Zur Ambivalenz des Toleranzprinzips
Vortrag von Prof. Dr. Klaus Wiegerling an der Hochschule Konstanz
Der Vortrag diskutiert die Ambivalenz des Toleranzbegriffs. Einerseits scheint Toleranz eine Voraussetzung jeglichen Zusammenlebens zu sein, andererseits birgt sie die Gefahr eines die Gesellschaft destabilisierenden Ordnungsverlusts, wenn quasi jegliches Verhalten hingenommen wird, alles als normal angesehen wird, was dem Begriff der Normalität logischerweise widerspricht. Wenn alles normal ist, ist eben nichts mehr normal.
Zunächst werden die ursprüngliche Bedeutung und der Entwicklungsgang des Begriffs dargestellt sowie begriffliche Abgrenzungen vorgenommen. Es wird gefragt, unter welchen Bedingungen Toleranz wirklich Ausdruck eines hohen ethischen Werts sein kann. Toleranz impliziert immer den Keim einer Tendenz zur Wurstigkeit und Beliebigkeit, die eigentlich das Gegenstück einer bürgerlichen Tugend darstellt.
Anhand einer Auseinandersetzung mit Rainer Forsts Überlegungen zur Toleranz wird gezeigt, dass Toleranz immer eine Rahmung impliziert. Diese Rahmung ist letztlich kulturabhängig und nicht allein durch rationalistische Abstrahierungen zu erlangen. Toleranz kann nur im Rahmen eines kulturhistorisch disponierten Gesellschaftskonzepts praktiziert werden, das Stabilität für das Individuum und gesellschaftliche Institutionen garantieren kann. Eine absolute Toleranz gibt es nicht und kann es nicht geben, ja sie wäre ein Selbstwiderspruch.
Zum Referenten:
Klaus Wiegerling ist promovierter und habilitierter Philosoph. Er arbeitete am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und lehrt an der TU Kaiserslautern. Er ist der Leiter des »Arbeitskreises Ethik« im Forschungsprojekt »ABIDA – Interdisziplinäre Analyse der gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen beim Umgang mit großen Datenmengen« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Buchveröffentlichungen: Philosophie intelligenter Welten, München 2011; Leib und Körper, Göttingen 2008. Zuletzt erschien: Wiegerling, Klaus; Nerurkar, Michael; Wadephul, Christian (Hg.): Datafizierung und Big Data. Ethische, anthropologische und wissenschaftstheoretische Perspektiven. Wiesbaden 2020.
Die Veranstaltung findet im Rahmen der öffentlichen Vortragsreihe »Toleranz: ein Gebot und seine Grenzen« im »Studium generale« 2024/25 der Hochschule Konstanz statt.