Sonderausstellung im Jüdischen Museum Berlin

"Haut ab!" enttäuscht

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Traditionelles jüdisches Beschneidungswerkzeug (im Jewish Museum (New York City)), 19. Jahrhundert
Traditionelles jüdisches Beschneidungswerkzeug (im Jewish Museum (New York City)), 19. Jahrhundert (CC BY-SA 2.0)

BERLIN. (hpd) Bereits seit Ende Oktober gibt es im Jüdischen Museum Berlin eine Sonderausstellung, die Besucher über die Tradition der (jüdischen) Beschneidung unterrichten soll. Der hpd hat bereits einmal über diese Ausstellung kritisch berichtet, nun, da die Ausstellung sich ihrem Ende nähert, war unsere Autorin, die Religionswissenschaftlerin Eva Matthes, ebenfalls dort.

Ich sage es ehrlich gleich vorneweg: Ich stehe nicht hinter § 1631d BGB, dem am 12.12.12 verabschiedeten "Beschneidungsgesetz". Ich halte es aus menschenrechtlicher Perspektive für einen Rückschritt unserer Gesellschaft und im juristischen Sinne für verfassungswidrig. Doch soll dies nicht das Thema des Berichts über meinen Besuch der Ausstellung "Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung" im Jüdischen Museum Berlin sein.

Als Religionswissenschaftlerin macht mich die Ausstellung sehr neugierig. Das Jüdische Museum Berlin ist schließlich nicht irgendwer. Ich reise mit großen Erwartungen nach Berlin. Um mir bei einem Gang durch die Ausstellungsräume selbst ein Bild zu machen von diesem - in den Medien fast durchweg gefeierten - Zugang zum Thema Knabenbeschneidung. Um an einer Führung durch geschultes Personal einer so renommierten Institution teilzunehmen. Und schließlich, um den ebenso von der Presse hochgelobten Ausstellungskatalog zu erwerben und im Nachgang ausführlich zu studieren.

Ich möchte verstehen, warum nach Inkrafttreten des Beschneidungsgesetzes gerade dessen Befürworter den enormen Aufwand betreiben, weiter zu erklären, zu erläutern und gar zu rechtfertigen. Woher kommt dieser dringende Wunsch, verstanden werden zu wollen? Genügt es nicht, dass eine nicht-therapeutische Vorhautentfernung in diesem Land nun gänzlich dem Willen der Eltern obliegt? Es geht dieser Ausstellung offensichtlich darum, nochmals zu bekräftigen, dass das Ritual der Beschneidung nun nicht nur erlaubt ist, sondern nachhaltig davon zu überzeugen, dass es hierzu auch keine Alternative gibt. Zumindest lässt das Grußwort im Ausstellungskatalog dies vermuten, wenn es dort heißt: "Unser Anliegen ist es, dem Thema der religiös motivierten Knabenbeschneidung in den drei monotheistischen Religionen Tiefe zu geben und am Beispiel von historischen Quellen und Exponaten zu zeigen, welchen essenziellen Stellenwert dieses Ritual sowohl für das Judentum als auch für den Islam bis heute hat."

Die Ausstellung

Mit Spannung betrete ich die Ausstellung. Auf dem Rundgang gibt es einiges zu entdecken. Gleich das erste Exponat, die Ganzkörperplastik eines Australiers, zeigt, dass Bestrebungen, über den monotheistischen Tellerrand hinauszusehen, bei der Konzeption der Ausstellung durchaus eine Rolle gespielt haben. So steht auf der Tafel am Fuß des männlichen Körpers: "Die Beschneidung der Vorhaut gehört bei australischen Aborigines zu einem mehrstufigen Initiationsritual." Vergebens suche ich nach der Erläuterung, was diese rituellen Stufen im Einzelnen ausmachen.

