Das jüdische Konstanz – Blütezeit und Vernichtung

"Jetzt ist es soweit, heute verlieren wir unsere Heimat"

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Zylinderschachtel der von Sally Salomon betriebenen Firma "Union" in der Bodanstraße 18 und ein Zylinder der Gebrüder Guggenheim, Rosgartenstraße 32. Um 1900.
Zylinderschachtel der von Sally Salomon betriebenen Firma "Union" in der Bodanstraße 18 und ein Zylinder der Gebrüder Guggenheim, Rosgartenstraße 32. Um 1900.

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Passpapiere der Familie Levinger mit dem 1938 eingeführten "Judenstempel", einem gelben "J" im Innern und einem schwarzen "J" auf der Kennkarte.
Passpapiere der Familie Levinger mit dem 1938 eingeführten "Judenstempel", einem gelben "J" im Innern und einem schwarzen "J" auf der Kennkarte.

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Alltagsrelikte aus Konstanzer Dachböden und aus aller Welt: Kleiderbügel, Brillenetui und Werbegeschenke von Einzelhandelsgeschäften jüdischer Kaufleute.
Alltagsrelikte aus Konstanzer Dachböden und aus aller Welt: Kleiderbügel, Brillenetui und Werbegeschenke von Einzelhandelsgeschäften jüdischer Kaufleute.

KONSTANZ. (hpd) Am Donnerstag öffnet das Kulturzentrum am Münster seine Türen für eine bemerkenswerte Sonderausstellung: "Das jüdische Konstanz – Blütezeit und Vernichtung". Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts waren viele jüdische Familien nach Konstanz gezogen und prägten das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben der Stadt ganz entscheidend mit. Doch 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, endete der Traum vom Zusammenleben. Wer nicht rechtzeitig emigrieren konnte, wurde in Konzentrationslager verschleppt.

Anfangs, so der Konstanzer Museumsleiter Tobias Engelsing, sei man schon ein wenig skeptisch gewesen, ob die Suche nach Erinnerungsstücken für die Ausstellung erfolgreich sein würde: "Wir haben die uns bekannten Adressen angeschrieben, darunter die von noch lebenden Emigrierten und ihrer Kinder und Enkel". Doch auf Reaktionen musste man nicht lange warten, denn aus allen Teilen der Welt kam per Post oder Internet Zuspruch von jüdischen Familien, deren Vorfahren einst in Konstanz gelebt hatten. Die meisten zeigten sich dankbar über die geplante Ausstellung: "Es ist schön, dass die Schicksale unserer Familien nicht vergessen wurden und wir werden alles tun, um Euch zu helfen." Und nur wenig später trafen die ersten Kisten mit Erinnerungsstücken am Bodensee ein: Tagebücher, Briefe, Fotos, Textilien, Schmuck und vieles andere mehr.

Beklemmende Momente

Sonntagsspaziergang im Hafen: Kinder der Familien Veit und Schatz im typischen "Sonntagsstaat" der wilhelminischen Gesellschaft um die Jahrhundertwende.
Sonntagsspaziergang im Hafen: Kinder der Familien Veit und Schatz im typischen "Sonntagsstaat" der wilhelminischen Gesellschaft um die Jahrhundertwende.

Bei der Sichtung des eingegangenen Materials, so Engelsing, habe man mehrmals "starke Momente der Rührung" erlebt, wie beispielsweise beim Anblick eines kleinen Lederetuis: "Da waren Konstanzer Hausschlüssel drin. Die Familie musste ihr Haus verkaufen, natürlich zu einem Dumpingpreis, wie das damals bei der sogenannten Arisierung üblich war. Einen Schlüssel haben sie, als sie ihr Haus zum letzten Mal abgeschlossen haben, zur Erinnerung mitgenommen." Oder beim Lesen des Tagebuches eines Jungen, der notiert hatte: "Jetzt ist es soweit, wir verlieren unsere Heimat, wir dürfen nicht mehr in die Schule, heute habe ich meinen letzten Schultag gehabt." Beklemmung machte sich bei den Ausstellungsmachern breit, als sie ein Sommerkleid in Händen hielten, das die Mutter einer heute noch lebenden Emigrierten trug, als sie Konstanz verlassen hat.

