetz zu dem umbenannt habe was es in meinen Augen ist: Ein Kirchenaustrittserschwerungsgesetz. In unserem NRW, in dem wie im Rest von Deutschland Kirche und Staat nicht ordentlich voneinander getrennt sind, hatte die CHRISTLICH Demokratische Union offenbar eine Lösung gesucht, um dem massiven Mitgliederschwund der Kirchen entgegenzuwirken. Meiner Meinung nach sollte sich die Politik aus dem Neutralitätsgrundsatz heraus überhaupt nicht für Kirchenein- und Kirchenaustritte interessieren, hier ist die Motivation der Politik aber leider kaum noch zu übersehen.
Gegen die Einführung der Kirchenaustrittsgebühr, die es mittlerweile in fast allen Bundesländern gibt, hatte der Internationale Bund für Konfessionslose und Atheisten e.V. (IBKA) schon eine Klage bis in die höchste Instanz unterstützt. Er sieht darin eine Einschränkung der “negativen Religionsfreiheit”, nämlich der Freiheit keiner Religion anzugehören und befürchtet, dass sich wirtschaftliche schwache Personen (z. B. Arbeitslose oder Schüler ohne eigenes Einkommen) von der Gebühr abschrecken lassen aus der Kirche auszutreten. Ich teile diese Ansicht und kann sogar aus dem persönlichen Bekanntenkreis Beispiele nennen, wo genau diese Situation der Fall ist, nämlich das Menschen aus finanziellen Gründen in einer Organisation bleiben mit der sie sich nicht identifizieren können.
Die Klage scheiterte leider beim Bundesverfassungsgericht, das am 02. Juli 2008 lediglich feststellte (Absatz-Nr. 38 – 41), dass es eine Möglichkeit zur Reduzierung oder sogar dem Erlass geben müsste, “mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen oder sonst aus Billigkeitsgründen”. In der höchsten Instanz, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist die Beschwerde schließlich am 24.09.2009 als unzulässig zurückgewiesen worden.
Diese Entscheidung markiert bislang den Schlussstrich unter der Geschichte, d. h. eine Aufhebung der Kirchenaustrittsgebühr wird nur noch über die Legislative möglich sein. Sollte es in NRW zu einer Koalition mit der CDU kommen, kann man sich von dieser Hoffnung aber getrost verabschieden.
Trotzdem ist es erfreulich, dass sich immer mehr Menschen in Deutschland von einer repressiven Kirche abwenden und ein Leben ohne religiöse Zwänge leben wollen. Denn die Kirchenaustrittsgebühr vermag einen Trend nur abzumildern, nicht zu verhindern: Dass sich immer weniger Menschen mit den Idealen und Wertevorstellungen der Kirche, vor allem aber wohl mit den vorgelebten Werten identifizieren können. Das Gebaren der Kirche wird 2010 wohl zu einer sehr großen Anzahl an Austritten führen, die den Aufwärtstrend der letzten Jahre übertreffen dürfte. Zahlen für 2009 konnte ich leider keine finden, daher ist hier die Statistik von 1970 – 2008. Überschrift: Gottlos glücklich.
Kirchenaustritte
Möglichkeit des Erlass der Kirchenaustrittsgebühr
Nun aber weg von der Statistik, hin zu meinem speziellen Fall. Wie ich geschrieben habe, hat das BverfG eine Möglichkeit zur Reduzierung oder sogar zum Erlass der Austrittsgebühr eingeräumt um die negative Religionsfreiheit wirklich zu gewährleisten.
Da ich als Student über wenig Einkommen verfüge, habe ich also einen entsprechenden Antrag gestellt, meine finanzielle Situation dargelegt und um eine entsprechende Berücksichtigung gebeten. Wie sich das Amtsgericht Aachen (bzw. der betreffende Mitarbeiter) mir aber daraufhin gegenüber verhalten hat war schon sehenswert. Bei meinem ersten Besuch im AG Aachen, der nebenbei mein erster in einem deutschen Gerichtsgebäude überhaupt war, wurde ich als Reaktion auf meinen Antrag vom verantwortlichen Mitarbeiter in einem derartigen Ton angegriffen, dass man das Gefühl bekommen konnte ich hätte ihn gerade auf unterstem Niveau persönlich beleidigt oder was auch immer! Die Möglichkeit eines solchen Antrages wurde vehement abgestritten und erst als sich der Mitarbeiter nach mehrfacher Aufforderung meinerseits den entsprechenden Teil der Entscheidung des BverfG, den ich ausgedruckt und markiert dabei hatte, durchgelesen hat, war er überhaupt bereit den Antrag anzunehmen.
Der Höhepunkt dieses Besuches war das folgende Zitat des netten Mitarbeiters: “Es gibt da im Internet immer wieder so Zeitgenossen die das Gegenteil behaupten, aber so einen Antrag gibt es nicht! Entweder zahlen sie die 30€ oder sie lassen es!”