Tatsächlich ist mir bekannt, dass in jener Kultur dem heranwachsenden Mann zunächst die Vorhaut entfernt wird und – sobald die Wunde abgeheilt ist – die Harnröhre von oben bis unten aufgeschlitzt wird. Diese Information wird dem Ausstellungsbesucher unterschlagen. Schade – gerade an dieser Stelle wäre Raum gewesen für einen kulturübergreifenden Dialog. Interessant ist jedoch eine große Tafel an exponierter Stelle, die dem Besucher erklärt: "Körperliche Eingriffe gehörten jahrtausendelang zum symbolischen Ausdruck von Religionen und haben sich in einigen Regionen der Welt bis heute erhalten. Es gibt Gesellschaften, die traditionell tätowieren und skarifizieren, also Ziernarben in den Körper ritzen, die piercen und beschneiden oder andere Körpermanipulationen vornehmen." Beim Lesen dieser Zeilen fallen mir zeitgleich u. a. schlagende Studentenverbindungen und die Lotos-Füße im chinesischen Kaiserreich ein. Dementsprechend suche ich in der Nähe dieser Tafel nach Versuchen der Abgrenzung, Differenzierung oder Erläuterung. Vergeblich. Vielleicht wird die Führung Aufschluss darüber geben?

Nach diesem Einstieg geht es weiter mit der Illustrierung des Beschneidungsritus im Judentum. Verschiedene Beschneidungsinstrumente und -gewänder werden in ihrer Funktion und Bedeutung erläutert. Der Besucher erfährt beispielsweise, dass auf der Beschneidungsbank immer ein Platz freizuhalten ist, auf dem der Prophet Elia als Garant der Tradition der Zeremonie beiwohnt. Weiter geht es zur muslimischen Beschneidung. Fotoserien zeigen als Prinzen kostümierte Jungen und aufwändige Beschneidungsfeste. Ausgestellte Kostüme runden das Bild ab.

Ein weiterer Teil der Ausstellung widmet sich der Beschneidung im Christentum. Darauf bin ich ganz besonders gespannt. Leider wurde hier zu viel versprochen: Es handelt sich lediglich um die Deutung der Beschneidung Jesu so wie deren Rezeption in Kunst und Literatur im Christentum. Hier hätten zumindest christliche Gruppierungen erwähnt werden können, die die Vorhautentfernung aus religiösen Gründen praktizieren (meist mit dem Ziel, den Heranwachsenden am Masturbieren zu hindern). Die Ausstellung endet mit einer Art Kino-Raum, in dem auf Monitoren mit Kopfhörern eine Unmenge von Filmmaterial unterschiedlicher Art gezeigt wird. Die Bundestagesdebatte von 2012 ist hier ebenso vertreten wie diverse Spielfilme.

Die Führung

Um 14 Uhr beginnt die Führung. Ich freue mich, dass wir auf die Kompetenz eines Religionswissenschaftlers vertrauen können, der unsere kleine Gruppe von fünf Personen mit großem Sachverstand und viel Hintergrundwissen durch die Ausstellung begleiten wird.

Eingangs wird uns der Titel erläutert – für alle, die es bis dato nicht bemerkt haben: Die sprachliche Wendung "Haut ab!" birgt mehr als eine Interpretationsmöglichkeit. Als nächstes fasst uns der Museumsmitarbeiter zusammen, was im § 1631d BGB steht. Nämlich: Beschneidung ist jetzt aus religiösen Gründen in Deutschland erlaubt. Leider muss ich ihn da korrigieren: Entschuldigung, von Religion steht nichts im Gesetz. Darauf er: Aber es steht drin "aus kulturellen Gründen." Ich: "Nein, da stehen keine Gründe. Eltern können grundsätzlich einwilligen, ohne Angabe von Gründen." Ein anderer aus der Gruppe fügt hinzu: "Das ging auch nicht anders. Sonst wäre es ein Sondergesetz gewesen." Der Religionswissenschaftler bedankt sich für den Hinweis. Wir gehen weiter.

In einem weißen Raum, in dem an der Wand in Hebräisch und Deutsch die Aufforderung zur Beschneidung aus der Tora steht, werden wir das erste Mal gefragt, was wir empfinden, wie es uns mit dem was wir hier sehen und hören geht. Ich bin ernsthaft erstaunt! Eine sehr mutige Frage. Dementsprechend emotionale Antworten kommen auch aus der Gruppe. Z. B. "Finde ich komisch – der acht Tage alte Säugling kann doch das Wort 'Ja' gar nicht artikulieren…" Bei der nächsten Station, angesichts eines ausgestellten "Einmalbestecks", fragt eine Teilnehmerin, ob man das so im Internet bestellen kann, um die Beschneidung zu Hause durchzuführen. Wir werden belehrt, dass es laut Gesetz unter Berücksichtigung medizinischer Standards durchgeführt werden muss. Wieder muss die Gruppe korrigieren: Die Frage der Teilnehmerin sei durchaus berechtigt. Da in den ersten sechs Monaten die Beschneidung nicht zwingend von einem Arzt durchgeführt werden muss, spräche theoretisch nichts dagegen, dass der Beschneider den Eingriff mit einem "Einmalbesteck" zu Hause vornimmt. Nur findet sich in dem Tütchen nichts, das eine angemessene Anästhesie sicherstellen könnte – was man normalerweise als medizinischen Standard bei Operationen selbstverständlich voraussetzt.

