Ein Buch des Schauens und Staunens! Die Myrmekologen (Ameisenwissenschaftler) Heather Campbell und Benjamin Blanchard präsentieren überaus eindrucksvoll die faszinierende Welt der Ameisen. Als Erfolgsmodell der Evolution mit nahezu unbegrenzten Entfaltungsmöglichkeiten kommen sie in nahezu jedem terrestrischen Winkel der Erde in verblüffender Vielfalt mit ungewöhnlichen Eigenschaften vor. Auf wissenschaftlichem Niveau, dabei gut verständlich auch für interessierte Laien, vermittelt das Buch, hervorragend bebildert mit aussagestarken Makroaufnahmen, schematischen Darstellungen und 42 doppelseitigen "Ameisenporträts", umfassendes Wissen zu einer der erfolgreichsten Organismengruppen im Verlauf der Entwicklung des Lebens auf der Erde.
Seit über 130 Millionen Jahren gibt es Ameisen, mit 14.000 bekannten und vermutlich noch weiteren 10.000 unbekannten Arten. Ihre Biomasse umfasst ein Drittel der Biomasse aller Insekten und ist damit um ein Vielfaches größer als die Biomasse aller landlebenden Wirbeltiere. Die Vielfalt ihrer Verhaltensweisen, ihr fortgeschrittenes Sozialverhalten mit der Fähigkeit zu Kooperation und Kommunikation, ihre altruistische Arbeitsteilung, aber auch ihr Eroberungspotential, verbunden mit enormer Vermehrung – eine Ameisenkönigin kann im Laufe ihres Lebens mehr als 250 Millionen Eier legen – bilden die Basis ihrer weltumspannenden Verbreitung; ihre Bedeutung für das Ökosystem, ihre Leistungen für Natur und Mensch können kaum überschätzt werden.
Das Buch umfasst sechs Hauptkapitel mit zahlreichen Unterkapiteln, deren Überschriften die Inhalte so weit verdeutlichen, dass es, zusammen mit dem umfangreichen Glossar, auch als Nachschlagewerk dienen kann. Am Ende jedes Hauptkapitels werden jeweils sieben Ameisengattungen textlich und bildlich genauer betrachtet. Neben Details zu Biologie und Ökologie werden spannende Einblicke zu deren Ernährung, zum Lebensraum und zu den Nistvorlieben geboten; die jeweilige Verbreitung wird auf einer Weltkarte abgebildet.
Die Inhalte der Hauptkapitel in kurzem Überblick
"Was ist eine Ameise?" beleuchtet die anatomischen, biologischen und morphologischen Merkmale zu Angriff und Verteidigung, zu Fortbewegung und Wahrnehmung der Umwelt über Sinnesorgane bis hin zu Fortpflanzung und Kommunikation mittels chemischer Schlüsselreize.
"Evolution und Vielfalt" beschreibt den Stammbaum und die evolutionäre Entwicklung von Ameisen; die "Big Five", das heißt die artenreichsten Unterfamilien (Knotenameisen, Schuppenameisen, Urameisen, Dorylus-Ameisen, Drüsenameisen) werden vorgestellt. Manche dieser Arten, zum Beispiel die nomadischen Dorylus-Ameisen umfassen Millionen Arbeiterinnen, die auf Nahrungssuche Spuren der Zerstörung hinterlassen und längs ihres Weges einen Großteil der vorhandenen Insekten, aber auch kleine Säuger und Eidechsen vernichten.

"Lebenszyklus, Fortpflanzung und Entwicklung" erläutert die Bedeutung der Königinnen und Koloniengründungen und dabei die sehr unterschiedlichen Formen des Nesterbaues mit Auswirkungen auf die Verbreitung und das Vorkommen diverser Ameisenarten (eine einzelne Waldameisenkolonie kann z. B. aus Hunderten separaten Nestern bestehen).
"Verhalten" widmet sich dem Orientierungs- und Navigationssystem von Ameisen, das sie vor allem zur Nahrungssuche einsetzen. Die Methoden ihrer Kommunikation und ihre vielfältigen Verhaltensweisen im Hinblick auf Aggression, Verteidigung und Nestbau werden beschrieben. Ameisen sind konkurrenzorientierte Geschöpfe, ihre häufigen Kriege sind anhaltend und brutal; Nistplätze als sehr wichtige Ressource bilden oftmals das Ziel von Konkurrenz und Eroberungszügen.
"Ökologie" gibt einen Überblick über aktuell zentrale Themen der Ameisenforschung. Der Aufstieg zur Vorherrschaft von Ameisen lässt sich durch ihre vielfältigen Beziehungen zu Blütenpflanzen und indirekt zu symbiotischen Insekten wie Blattläusen, Schmetterlingsraupen, Schildläusen und Pilzen erklären; auch die Verbreitung über Tiere besitzt Bedeutung. Ameisen spielen eine zentrale Rolle in der Umwelt und tragen wesentlich zur Stabilität und Gesundheit von Ökosystemen bei, zum Beispiel durch Bodenverbesserung (Durchlüftung und Durchmischung), Humusbildung (Zersetzung von Totholz, abgestorbenen Pflanzen und Aas), Schädlingsbekämpfung (Regulation von Insektenpopulationen) und Samenverbreitung. Nicht zuletzt bilden Ameisen auch eine wichtige Nahrungsquelle für zahlreiche Tiere.
"Ameisen und Menschen" verdeutlicht die Bedeutung von Ameisen im positiven wie auch negativen Sinn. In der Landwirtschaft als "Freund oder Feind", je nach Ameisenart und Kontext des Agroökosystems. Positiv als menschliche Nahrungsquelle, als Basis für Medikamente und medizinische Anwendungen sowie auch im kulturellen Kontext. Das Anthropozän und der Klimawandel beeinflussen Ameisen in starkem Maße; einerseits via Habitatsveränderungen und Habitatsverluste durch Landwirtschaft, Verstädterung und Umweltzerstörung, andererseits durch klimatische Veränderungen, die die Zusammensetzung von Ameisengemeinschaften verändern. In der Folge kommt es zu einer zunehmenden Verbreitung invasiver Ameisenarten, die massive Störungen der Ökosysteme, aber auch des menschlichen Wohlergehens bewirken. Fünf Arten stehen dabei im Vordergrund: Die Gelbe Spinnerameise, die Argentinische Ameise, die Dickkopfameise, die Rote Feuerameise und die Kleine Feuerameise.
Ameisen spielen eine wesentliche Rolle in Ökosystemen mit einer fast unüberschaubaren Fülle von Wechselbeziehungen zu anderen Organismen. Letztendlich auch zum Menschen, was Maßnahmen zum Schutz von Ameisen-Lebensräumen und gegen das Aussterben von Ameisenarten in höchstem Maße geraten erscheinen lässt. Das fantastisch illustrierte Buch bietet nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft tiefe Einblicke in die faszinierende Welt der Ameisen mit einer Fülle hochinteressanter Fakten zu deren spannenden Eigenschaften und ungewöhnlichen Lebensweisen.
Heather Campbell/Benjamin Blanchard, Ameisen – Die faszinierende Welt der kleinen Naturarchitekten, Haupt Verlag, Bern 2024, 224 Seiten, 38 Euro, ISBN 978-3-258- 08374-2