Die Rolle der IHK

Über die Arisierung jüdischen Eigentums gibt es im Konstanzer Stadtarchiv keinen Quellenbestand. Engelsings Vermutung: "Der ist wohl nach 1945 gesäubert worden, um die belasteten Neueigentümer zu entlasten. Die Arisierung in Konstanz ist bisher ein dunkles Kapitel." Fündig wurde man hingegen beim baden-württembergischen Wirtschaftsarchiv und stieß dabei auf Akten der Industrie- und Handelskammern (IHK). Deren Gutachter spielten während der NS-Zeit eine wichtige, aber auch schmutzige Rolle bei der Enteignung jüdischen Eigentums. 1933 gab es laut Recherchen von Engelsing in Konstanz 46 Gewerbe jüdischer Inhaber, meist Einzelhandelsunternehmen, aber auch kleinere Handwerksbetriebe und Verlage, Arztpraxen und Anwaltskanzleien. Jüdische Inhaber, denen frühzeitig klar geworden war, dass sie keine Zukunft mehr haben würden im NS-Staat, konnten noch zu halbwegs akzeptablen Konditionen ihr Eigentum verkaufen, aber auch nur dann, wenn sie auf faire Interessenten trafen.

Zynische Schnäppchenjagd

Marktstätte 17, 19 und 21 (nach dem Umbau)
Marktstätte 17, 19 und 21 (nach dem Umbau) Der kurz vor Kriegsbeginn emigrierte Hemdenhersteller Iwan Leib, forderte sein 1940 beschlagnahmtes Haus (Mitte) an der Marktstätte 1948 mit Erfolg zurück.

Aber schon ab 1934 änderte sich das, der Druck auf die jüdische Bevölkerung wurde stärker und wer sein Hab und Gut veräußern wollte, bekam in der Regel nur noch einen Spottpreis dafür. Fachleute von der IHK, meist Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, schätzten das jüdische Vermögen und oft genug fiel dabei sinngemäß der Satz: "Das Judengeschäft ist ja nichts mehr wert, der Umsatz ist seit 1933 drastisch eingebrochen." Engelsings Fazit: "Auch in Konstanz setzte schnell eine Art Schnäppchenjagd ein, die ab 1937 vom badischen Staat nach Kräften gefördert und unterstützt wurde. Während man anfangs den zur Emigration entschlossenen Juden, die dadurch aber unter großem Zeitdruck standen, einen Gutteil ihres Vermögens gelassen hat, wurden in der Folgezeit die Abgaben und Steuern derart erhöht, dass viele vormals vermögende Familien ihre Heimat als arme Kirchenmäuse verlassen mussten." Und manchen sind als letzte Erinnerung eben nur noch ihre Hausschlüssel geblieben.

Einige jüdische Familien harrten in Konstanz aus, hoffend, der NS-Spuk würde bald ein Ende haben. Sie täuschten sich und bezahlten diese Fehleinschätzung mit ihrem Leben. Vor 75 Jahren, im Oktober 1940, wurden 112 Konstanzer Juden nach Gurs, die meisten von ihnen später in die Vernichtungslager Auschwitz und Majdanek deportiert. Auch Briefe von dort werden in der Ausstellung zu sehen sein, dazu Paketzettel mit dem lapidaren Vermerk: "Zustellung nicht mehr möglich."

