BERLIN. (hpd) Der Prozess gegen die überlebenden Mitglieder der Terrorgruppe NSU läuft vor dem Oberlandesgericht München jetzt seit gut anderthalb Jahren und gerät in der Öffentlichkeit langsam in Vergessenheit. Dabei nimmt die Einwanderer- und Flüchtlingsfeindlichkeit oder auch der Antiislamismus in Deutschland weiter zu. Erst letzte Woche gab es wieder einen Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkünfte bei Nürnberg, in Dresden demonstrierten 15.000 gegen eine angeblich drohende “Islamisierung” Deutschlands.
Mit ihrer Plakataktion “Im Kontext NSU – Welche Frage stellen Sie?” ruft die Künstlerin beate maria wörz in Erinnerung, dass nur ein Bruchteil der Fragen beantwortet ist, die das sechs Jahre lang andauernde Morden einer rechten Terrorgruppe aufwirft, die letztlich nur durch den vermutlichen Selbstmord ihrer zwei führenden Mitglieder aufflog.
Beate maria wörz, die sich bereits in ihrem Projekt “Heimat 4d” mit dem Thema der Integration beschäftigt hat, hat Angehörige der Opfer, Polizisten, Journalisten, Politiker und Bewohner der Städte, in denen die zehn Morde geschahen, gebeten, eine Frage in Bezug auf das Morden der NSU zu stellen.
Die erste Frage hängt seit dem 17. Dezember 2014 auf Großplakaten im öffentlichen Raum. Begonnen hat die Aktion in München und Berlin. (In Berlin hängen derzeit u.a. auf vielen S-Bahnhöfen Plakate, in München u.a. in der U-Bahn am Odeonsplatz.) Geplant ist, über ein Jahr lang in rund 20 Städten, die in einem Zusammenhang mit dem NSU-Komplex stehen, jeweils für einen Zeitraum von 10 Tagen immer wieder neue Fragen zu plakatieren (zu den Details siehe: plakataktion-kontext-nsu.de).
“Warum werden Menschen, die hier leben, arbeiten, lieben, spielen, lernen, lachen, wohnen als ’Fremde’ bezeichnet?” ist die erste Frage, gestellt von Heike Kleffner (Journalistin), die plakatiert worden ist. Der NSU-Komplex wirft viele Fragen auf. Beate maria wörz hat über fünfzig gesammelt:
- Warum wurde so lange so viel verdeckt? (Hajo Funke, Politikwissenschaftler)
- Wer schützt unsere Verfassung vor dem Verfassungsschutz? (Wolfgang Radtke, Verwaltungsbeamter, Hannover)
- Warum habe ich nicht am 6. Mai 2006 in Kassel an der Demonstration gegen die Ermordung von Halit Yozgat teilgenommen? (Markus Mohr, Harz-IV-Delinquent, Autonomer)
- Verdienen in Deutschland nur Deutsche polizeilichen Schutz? (M. T., Übersetzer, Berlin)
- War diese Mordserie staatlich organisiert? (Paiman Davarifard, Bürger, Berlin)
- Woher kommt dieser Hass? (Verena Krieger, Friedrich-Schiller-Universität Jena)
Die Künslterin möchte, dass wir uns alle diesen Fragen stellen und nicht immer schon fertige Antworten haben. Nicht nur andere sollten wir fragen, auch uns selbst sollten wir befragen.
Der NSU-Komplex, zu dem auch die absichtlichen oder fahrlässigen Fehlermittlungen der Strafverfolgungsbehörden gehören, zeigt, dass Feindlichkeit gegenüber Einwanderern und Flüchtlingen auch in den Institutionen des Staates fest verankert ist. Es ist kein Zufall, dass mit der sogenannten “Pediga-Bewegung”, die die Demonstrationen gegen die angeblich drohende Islamisierung des “Abendlandes” organisiert, sich nunmehr “normale Bürger” trauen, auf der Straße ihre rechte und fremdenfeindliche Gesinnung zu zeigen. Sie haben nicht zu Unrecht das Gefühl, eine Meinung auszusprechen, die auch im Staatsapparat und in politischen Kreisen weit verbreitet ist. Thilo Sarrazin ist dafür nur ein prominentes Beispiel.
Erst vor ein paar Tagen ist der integrationspolitische Sprecher der CDU-Faktion der BVV Spandau, Andreas Hehn, zur SPD gewechselt. Hehn ist hauptberuflich Polizist und dafür zuständig, seine Kollegen in interkultureller Kompetenz zu schulen. Hier sieht er einen immer größer werdenden Bedarf, jedoch keine Unterstützung durch den für die Polizei zuständigen Berliner Innensenator Henkel (CDU). Es ist der alltägliche Rassismus, auf dem so etwas wie die NSU-Morde gedeihen kann. Einwanderer- und Flüchtlingsfeindlichkeit ist eine Haltung, die in unserer Gesellschaft auf allen Ebenen zu finden ist und die es auf allen Ebenen der Gesellschaft zu bekämpfen gilt.
Die vielen Fragen, die beate maria wörz gesammelt hat, werden uns auch im nächsten Jahr daran erinnern, dass wir etwas tun sollten. Die nächste Möglichkeit bietet der Aktionstag des Bündnisses “NSU-Komplex auflösen” am 20. Januar 2015 in München. Etwas tun kann man auch, indem man die Künstlerin mit einer Spende unterstützt, denn das Projekt ist finanziell noch nicht abgesichert.
Kunst im öffentlichen Raum stellt leider viel zu selten solche Fragen. Es ist offensichtlich immer noch ein Tabu, zu hinterfragen, ob und wie der Staat für Feindlichkeit gegenüber Einwanderern und Flüchtlingen und für Rechtsterrorismus mitverantwortlich ist. Die Plakataktion “Im Kontext NSU – Welche Frage stellen Sie?” trägt dazu bei, dieses Tabu zu durchbrechen.
Hinweis: Die Künstlerin besteht auf der Schreibweise "beate maria wörz" für ihren Namen.