Beim Thema Islam ist es dann wieder soweit: Die Gruppe wird gefragt, wie sie das bisher Gesehene empfindet. Als die Reihe an mir ist, nehme ich Bezug auf den ersten Raum, den mit dem australischen Aborigine und dem Hinweis auf die jahrtausende alte Tradition körperlicher Manipulationen in vielen Kulturen. Ich stelle die Frage: "Wie grenzt sich diese Ausstellung in ihren Aussagen beispielsweise von der weiblichen Genitalverstümmelung ab? Ich bekomme eingangs erklärt, wie alt und wie vielfältig Körpermanipulationen in unterschiedlichen Kulturen sind. Wenn für die Knabenbeschneidung hier so vehement um Akzeptanz und Respekt geworben wird, wie distanziert sie sich z. B. von Klitorisbeschneidungen?" Die Antwort des Religionswissenschaftlers: "Die weibliche Genitalverstümmelung ist etwas vollkommen anderes. Das kann man nicht miteinander vergleichen."

Leider ist das keine Antwort auf meine Frage. Vielleicht hätte ich sie anders formulieren und statt "Genitalverstümmlungen" einen x-beliebigen anderen Brauch nennen sollen. Jedenfalls werde ich mich weiter darüber wundern, dass das Jüdische Museum hier nicht allen Missverständnissen prophylaktisch einen Riegel vorgeschoben hat.

Im Raum über das Christentum schließlich stehen wir vor einem Rubensgemälde, auf dem die Beschneidung Jesu dargestellt ist. Künstlerisch beeindruckend ist vor allem was sich innerhalb des Gemäldes über dem Altar mit dem Baby abspielt: "Aus dem himmlischen Licht, umgeben von anbetenden und präsentierenden Engeln, erscheint der göttliche, und eben nicht von Menschenhand gemachte Name Jeschua als Tetragramm in hebräischen Lettern." (zitiert aus dem Ausstellungskatalog). Angesichts dieser feierlichen Darstellung, kann ich es mir nicht verkneifen, verständig zu kommentieren: "Jetzt verstehe ich auch endlich, warum es für das Christentum so notwendig war, dass Gott einen Sohn und keine Tochter hatte: Was hätte Rubens denn sonst darstellen sollen? Das ginge ja überhaupt nicht!" Der Museumsführer strahlt mich begeistert an und stimmt mir zu: "Ja, genau so ist es!"

Nachdem also – bedauerlicherweise – weder die Exponate noch die religionswissenschaftliche Führung durch die Ausstellung neue Erkenntnisse hinsichtlich des Themas der Knabenbeschneidung erbracht haben, mache ich mich auf den Heimweg und suche im Nachgang nach Antworten auf meine Fragen im Ausstellungskatalog.

Der Ausstellungskatalog

Von einer Ausstellung, deren Sinn erklärtermaßen darin liegt, um Toleranz und Respekt für eine religiös begründete Körperverletzung an Kindern zu werben, ist nichts anderes zu erwarten, als dass die ausgewählten Exponate und deren Präsentation optisch wie inhaltlich darauf ausgerichtet sind, von allem, was unangenehm oder verstörend wirken könnte, abzulenken und folkloristische Elemente in den Vordergrund treten zu lassen. Dass ein Museumsmitarbeiter scheinbar angehalten ist, seine Führung emotional zu gestalten, in dem er immer wieder nach Befindlichkeiten und Gefühlen in der Gruppe fragt, und leider auch nicht weiß, was genau in einem Gesetz steht, dessen Text in unübersehbar großen Lettern eine der Tafeln der Ausstellung ziert, wirkt irritierend, könnte aber ein Zufall sein. Dass ein so umfangreicher Ausstellungskatalog mit so viel Textmaterial so viele Fragezeichen und Ungereimtheiten enthält, erstaunt mich dann aber doch.

