CHEMNITZ. (hpd) Pieter Bruegel war Bauernmaler und Humanist. Inspiriert durch die mittelalterlichen Phantasien eines Hieronymus Bosch, war er besessen von einem aufklärerischen Impetus wie Goya. Die Kunstsammlungen Chemnitz zeigen derzeit mit “Peter Bruegel d. Ä. und das Theater der Welt” sein komplettes druckgrafisches Werk, in der Zeit der Glaubenskriege entstanden und immer noch hochaktuell.
Eine wilde Alpenlandschaft türmt sich im Hintergrund auf. Eine Flusslandschaft mit einem unverkennbar italienischen Dorf und fruchtbaren Feldern breiten sich unter ihnen aus. Im Bildvordergrund, winzig, ein Vogelfänger mit gefangenen gefiederten Sängern auf Stangen, Lockvögeln. Auf der Faust hält der Mann einen abgerichteten Greifvogel. Weiter in der Ferne ein Säer, über allem am rechten oberen Bildrand wiederum zwei Greife. Mit “Der hinterlistige Vogelfänger” schuf Pieter Bruegel ein Werk, das nicht nur zu betrachten, sondern auch zu lesen ist. Die Vögel, die die Saat bedrohen, sind hier Räuber und der Freiheit beraubte zugleich, Bedrohung und Bedrohte, in einem dramatischen Kreislauf.
Nicht anders auf der Radierung “Kaninchenjagd”. Vor einem weiten Landschaftsprospekt, das von einer Burg gekrönt wird, zielt vorn ein Jäger mit einer Armbrust auf Kaninchen an einem Hang, hinter ihm lugt hinter dem Stamm einer mächtigen Eiche ein Mann mit einem Spieß in der Hand hervor, der sich im nächsten Moment auf den Jäger stürzen könnte.
Noch deutlicher wird der flämische Maler auf dem Kupferstich “Die großen Fische fressen die kleinen”. Einem mächtigen gestrandeten Fisch wird von einem Kerl mit übermannsgroßem Messer der Bauch aufgeschlitzt. Heraus quellen Fische, andere finden den Weg aus dem Maul wieder hinaus, nur um dort im Wasser von den nächsten Fischen wieder verschlungen zu werden, die ihrerseits schon im Maul eines noch größeren Fisches stecken.
Bei der Betrachtung des Kupferstichs “Der Kampf der Sparbüchsen gegen die Geldkisten” glaubt man sich vollends in einer Kritik der Gegenwart angekommen. Da bekommen die prallen Geldsäcke und die tönernen Spardosen, die Fässer und die Truhen geharnischte Arme und Beine und gehen in einem wilden Kampfgetümmel mit Spieß und Schwertern aufeinander los. Im Hintergrund wogen die Lanzen und türmen sich düstere Wolken.
Pieter Bruegel der Ältere kam zwischen 1525 und 1530 in einem Dorf namens Bruegel bei Breda zur Welt. Da es mehrere Bredas gibt, wissen wir nicht einmal genau wo. Hineingeboren wurde er in die Zeit der Glaubenskämpfe. So wundert es nicht, dass seine Spottlust über die Schwächen der Menschen nicht nur von ewiger Gültigkeit ist, sondern besonders die institutionalisierten Religionen traf. Da er Flame war, vor allem die katholische Kirche.
Am deutlichsten wird er in der einzigen Zeichnung der Ausstellung: “Die Imker”. Die Gesichter von einem Flechtwerk verborgen, machen drei surrealistisch wirkende, vermummte Gestalten sich an ein paar Bienenkörben zu schaffen, bereit, sie ganz oder ihren Inhalt davonzutragen. Die Bienenkörbe waren seit jeher eine Metapher für die Kirche. Die Imker bedeuten wahrscheinlich die Inquisition. Rechts oben hockt ein Mann vom Betrachter abgewandt in einem Baum, vielleicht den Himmel oder die Dorfkirche hinter ihm schauend, ein Bauernlümmel, möglicherweise aber auch ein eigenständig nach einem inneren Glauben suchender Mensch.
