Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) ist eine grausame Praxis in vielen Ländern. Und doch ist eine entsprechende Gefährdung nicht ohne Weiteres ein Grund für Asyl in Deutschland.
Das Mädchen ist sieben Jahre alt. Ihre Mutter nahm die Kleine mit, als sie Anfang 2022 aus ihrem Heimatland Elfenbeinküste floh - über Burkina Faso, Mali, Algerien, Tunesien. Dann mit einem Boot übers Mittelmeer nach Italien. Und schließlich schafften sie es irgendwie nach Deutschland. Hier beantragte die Mutter für ihre Tochter Asyl. Das Argument: Dem Kind drohe bei einer Abschiebung in die Elfenbeinküste eine Genitalverstümmelung. So wie auch sie es als Kind erlebt habe. Wäre der Antrag des Kindes erfolgreich gewesen, so hätte sich dies auch auf ein Bleiberecht der Mutter ausgewirkt. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Antrag auf Asyl ab. Das Verwaltungsgericht Gera bestätigte diese ablehnende Entscheidung. Das Kind hat keinen Asylanspruch, muss zurück ins Heimatland.
Grausame Praxis weiblicher Genitalverstümmelung
Dabei hat es sich das Verwaltungsgericht Gera nicht einfach gemacht, sondern die weitreichende Entscheidung ausführlich begründet. Dazu gleich mehr. Zuvor ein Überblick über die weltweit erschreckend häufig angewandte Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung:
Weltweit gibt es mehr als 230 Millionen heute lebende Mädchen und Frauen, die eine Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) erlitten haben. Diese Zahl veröffentlichte kürzlich Unicef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen.
Plan International ist eine Organisation, die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe leistet und sich dabei auch intensiv dem Thema FGM widmet. Auf der Internetseite der Organisation wird die grausame Praxis so beschrieben: "Die weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung umfasst verschiedene Verfahren, die darauf abzielen, die äußeren Genitalien von Frauen teilweise oder vollständig zu entfernen oder zu verletzen. Dies kann kulturelle oder andere nicht-therapeutische Gründe haben. Die meisten, die von dieser Praxis betroffen sind, sind noch Kinder - sie sind zwischen sechs und 13 Jahren alt, wobei die Altersspanne auch von Säuglingen bis zu erwachsenen Frauen reicht."
Wo die FGM (female genital mutilation) praktiziert wird, sei dies eine alte Tradition, die fest in der Kultur verankert ist und mit dem Verständnis von Frauen, Sexualität, Familie und Ehe verbunden sei. In vielen Ländern mit muslimischer Prägung werde diese Praxis oft als religiöse Pflicht betrachtet. FGM sei schmerzvoll und traumatisierend, da sie oft ohne Betäubung durchgeführt wird. Akute Probleme können Blutverlust, Zusammenbruch, Infektionen und Schmerzen sein. Langfristig könnten schwerwiegende Schäden an den Harn- sowie Fortpflanzungs- und Sexualorganen auftreten, dazu ein höheres Risiko für HIV, weniger sexuelles Empfinden und psychische Probleme. Manchmal ende der Eingriff sogar tödlich.
Der Fall nach der Darstellung der Mutter
Angesichts der Zahlen und der grausamen Praxis wirken die ablehnende Haltung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und auch der Justiz schwer nachvollziehbar. Warum wird dem siebenjährigen Mädchen kein Flüchtlingsstatus zugesprochen? Doch Amt und Gericht stellen gar nicht die Grausamkeit der Praxis in Frage. Und die Richter sehen durchaus, dass drohende Genitalverstümmelung sehr wohl ein Grund sein könne, dass jemand zwar nicht als politisch verfolgt, wohl aber als Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes anerkannt werden kann. Doch kam das Gericht zu dem Schluss, dass dem Mädchen bei einer Rückkehr in das westafrikanische Heimatland Elfenbeinküste tatsächlich kein solches Schicksal drohe.