Der Katalog beginnt mit einem Grußwort der Programmdirektorin Cilly Kugelmann, die rückblickend auf die Beschneidungsdebatte von 2012 davon spricht, dass Atheisten religiöse Positionen "verbittert bekämpften" und Kinderärzte die Beschneidungspraxis als traumatisierenden Einschnitt "attackierten" – ein rhetorisch äußerst unsachlicher Einstieg in das Thema. Der Artikel von Gerhard Langer stellt dann wichtige Aspekte der Beschneidung in der rabbinischen Tradition vor. Besonders stolpert man über folgenden Satz: "Die Vorstellung von Beschneidung als Akt der Vervollkommnung des Menschen ist nicht neu." Was genau bezweckt der Autor mit dieser Feststellung? Und wem darf er wofür zur Rechtfertigung dienen? Wie viel darf eine Religionsgemeinschaft einem Kind abschneiden und welchen Geschlechts muss es sein und welcher Religionsgemeinschaft müssen seine Eltern angehören, damit der Gesetzgeber sich verantwortlich fühlt, einzugreifen?

"Die Vorstellung von Beschneidung als Akt der Vervollkommnung des Menschen ist nicht neu." Nein, sie ist sogar sehr alt. Sie ist noch älter als das Judentum. Wirbt Gerhard Langer an dieser Stelle um Verständnis und Respekt? Und wenn ja: Wofür?

Es folgt ein Text von Alfred Bodenheimer zur Beschneidungsdebatte aus jüdischer Perspektive. Der Autor beschreibt ausführlich, warum gerade "die Juden" in Deutschland ganz besonders unter der Debatte gelitten haben. Einer Umfrage zufolge seien "die Juden" über diese schockiert und verletzt gewesen, "die Muslime" hätten darin eher eine unerfreuliche Fortsetzung der Sarazin-Debatte gesehen.

Wenn Bodenheimer von "den Juden" und "den Muslimen" in Deutschland spricht, vergisst er diejenigen Söhne jüdischer und muslimischer Eltern, die in Deutschland leben und die das Trauma ihrer Beschneidung tagtäglich belastet. Als die wahren Verlierer der Debatte müssen sie es ertragen, in einem Land zu leben, in dem ihr Schmerz nicht einmal soweit respektiert wird, dass sie einen Anspruch auf Schadensersatz hätten. Sie müssen ertragen, dass das, was man ihnen angetan hat zum "Recht" aller Eltern erklärt wurde. "Die Juden", die schockiert waren, "die Muslime", die die Debatte als unerfreulich empfunden haben, waren letzten Endes diejenigen, die in vollem Umfang bestätigt wurden und seitens der Gesetzgebung alle Forderungen zugestanden bekamen.

Die traumatisierten Söhne jüdischer und muslimischer Eltern müssen in Deutschland damit leben, dass ihre Unversehrtheit ihrem Staat weniger gilt als die Schockiertheit derer, die "Recht" bekommen haben. Noch mit seinem letzten Satz negiert Bodenheimer offenbar die Existenz dieser Männer: "Es braucht jenseits aller Bekenntnisse von Politikern und gesetzgeberischen Korrektive, nur einen Anlass, und sie [die Juden] werden als Minderheit wieder zum Objekt der Ablehnung einer selbsterklärten Konsensgemeinschaft."

In seinem Beitrag über die Knabenbeschneidung und ihre Bedeutung für die muslimische Religionspraxis und Identitätsbildung stellt Ilhan Ilkilic zunächst Unterschiede über den Zeitpunkt der Knabenbeschneidung in unterschiedlichen islamischen Rechtsschulen heraus. Bei der Nennung der schafiitischen Rechtsschule vergisst er dabei tatsächlich, darauf hinzuweisen, dass die Schafiiten nicht nur ihre Söhne an der Penis- sondern auch ihre Töchter an der Klitorisvorhaut beschneiden lassen. Ein – auf der Skala der Verletzungstiefen bei weiblicher Genitalverstümmelung vergleichsweise (!!!) kleiner – Schnitt, der in Deutschland seit gar nicht langer Zeit strikt verboten ist. Schade, dass Ilkilic diese Information hier vorenthält – es wäre interessant geworden, wie er seine Argumentation weiterhin aufrecht erhalten und zugleich das Strafgesetz nicht infrage gestellt hätte.