Selbst die sieben Tugenden und die sieben Todsünden sind bei Bruegel alles andere als ein konventionelles Thema. Diese Bildserie hat es in sich. Man muss nur genau hinsehen. Die Schar der Frommen versammelt sich in “Der Glaube” in einem mächtigen Kirchenbau, dessen hohe Säule im Zentrum des Stichs schon von gefährlichen Rissen durchzogen ist. Hinter der Allegorie der Hoffnung vor den tosenden Wellen in einer Hafenbucht angelt ein Mann Fische, völlig gleichgültig dem gegenüber, dass vor ihm ein Mensch in den Fluten ertrinkt. Den Bedürftigen werden bei der in Szene gesetzten Caritas die Kleider eher vom Leibe gerissen, als dass sie gekleidet werden. Auf der Darstellung des Hochmuts trägt ein Monster einen Kardinalshut. Die zentralen Figuren der Allegorie auf die Trägheit, beten auf Knien inbrünstig zu Gott, zum Handeln längst zu träge.
Auf dem Kupferstich “Der gute Hirte” ragt gerade noch das mit einer Kutte bekleidete breite Hinterteil eines diebischen Glaubensmannes aus der Dachöffnung eines Stalles heraus, aus dem Christus, ein Schaf auf den Schultern, ein paar andere den Blick vertrauensvoll auf ihn gerichtet, immerhin einen Teil der Herde retten kann. Doch der Kleriker ist nicht allein tätig. Den übrigen von sehr weltlichen Einbrechern gerade ergatterten Tieren werden flugs Glocken umgehängt, womit die erbeuteten Schafe zu Leittieren einer neuen Herde gemacht werden. Pieter Bruegel karikiert derart die Glaubensspaltung seiner Zeit.
Ihr Fett bekommen alle Seiten ab. Doch ahnt man, worauf Bruegel setzt. Die Tugend der Mäßigkeit zeigt sich bei näherem Hinsehen eher als eine Fähigkeit zu messen und genau zu untersuchen. Da werden mit dem Zirkel in der Hand ein Gestirn und ein Globus erforscht. Es wird eifrig mit dem Lot gebaut, Brille und Winkelmaß liegen bereit, es wird musiziert und auf der Bühne deklamiert, was den Zusammenhang von Maß, Musik und Poesie vor Augen führt. Aber – Breugels Bilder sind nie ohne ein “aber” – am Boden liegen auch die Windmühlenflügel, die an die Abhängigkeit des Menschenlebens von den äußeren Umständen des Schicksals erinnern.
Rund um den “Von Affen ausgeraubten Hausierer” verlustieren haarlose Makaken sich mit Spiegel und Tröten, probieren Brillen und Stiefel aus, tanzen zur Trommel und reiten auf Steckenpferden. Eine Mahnung vor all zu großem Vertrauen auf die bloße Sinneswahrnehmung.
Alles hat bei Pieter Bruegel einen doppelten Boden, nichts ist gewiss. So schlittern die Bürger auf dem “Eislauf vor dem Antwerpener St. Georgstor” munter über das Eis, während im Bildhintergrund ein Eingebrochener aus dem Wasser gezogen wird.
Pieter Bruegel war vor allem ein genauer Beobachter. Er begann seine Laufbahn als Grafiker. Sein Verleger schickte ihn zwei Jahre auf eine Italienreise. Dort interessierte er sich jedoch scheinbar so wenig für die römische Malerei, dass sie auf den ersten Blick ohne Einfluss auf ihn blieb, was seine Zeitgenossen auch bald kritisierten. Genau studierte er dagegen die Landschaften. Seine zeitlebens als Maler beibehaltene Vorliebe für eine Vogelperspektive wird durch seine Erfahrung der Landschaft von hohen Gebirgspässen aus erklärt, die ihn ungeheuer beeindruckt haben muss.
Doch Pieter Bruegel hat sich auch Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle und die Laokoon-Gruppe im Vatikan durchaus genau angesehen. Sein Werk “Sommer” zeigt nicht nur Schnitter bei der Arbeit. Im Vordergrund stemmt ein muskulöser Mann einen tönernen Krug, um sich daran zu laben. Statt um himmlische Güter zu ringen, befriedigt er sehr irdische Bedürfnisse. Einmal mehr zeigt sich darin Pieter Bruegels Methode, das Erhabene aufs Menschliche herunterzutakten, das Dramatische auf das Satirische. Heute würden wir das cool nennen.
Kunstsammlungen Chemnitz: “Pieter Bruegel d. Ä. und das Theater der Welt”, Theaterplatz 1, 0911 Chemnitz bis 6. Juli, Di – So 11 – 18 Uhr, Katalog Deutscher Kunstverlag, Hrgs. Ingrid Mössinger und Jürgen Müller, 32 Euro