Die Mutter des Kindes hatte so argumentiert: Sie habe die Elfenbeinküste verlassen, weil die Eltern ihres Mannes gewollt hätten, dass das Mädchen beschnitten wird. Sie seien bereits zwei Wochen nach der Geburt des Kindes gekommen und hätten es mitnehmen wollen, um sie zu beschneiden. Sie seien deswegen zwei- oder dreimal gekommen. Sie habe das abgelehnt. Auch der Vater der Klägerin sei dagegen. Weil die Praxis in der Elfenbeinküste gegen das Gesetz verstoße, würden die Beschneidungen heimlich von älteren Menschen zu Hause und nicht mehr durch Mediziner in Krankenhäusern durchgeführt. Sie sei aus der Elfenbeinküste zusammen mit ihrer Tochter geflohen, damit diese nicht beschnitten wird.
Wie das Gericht seine Ablehnung begründet
Das Gericht bezweifelte eine Gefahr für das Kind schon aus dem Grund, dass es ja praktisch ab der Geburt und dann fünf Jahre lang bis zur Ausreise aus der Elfenbeinküste unversehrt im Haushalt der Großmutter mütterlicherseits aufgewachsen war. Weil die Eltern und die gesamte Familie ihrer Mutter gegen eine Beschneidung waren, spreche schon einiges dafür, dass die Klägerin in einer geschützten Sphäre unbehelligt aufgewachsen ist.
Aber unabhängig davon sei der Staat Elfenbeinküste willens und in der Lage, das Mädchen zu schützen. Auch gebe es vor Ort Hilfsorganisationen, die für diesen Schutz sorgten. Nach dem Strafgesetzbuch der Elfenbeinküste sei die weibliche Genitalverstümmelung mit Haftstrafe bis zu fünf Jahren bedroht. Unter Zuhilfenahme von Berichten des Auswärtigen Amtes kommen die Richter zwar auch zu der Erkenntnis, dass die in der Elfenbeinküste herrschenden Missstände - Armut, schwache Institutionen, Korruption und politische Rivalitäten - die Umsetzung der strafrechtlichen Vorschriften gegen weibliche Genitalverstümmelung erschweren. Es bestünden aber neben den Polizeidienststellen landesweit 32 Institutionen, an die sich Opfer sexueller Gewalt wenden können und die auch die Aufgabe haben, von FGM bedrohte Mädchen und Frauen zu schützen.
Selbst wenn der Staat in der Heimatregion des Kindes faktisch nicht in der Lage sein könnte, das Mädchen vor einer Genitalverstümmelung zu schützen, so bestünden doch in der Elfenbeinküste innerstaatliche Ausweichmöglichkeiten. Das Mädchen und seine Eltern könnten sich in einer ländlichen Region oder einer größeren Stadt im Süden der Elfenbeinküste (z. B. Großraum Abidjan) niederlassen und wären dort vor Verfolgung sicher. Daher bedürfe es insoweit nicht eines Schutzes in Deutschland.
Hinzu komme, dass dem Mädchen und ihren Familienmitgliedern die Rückkehr in die Elfenbeinküste in wirtschaftlicher Hinsicht durch eine öffentliche Beihilfe erleichtert würde. Ein öffentlich finanziertes Hilfsprogramm garantiere Asylbewerbern bei einer freiwilligen Rückkehr in das Heimatland Reisebeihilfen (200 Euro pro Erwachsenem, 100 Euro für Personen unter 18 Jahren) und Starthilfen (1.000 Euro pro Erwachsenem und 500 Euro für Personen unter 18 Jahren).
Das Verwaltungsgericht Gera führt all dies detailliert aus. Nachzulesen ist die Entscheidung hier.
Kommentar hinzufügen
Netiquette für Kommentare
Die Redaktion behält sich das Recht vor, Kommentare vor der Veröffentlichung zu prüfen und über die Freischaltung zu entscheiden.