Dennoch führt er für die Beschneidung von Jungen teilweise dieselben Argumente ins Feld, wie es die Befürworter der Mädchenbeschneidung tun, wenn er schreibt "Ein unbeschnittener Mann könnte Schwierigkeiten haben, einen Ehevertrag abzuschließen, da er von einer muslimischen Frau und ihrer Familie nicht akzeptiert würde." Vielleicht ist ihm dies beim Schreiben sogar aufgefallen, denn wenig später weiß er: "Ebenso kann nicht von einer Organschädigung und der damit verbundenen Organdysfunktion gesprochen werden, wie sie bei der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen vorkommt."

Leider setzt er hier auf die Unwissenheit seiner Leserschaft. Zum einen arbeitet er mit einem schwammig definierten Begriff weiblicher Genitalverstümmlung (denn hier gibt es Varianten mit vergleichsweise wenig oder gar ohne Gewebeverlust), zum anderen bezieht er sich mit der Dysfunktion augenscheinlich nur auf einen Aspekt der Geschlechtsorgane – nämlich den der Fortpflanzung.

Abschließend stellt er fest, dass "nach islamischem Glauben die Beschneidung von Knaben als eine elementare, unverzichtbare und unersetzliche Pflicht zu bewerten ist" – eine durchaus kühne und viele Fragen zurücklassende Behauptung angesichts der Tatsache, dass Beschneidung im Koran nicht erwähnt wird. Nebenbei bemerkt ist dies als implizite Diffamierung aller muslimischer Eltern zu werten, die auf den Eingriff verzichten und sich dennoch als religiöse und gläubige Menschen verstehen. Hier wäre ein bisschen von jener Einfühlsamkeit und dem Verständnis anderen gegenüber zu wünschen gewesen, das von Seiten der Beschneidungsbefürworter unermüdlich eingefordert wird.

In seinem Artikel "Gesundheit, Krankheit und Glaube. Der Streit um die Beschneidung" fasst Sander L. Gilman verschiedene medizinische Argumente für und gegen die Knabenbeschneidung zusammen und stellt dann fest: "Keine medizinische Beschneidungsdiskussion ist je unabhängig von ideologischen Sichtweisen geführt worden." Beim Lesen dieser Aussage stellt sich zunächst Verwunderung ein. Es ging der Ausstellung ja um die Darstellung eben jener ideologischer Sichtweisen. Die Medizin sollte außen vor bleiben. Mit welcher "Ideologie" stehen die Gegner der Beschneidung den religiösen "Ideologen" denn entgegen? Am Ende des Artikels finden wir die Antwort darauf. "[…] die Gegner beklagen eine Verletzung der Menschenrechte […]. Diese ideologischen Haltungen beeinflussen die Wissenschaft in alle Richtungen […]"

Wenn religiösen Ideologien nun die Verteidigung der Menschenrechte als eine konträre Ideologie gegenübersteht, müssen wir uns ernsthaft fragen, ob dies noch im Sinne einer auf Vielfalt und friedliches Miteinander ausgerichteten Gesellschaft ist.

Ich schließe meine Lektüre des Katalogs ab und frage mich, ganz nach dem Beispiel der Museumsführung, die ich heute erlebt habe, was ich nach dem Gesehenen und Erfahrenen jetzt empfinde. Ich bin zwiegespalten. Als Religionswissenschaftlerin ärgere ich mich maßlos und bin zutiefst enttäuscht. Vom Jüdischen Museum Berlin hätte ich mehr erwartet. Ich hatte auf mehr Sachlichkeit gehofft, auf mehr Ehrlichkeit, auf vorsichtigere und durchdachtere Argumentationsketten. Auf mehr Mut, zu dem zu stehen, was man verteidigt und wofür man Respekt einfordert. Mehr als eine oberflächliche, auf Folklore und Kunstobjekte beschränkte Herangehensweise. Schade. Als Menschenrechtlerin aber bin ich froh und erleichtert: Auch nach dieser Ausstellung erscheinen keine neuen oder bisher in der Debatte angeblich vernachlässigten Argumente für die Erlaubnis einer Manipulation der Geschlechtsteile von Kindern. Und das ist ein beruhigender Gedanke.