Unterstützung auch aus der Schweiz

Die Ruine der gesprengten Synagoge, aufgenommen einige Tage nach dem Pogrom.
Die Ruine der gesprengten Synagoge, aufgenommen einige Tage nach dem Pogrom. Ein Konstanzer Bauunternehmer führt bereits die Trümmersteine weg. Stadtarchiv Konstanz

Durch ihre direkte Nähe zum NS-Staat blieb auch der jüdischen Gemeinde in Kreuzlingen nicht verborgen, was sich einen Steinwurf entfernt in Konstanz abspielte. Außerdem waren die jüdischen Mitglieder beider Ortschaften nicht nur persönlich, sondern auch wirtschaftlich lange vor der nationalsozialistischen Machtübernahme miteinander verbunden. Geschäftsleute aus Konstanz hatten Betriebe in Kreuzlingen und Umgebung gegründet und ließen sich auf Schweizer Seite nieder, bevor auch dort die Grenzen dicht gemacht wurden, wie Engelsing berichtet: “Als die ersten jüdischen Flüchtlinge 1933 auf dem Bahnhof in Basel ankamen, hat die Schweiz erklärt, sie habe ein großes Überfremdungsproblem und weigerte sich schlichtweg, die in Nazideutschland verfolgten Juden als politische Flüchtlinge anzuerkennen. Es gab selbst in Kreuzlingen niedergelassene jüdische Familien aus Konstanz, die von Ausweisung bedroht waren, die nicht mehr arbeiten durften und die zum Teil in der Schweiz in Internierungslager gesteckt wurden, obwohl sie bereits seit der Jahrhundertwende dort beispielsweise als Textilunternehmer tätig waren und Steuern bezahlt hatten. Die jüdische Gemeinde in Kreuzlingen kümmerte sich mit Hilfspaketen, organisiert von Erna Veit-Hammels Hilfskomitee, um die inhaftieren Konstanzer Juden, die nach Gurs verschleppt worden waren. Aus dieser Tradition heraus gibt es heute noch Familien, die Material aufbewahrt haben, das auch in der Konstanzer Ausstellung zu sehen sein wird. "Wir haben mit etlichen Schweizer Organisationen zusammengearbeitet", so Engelsing "und eine außerordentlich freundliche Unterstützung erfahren."

Politprominenz glänzt durch Abwesenheit

Eröffnet wird die Ausstellung in Konstanz mit einer Gedenkfeier am kommenden Mittwoch um 19 Uhr im Oberen Saal des Konzilgebäudes, bei der auch der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman eine Rede halten wird. Eingeladen wurden alle Oberbürgermeister und Bürgermeister aus dem Landkreis Konstanz, darunter auch einige, in deren Städten früher jüdische Gemeinden existierten. Doch der Rücklauf war bescheiden und Tobias Engelsing kann seinen Ärger darüber auch gar nicht verhehlen: "Fast die gesamte politische Prominenz hat abgesagt. Würden wir aber eine Ausstellung über gutes Essen am Bodensee machen, dann wären die alle da."
 


Das jüdische Konstanz - Blütezeit und Vernichtung. 16. Juli bis 30.12.2015 im Kulturzentrum am Münster. Öffentliche Führungen jeden Dienstag ab 16 Uhr. Führungen für Schulklassen und Jugendliche jederzeit auf Anfrage. Kontakt: Dr. Lisa Foege, Telefon: 07531- 900 851 oder per Mail: lisa.foege[at]konstanz.de

Zur Ausstellung Das jüdische Konstanz wird auch ein gleichnamiges Buch im Südverlag erscheinen. Der reich bebilderte Band erzählt die Geschichte des jüdischen Lebens in Konstanz. Die inhaltsreiche, gut lesbare Darstellung ist stark quellengestützt. Erstmals zugängliche Dokumente aus staatlichen Archiven wurden ebenso ausgewertet wie wertvolle Text- und Bildquellen aus privaten Beständen. Eingearbeitet sind auch prägnante Kurzbiographien, die Zeitgeschichte im Spiegel besonders berührender Einzelschicksale abbilden. Neben Tobias Engelsing haben Manfred Bosch, Lisa Foege und Birgit Lockheimer als Co-Autoren an dem Buch mitgearbeitet. ISBN 978–3–87800–072–3. 272 Seiten. Preis: 19,90 Euro.