Ich kam mir ein bisschen vor wie jemand der bei der Polizei steht und eine Anzeige wegen seines gestohlenen Autos erstatten möchte, die Polizisten sich aber vehement weigern die Anzeige aufzunehmen mit der Begründung der Diebstahl eines Autos sei in Deutschland generell nicht strafbar…
Entgegen dieser Aussagen kann ein Antrag auf Erlass oder Ermäßigung der Kirchenaustrittsgebühr aber sehr wohl gestellt werden. Ich habe meinen Antrag (der laut IBKA formell in Ordnung war) mal als Musterschreiben angehängt. Dazu weitere Unterlagen, die normalerweise auch ein uninformiertes Amtsgericht überzeugen sollten. Mein Musterschreiben bezieht sich auf meine Situation als Student. Als Empfänger von ALG II oder als Schüler ohne Einkommen muss jeweils die Darstellung der finanziellen Lage angepasst werden.
Musterschreiben ans Amtsgericht:
- PDF Version zum Betrachten im Browser
– ODT Version zum Bearbeiten in OpenOffice
Eine Anfrage des IBKA vom 20.08.2008 bezüglich der Anträge an die Amtsgerichte und deren Form. Die Antwort des Justizministeriums vom 29.08.2008
Als Sahnehäubchen habe ich meinem Antrag noch die unten verlinkte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes angehängt. Das ist aber eigentlich schon völlig übertrieben und geht weit über das hinaus, was von einem Antragstellenden Bürger erwartet werden kann. Dass mein Antrag trotzdem abgelehnt worden ist zeigt nur deutlicher, wie wenig geltendes Recht und das Verhalten des Amtsgerichtes miteinander zu tun haben.
Abgewimmelt
Aber Moment mal, abgelehnt? Mein Antrag ist erstmal gar nicht abgelehnt worden, sondern nur “abgewimmelt”. Das ist einer kleiner, aber feiner Unterschied den man als Normalbürger erstmal kennen muss. Und ehrlich gesagt muss ich zugeben, dass ich ohne die Hilfe des IBKA hier schon längst hätte aufgeben müssen. Was vom Amtsgericht zurückkam war nämlich kein offizieller Bescheid sondern ein Schreiben ohne Geschäftsnummer und ohne rechtliche Wirksamkeit. Tricky, was? (So sieht’s aus.)
Hier wird also vom AG Aachen versucht, die Leute mit ganz toll wichtig aussehenden Briefen abzuwimmeln, ohne dass man sich der Sache richtig annehmen muss. Da es sich beim ersten Brief nicht um einen Bescheid gehandelt hat, konnte ich dagegen nicht mal Einspruch einlegen. Also musste ich das Amtsgericht erstmal darum bitten, mir doch bitte einen “klagefähigen Bescheid” auszustellen. Nachdem die erste Antwort vom AG einen Monat auf sich hat warten lassen, ging der Bescheid nun ziemlich schnell, nämlich nur noch eine Woche. Ein Wunder ist das aber nicht, schließlich unterscheidet sich der Bescheid nun nur durch das Wort “Bescheid” drüber und einem Stempel drunter vom ersten Brief. (Naja, wer es gern sehen will, so sieht der Bescheid aus.)
Und hier bin ich dann nach 1900 Wörtern am aktuellen Stand der Dinge angekommen. Das Amtsgericht Aachen geht auf meine finanzielle Situation überhaupt nicht ein, sondern lehnt eine Ermäßigung generell ab. Das steht in meinen Augen im krassen Widerspruch zur Entscheidung des BverfG. Der IBKA sieht das zum Glück auch so, hat mir bei den weiteren Schritten bereits Unterstützung zugesagt. Das letzte Wort ist in der Geschichte also noch nicht gesprochen und ich werde an dieser Stelle auf jeden Fall noch über den Ausgang berichten.
Ich bin absolut schockiert wie sich die Behörden in dem Fall verhalten und möchte mit diesem Blogeintrag auf diesen Missstand aufmerksam machen. Außerdem möchte ich anderen Austrittswilligen eine Hilfe sein, zu ihrem Recht zu kommen. Zum Glück sind von anderen Amtsgerichten in NRW auch positive Ausgänge zu vermelden, in denen z. B. Schüler problem- und kostenlos aus der Kirche austreten konnten. Das AG Aachen ist hier scheinbar schon ein außergewöhnliches Beispiel.
Nächste Schritte
Der nächste Schritt ist nun eine Beschwerde gegen den Bescheid einzulegen, der erneut vom Amtsgericht geprüft werden muss. Sollte diese Beschwerde abgelehnt werden, bleibt nur noch die letzte Möglichkeit der Klage. Der IBKA unterhält zum Glück einen Rechtshilfefonds, der für solche Situationen eingerichtet wurde. Sollte es hart auf hart kommen, muss ich mir also finanziell keine Sorgen machen, aufwändig könnte es aber noch werden.
Wem nun die 30€ aber total egal sind und wer nur so schnell wie möglich aus der Kirche austreten möchte, der kann das mit einer sehr schön gemachten (aber wenig ernst gemeinten) Austrittserklärung der taz machen. Hier kann man zusätzlich zu dem formell Notwendigen noch ankreuzen ob einem die Kirche zu “frauenfeindlich, schwulenfeindlich, judenfeindlich, reaktionär, pädophil, Ratzinger” ist.
Hier möchte ich nach einem Hinweis durch den IBKA aber noch mal darauf hinweisen, dass es tatsächlich keinerlei Begründung bedarf und das Formular wirklich nur als Scherz anzusehen ist! Zudem ist eine so genannte ‚modifizierte’ Austrittserklärung, also mit einem Zusatz wie einer Begründung, in Deutschland nicht zulässig.