Notizen aus Russland

Für humanere Zustände in Russlands Gefängnissen.

Auf einer am 10.01.2007 im Kreml einberufenen Sitzung des „Rates für Menschenrechte

und die Entwicklung von Institutionen einer Zivilgesellschaft" hat sich der russische Präsident Wladimir Putin für die zügige Verabschiedung eines Gesetzes zur gesellschaftlichen Kontrolle des Strafvollzugs eingesetzt. Seine Befürwortung wird als grünes Licht dafür gewertet, dass ein seit drei Jahren auf Eis liegenden Gesetzentwurf nun endlich die Duma, das russische Parlament, passieren wird. Das Gesetz sieht unter anderem die Einrichtung von Beobachterkommissionen und den Zutritt von Bürgerrechtlern zu den Gefängnissen vor.

Nach Aussage des Präsidenten sei das Mitgefühl der Gesellschaft mit denen, die in Strafvollzugsanstalten sitzen, immer noch davon geprägt, dass viele Insassen auch heute ungerechtfertigt gefangen gehalten würden. Dieses Problem habe man seit 1937, womit er sich auf die Stalinschen politischen „Säuberungen" bezog, die in den Jahren 1936-38 ihren traurigen Höhepunkt erreichten. Daher sei es nach Putins Meinung „umso besser, je strenger die Kontrolle über die Gefängnisse ausgeübt würde".

Die Worte des Präsidenten wurden von den russischen Bürgerrechtlern wohlwollend vernommen, da sie schon seit langem die unmenschlichen Zustände im russischen Strafvollzug kritisieren. So erklärte Lew Ponomarjow, Direktor der „Bewegung für Menschenrechte", dass die Gefangenen heutzutage rechtloser behandelt würden als zu Sowjetzeiten. Nach Erkenntnissen seiner Organisation gäbe es landesweit 40 „Folterzonen", in denen Menschen systematisch gefoltert und erniedrigt würden. „Gefangene schneiden sich die Venen auf, nur um nicht dorthin zu kommen", so Ponomarjow.

Waleri Abramkin, Vorsitzender des Zentrums zur Unterstützung einer Reform des Strafrechts, erklärte, dass eine Reform des Strafvollzugs überreif sei: „Sie darf nicht weiter hinausgezögert werden, andernfalls drohen spontane Massenrebellionen. Ich befürchte, nicht nur unter den Gefangenen, sondern auch unter den Vollzugsbeamten, die ihrerseits ebenso Opfer von Willkür in den Gefängnissen sind."
Weitere Informationen im <Originalartikel> (Russisch)

Duma-Abgeordnete fordern Werbeverbot für Abtreibungen

Am 12.01.2007 wurde im russischen Parlament der Gesetzentwurf für ein Werbeverbot von Abtreibungen als medizinische Dienstleistung eingebracht. Nach Ansicht der Initiatoren des Gesetzes Alexander Krutow und Nikolai Leonow führt Russland mit 1,8 Millionen Schwangerschaftsunterbrechungen pro Jahr - bei insgesamt 142 Millionen Einwohnern - einen „traurigen Weltrekord". Sie erklärten: „Auf 100 Geburten kommen 208 Abbrüche. Fast 10 % der Frauen treiben einmal im Jahr ab, 60 % davon ihre erste Schwangerschaft." Gleichzeitig würde die unzählige Werbung in den Medien für künstliche Schwangerschaftsunterbrechungen ein gesellschaftliches Klima erzeugen, in dem eine Abtreibung als medizinische Dienstleistung ein ganz natürlicher Eingriff sei und damit die Hemmschwelle hierfür herabsetzen.

Ferner unterbreiteten die beiden Parlamentarier einen Änderungsvorschlag zu Paragraph 37, Absatz 3 des russischen Mediengesetz, der die Verbreitung von Produkten erotischen Charakters regelt. Derartige Medienprodukte sollten zukünftig nur noch in versiegelter Hülle vertrieben werden. <Originalartikel> (Russisch)

Baschkirischer Abgeordneter für Einführung der Homo-Ehe

In der Staatsversammlung, dem Parlament der russischen Republik Baschkortostan (<Baschkirien>) wurde am 15.01.2007 ein Gesetzentwurf zu Gleichgeschlechtlichen Partnerschaften eingebracht. Der Abgeordnete Edward Mursin, Initiator und Verfasser des Vorhabens erklärte, er habe vor, ein solches Gesetz auch in der gesamtrussischen Duma einzubringen. Der Entwurf sei erarbeitet worden, um die tatsächliche Gleichberechtigung der Bürger und die Humanisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu garantieren. „Das Hauptziel des Dokuments ist aus meiner Sicht die Gewährleistung gleicher Rechte und Pflichten sowie die Einhaltung der Menschenrechte durch die offizielle Anerkennung gleichgeschlechtlicher Familienbeziehungen", erklärte der baschkirische Abgeordnete.

Edward Mursin erinnerte auch daran, dass die Verfassung der Russischen Föderation Diskriminierungen jedweder Art verbiete. Er betonte: „Es gilt zu berücksichtigen, dass nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO etwa 10 % der Bevölkerung homosexuell orientiert sind. Ob wir es wollen oder nicht, gleichgeschlechtliche Partnerschaften existieren, sie bestehen bisweilen ein Leben lang und führen einen gemeinsamen Haushalt. Die skandinavischen Länder und Holland haben hier positive Erfahrungen gemacht."

Nach seinen Worten steigt die Tendenz der rechtlichen Anerkennung homosexueller Familienbeziehungen. Es sei falsch, diese Bürger rechtlich zu beeinträchtigen. Sie seien gleichberechtigte Bürger der Gesellschaft und sollten über dieselben Rechte und Pflichten verfügen.

