Warum Menschen der Kirche den Rücken kehren – Zahlen und Motive

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Viele Hunderttausende treten jedes Jahr aus der Kirche aus. Aber welche Überzeugungen vertreten die Menschen, die den großen Glaubensorganisationen den Rücken kehren? Welche Gründe und Motive haben sie zu diesem Schritt veranlasst? Aufschluss über diese Fragen gibt eine aktuelle Auswertung der Forschungsgruppe Weltanschauung in Deutschland (fowid), basierend auf der repräsentativen ALLBUS-Umfrage 2023.

Dabei zeigt sich, dass von den konfessionsfreien Menschen nur rund 40 Prozent nie einer Kirche angehört haben. Die Mehrheit, etwa 60 Prozent, hat sich irgendwann im Laufe des Lebens für den Austritt entschieden. Unter diesen Ausgetretenen wiederum stammen 55 Prozent aus der evangelischen Kirche (EKD), 41 Prozent aus der katholischen Kirche. Die übrigen vier Prozent gehörten zuvor in evangelischen Freikirchen oder anderen kleineren christlichen Gemeinschaften an.

Je nach früherer Konfession geben die Ex-Mitglieder unterschiedliche Gründe für den Austritt an. Ehemalige Katholiken zeigen sich dabei laut fowid besonders facettenreich. Als häufigsten Grund nennen sie "… weil ich die Kirche unglaubwürdig finde" (83 Prozent), dicht gefolgt von der Aussage: "… weil sie Kinder und Schutzbedürftige nicht vor sexuellen Misshandlungen geschützt hat" (82 Prozent), und 75 Prozent stimmen der Aussage zu: "… weil ich mich über die kirchlichen Stellungnahmen geärgert habe." Wie fowid schreibt, erscheint der Zusammenhang dieser drei Gründe "offensichtlich und fokussiert auf die Kommunikationsprobleme der Kleriker". Deutlich seltener nennen die Befragten weitere Gründe: "… weil ich in meinem Leben keine Religion brauche" (Platz vier, 64 Prozent) und "… weil ich auch ohne Kirche glauben kann" (Platz fünf, 58 Prozent). Der finanzielle Anreiz durch Ersparnis der Kirchensteuer spielt für 53 Prozent der früheren Katholiken eine Rolle und liegt in der Rangfolge der Häufigkeit auf Platz sechs.

Dagegen zeichnet sich bei den ehemaligen EKD-Angehörigen eher eine individuelle Entfremdung von Kirche und Religion ab. 68 Prozent geben an, dass die "Kirche unglaubwürdig" sei – bei ihnen ebenfalls der häufigste Austrittsgrund, gefolgt vom Wunsch, Kirchensteuern zu sparen (63 Prozent). 60 Prozent sagen, dass sie keine Religion brauchen, 52 Prozent stimmen zu, dass Glaube auch ohne Kirche gehe, für ebenfalls 52 Prozent ist der Glaube bedeutungslos (jeweils Platz vier). 46 Prozent bejahen die Aussage "Kirche ist mir egal" (Platz fünf).

Zwischen Männern und Frauen zeigen sich in dieser Frage nur geringfügige Unterschiede. So nennen Frauen den Umgang der Kirche mit dem Missbrauchsskandal etwas häufiger als Austrittsgrund (82 vs. 73 Prozent), während Männer öfter angeben "Ich brauche keine Religion" (65 vs. 58 Prozent).

Überdurchschnittlich viele Ausgetretene gibt es in den mittleren und älteren Altersgruppen. So umfasst die Gruppe der 45- bis 59-Jährigen 26 Prozent der Bevölkerung, aber 30 Prozent der Ausgetretenen. Exakt das gleiche Verhältnis zeigt sich bei den 60- bis 74-Jährigen. Vergleichsweise wenige Ausgetretene gibt es dagegen bei jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren (9 Prozent Ausgetretene, 14 Prozent der Bevölkerung) und bei den Hochbetagten zwischen 75 und 89 Jahren (9 Prozent Ausgetretene, 11 Prozent der Bevölkerung). Hinsichtlich Bildung zeigen sich keine signifikanten Unterschiede.

Es überrascht wenig, dass die Ausgetretenen sich im Verständnis von religiösem Glauben erheblich von den Kirchenmitgliedern unterscheiden. Nur eine Minderheit von 12 Prozent glaubt in dieser Gruppe an den christlichen Himmel, bei den Kirchenmitgliedern tun das 31 Prozent. Von der Existenz der Hölle sind gerade mal 5 Prozent der Ausgetretenen überzeugt (Mitglieder: 17 Prozent). Höher in beiden Gruppen ist die Zustimmung zu "Wundern", die allerdings nicht ausschließlich traditionell religiös verstanden werden (Ausgetretene: 34 Prozent, Mitglieder 47 Prozent). Möglicherweise machen sich hier Spuren einer früheren religiösen Sozialisation bemerkbar, vermutet fowid. Für diese Lesart spricht auch, dass immerhin 26 Prozent der Ausgetretenen an einen persönlichen Gott oder eine höhere Macht glauben.

In ihren politischen Ansichten und der Präferenz für Parteien entsprechen die Ausgetretenen weitgehend dem Durchschnitt der Bevölkerung. Allein in Fragen des Glaubens und in religiösen Vorstellungen sei teilweise eine distanzierte Sichtweise feststellbar, resümiert fowid. Es sind also ganz durchschnittliche Menschen, die den überholten Dogmen, dem Totschweigen des Missbrauchsskandals und den anachronistischen Sinnangeboten der großen Glaubenskonzerne den Rücken kehren. Und es werden immer mehr.

Die ALLBUS ("Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften") ist eine repräsentative Untersuchung zu Einstellungen, Verhaltensweisen und Sozialstruktur in Deutschland. Die jüngste Erhebung basiert auf der Befragung von 5.246 Personen über 18 Jahren zwischen April und September 2023.

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