Der Gesetzentwurf stelle genau genommen eine Kopie des bestehenden Familien- und Ehegesetzes dar mit dem Unterschied der Klausel, dass es sich um gleichgeschlechtliche Ehepartner handele. Der Gesetzestext entspreche dem parlamentarischen Reglement der baschkirischen Staatsversammlung und müsse daher in der vorgesehenen Reihenfolge geprüft werden. <Originalartikel> (Russisch)

Glücksspielsucht häufiger als psychische Schizophrenie

Nach Einschätzung von Experten gibt es in Russland mehr als 2 Millionen glücksspielsüchtige Menschen und damit eine halbe Million mehr als beispielsweise an psychischer Schizophrenie Leidende. Es wird prognostiziert, dass sich die Zahl der Glücksspielsüchtigen in den kommenden drei Jahren verfünffachen wird. Diese Gefahr wird mittlerweile auch auf staatlicher Ebene erkannt. Im Staatlichen Serbski-Wissenschaftszentrum für soziale und Rechtspsychiatrie wurde eine Forschungsgruppe zur Untersuchung von Spielsucht gegründet, die bereits 600 Betroffene analysiert hat.

Die Untersuchungen zeigten, dass 83,3% der Patienten in der Kindheit derart unzureichende Aufmerksamkeit erfahren haben, dass sie hyperaktiv wurden, und dass bei 96 % der Spielsüchtigen die Eltern Alkoholiker waren. Ein hoher Intelligenzquotient, freundschaftliche Familienverhältnisse, gute Freunde und Nachbarn sowie Religiosität seien schützende Faktoren, die das Risiko senken würden, an einer Spielsucht zu erkranken.

Weiterhin teilten die Wissenschaftler mit: Frauen und Kinder würden öfter im Internet spielen, Männer bevorzugen dagegen Spielautomaten. Das Durchschnittsalter, in dem die Betroffenen erkranken, betrage bei Männern 20, bei Frauen hingegen 30 Jahre. Um spieleabhängig zu werden, benötige ein Mann durchschnittlich 6 Jahre, eine Frau jedoch nur 1 Jahr. Glücksspielsüchtige Männer werden öfter alkohol- oder drogensüchtig als Frauen. Während sich Frauen in diesem Fall von ihren spielsüchtigen Männern in der Mehrzahl scheiden ließen, blieben Ehemänner mit einer an Spielsucht erkrankten Frau fast immer zusammen. <Originalartikel> (Russisch)

Frauenabteile in russischen Fernzügen

Seit dem 15.01.2007 gibt es auf einigen Fernverbindungen der Russischen Eisenbahn separate Frauen-, Männer- und gemischte Abteile. „Aufgrund zahlreicher Bitten der Fahrgäste, insbesondere von Frauen, wird diese Dienstleistung als Pilotprojekt in 8 Fernzügen angeboten", heißt es in einer Mitteilung der Bahn. Auf den Fahrkarten werde die Abteilart mit einem M für Männer, einem F für Frauen und einem G für Gemischt ausgewiesen. Preislich würden sich die Fahrkarten von den sonstigen nicht unterscheiden. <Originalartikel> (Russisch)

Denkmalsstreit Estland - Russland

Der Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Rene van der Linden, erörterte mit russischen und estnischen Vertretern die Situation um das Denkmal der Befreiungssoldaten in Tallinn. Dieses Denkmal kann seit der Verabschiedung eines Gesetzes durch das estnische Parlament verlegt werden. „Ich beabsichtige, mich mit den Delegationschefs von Russland und Estland zu treffen, um die Situation um das Denkmal für russische Soldaten in Tallinn zu erörtern", sagte der Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 22.01.2007 auf einer Pressekonferenz.

Das estnische Parlament hatte ein Gesetz über den „Schutz der Soldatengräber" verabschiedet, das die juristische Grundlage für die Verlegung des Denkmals der Befreiungssoldaten vom Hügel Tonismägi im Zentrum der Hauptstadt Tallinn schafft. Die russische Seite wendet sich dagegen.

Das Gesetz gewährt das Recht auf die Umbettung der sterblichen Reste von bei Kampfhandlungen gefallenen Menschen und auf die Verlegung der entsprechenden Gedenksteine, wenn sich diese Gräber an ungeeigneten Orten befinden oder in Fällen, da die Umbettung im öffentlichen Interesse vorgenommen werden soll. Die estnische Regierung ist in solchen Fällen berechtigt, eine Umbettung anzuordnen und den Ort für eine Neubestattung zu bestimmen. Zur Verlegung von Denkmälern und Gedenksteinen sowie zur Umbettung sterblicher Reste ist nun keine Genehmigung der jeweiligen Kommunalbehörden mehr erforderlich.

Sergej Mironow, Sprecher des Föderationsrates Russlands, bezeichnete die Verabschiedung dieses Gesetzes als einen Akt des Neonazismus: „Estland erlaubt sich, gegen Tote zu kämpfen." Und weiter: „Freiwillig oder nicht, sie ebnen dem Neonazismus einen Weg ins 21. Jahrhundert." Am 24.01.2007 nahem der russische Föderationsrat eine Entschließung an, mit der er sich an eine Reihe von Regierungen und internationalen Organisationen gegen das estnische Gesetz wendet, das die Demontage von Denkmälern der Helden des 2. Weltkrieges ermöglicht.
Weitere Informationen in <Originalartikel> (Deutsch) und <Originalartikel> (Russisch)

Tibor Vogelsang