Jana Kropp (Name von der Redaktion geändert) ist bekennende Atheistin. Sie hat Islamwissenschaften studiert und ein Jahr in Ägypten verbracht. Jetzt arbeitet sie für einen kirchlichen Träger und kümmert sich dort um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Im hpd-Interview spricht sie Klartext über ihren Alltag, die deutsche Integrationspolitik und was sich ihrer Meinung nach ändern muss.
hpd: Jana, was sind deine Aufgaben?
Jana Kropp: Ich kümmere mich derzeit um die ambulante Betreuung von jungen Flüchtlingen bis 18 beziehungsweise 21 Jahre. Ich unterstütze sie bei Behördengängen und in ihrem Asylverfahren, sowie eventuell bei einer Klage, sollten sie abgelehnt werden. Außerdem helfe ich ihnen mit der Schule oder später bei Arbeitsplatzsuche und Bewerbung. Es geht um Lebensberatung und Zukunftsplanung. Ich bin also quasi Ansprechpartnerin für alle Lebenslagen.
Woher kommen deine Schützlinge? Wie ist die Geschlechterverteilung?
Aus Syrien, Afghanistan und Afrika. Hauptsächlich sind es Jungs.
Was läuft schief aus deiner Sicht?
Es macht sich eine passive Haltung, eine Anspruchshaltung breit. Manche der Jugendlichen wollen, dass ich alles für sie mache, Arzttermine etwa, weil sie keine Lust haben. Helfen tue ich gerne, aber im Großen und Ganzen sollen sie sich schon selbst um ihre Sachen kümmern.
Die meisten kommen aus Ländern, wo weniger Vertrauen in den Staat besteht, die kommen mit der Einstellung von zu Hause: "Ich nehm’, was ich kriegen kann." Es gibt auch zu wenig gezielte Anreize zur Leistungserbringung.
Bei meiner vorherigen Arbeitsstelle war es ähnlich. Da gab es zum Beispiel einen dreimonatigen Deutschkurs, der aus öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Es gab dort keine Anwesenheitspflicht und die Hälfte der Schüler war nicht da, obwohl der Kurs nur 300 Meter von ihrer Wohnunterkunft entfernt stattfand. Daraus kann ich nur schließen, dass sie offensichtlich kein Interesse haben, denn sonst haben sie ja nichts zu tun. Dafür wird dann an der falschen Stelle gespart, beispielsweise bei der Ausbildungsunterstützung. Man sollte lieber in die Leute investieren, die etwas leisten wollen.
Was sagst du zu dem Argument, dass uns die Flüchtlinge helfen, dem Fachkräftemangel beizukommen?
Sie finden meistens recht schnell einen Arbeitsplatz und vor allem das Handwerk kann sicher profitieren, da ist ja, sag ich mal, die Sprache ein weniger großes Hindernis als in anderen Berufen.
Es fehlen aber gezielte Förderungen. Man muss erst mal investieren. Der syrische Herzchirurg ist ja nicht repräsentativ, es kommen auch Analphabeten. Bei denen sehe ich wirklich Probleme, die wird man mit durchziehen müssen. Aber wenn ich mich zum Asylrecht bekenne, kann das nicht nur ab einem IQ von 100 gelten, ich muss mich dann damit abfinden, dass nicht nur die Bildungselite kommt.
Was machst du, wenn deine Schützlinge dir gegenüber mit so einer Anspruchshaltung auftreten, wie du sie beschrieben hast?
Ich sage ihnen, dass das Geld für sie von anderen kommt und für die gedacht ist, die es wirklich nötig haben. Die Jugendlichen bekommen einmalig 220 Euro für Kleidung. Einer wollte sich davon unbedingt Nike-Schuhe kaufen, mit der Begründung, hier lebende Leute würden ja auch Markenschuhe tragen. Da wäre dann fast das ganze Geld weg gewesen. Nach einem halben Jahr kam er zu mir und hat sich dafür bedankt, dass ich ihn darauf hingewiesen habe. Er konnte das dann auch umsetzen, er ist bescheidener geworden.
Gibt es etwas, das dich wirklich wütend macht?
Ich kann nicht nachvollziehen, dass Dinge so schlecht organisiert sind. Jeder Flüchtling muss zu einer Anhörung, in der er darlegen muss, warum er hier ist und warum er in seinem Heimatland in Gefahr wäre. Mit einem musste ich dafür über 200 Kilometer fahren. Der Termin war um 8 Uhr, um 17 Uhr sagte man uns, dass wir heute nicht mehr drankommen.
Was mich auch ärgert, sind die Übersetzer, die in den Anhörungen dolmetschen. Ich spreche Arabisch und Persisch und habe schon öfter feststellen müssen, dass die Übersetzer Fehler machen, unaufmerksam oder schlampig sind. Dann entstehen Widersprüche durch Übersetzungsfehler und die können schon den Unterschied machen. Ich habe auch schon erlebt, dass sie religiöse oder politische Dinge beschönigen oder sowas sagen wie "sag das nicht". Wenn mir sowas auffällt, sage ich auch was. Die Entscheidung hängt dann meiner Meinung nach auch stark vom Anhörer ab. Manchmal ist die Atmosphäre fast feindselig.
Ist das auch ein Problem der Bürokratie?
Mit Sicherheit. An der einen oder anderen Stelle würde gesunder Menschenverstand nicht schaden.
Jeder BAMF-Angestellte darf jedes Land der Welt beurteilen. Die setzen dann voraus, dass jedes Land so funktioniert wie Deutschland und unsere Schriftkultur hat. Es wird davon ausgegangen, dass die Flüchtlinge Dokumente für alles dabei haben. Da gab es den Fall eines Somaliers, der Vollwaise war. Minderjährige ohne Eltern können ihr Kindergeld selbst beantragen. Sein Antrag wurde abgelehnt, weil keine Sterbeurkunde der Eltern vorlag. Ich bezweifle, dass die dort überhaupt ausgestellt wird, oft werden in solchen Ländern nicht einmal die Geburten erfasst.
Bei einem Syrer wurde angezweifelt, dass seine Eltern verheiratet sind, weil sie nicht den gleichen Nachnamen hatten. Ich habe den Behördenmitarbeitern gesagt, dass es im arabischen Raum üblich ist, dass Frauen ihren Mädchennamen behalten. Das kann man in drei Minuten über eine Internetrecherche überprüfen. Nein, es wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben, das Geld gekostet hat. Das kam dann zum gleichen Ergebnis. So ein Vorgehen führt zu Unverständnis bei den Betroffenen. Und es erwischt leider oft die Falschen.
Gerade wird wieder über den Familiennachzug diskutiert. Wie ist deine Meinung dazu?
Wenn die Leute ihre Familie nicht nachholen dürfen, ist das ein Integrationshemmnis, die kommen nie wirklich an. Wie sehr bemüht man sich, wenn die Eltern oder die Kinder noch unter prekären Bedingungen zu Hause festsitzen?
Inwiefern stellen die kulturelle und die religiöse Prägung ein Problem dar?
Manche Flüchtlinge haben Schwierigkeiten, Gesetze und soziale Regeln zu unterscheiden. Die Freiheit können sie gut auf ihr eigenes Privatleben übertragen, aber nicht auf andere. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn sie eine Muslimin ohne Kopftuch sehen. Das klassische Rollenverständnis kriegt man so schnell nicht raus. Aber ich erkläre ihnen, dass sie Zugeständnisse machen müssen, und dass es hier nicht weitergeht wie in Damaskus.
Man muss ihnen auch was zumuten. Ich konfrontiere sie und spreche sie direkt auf die heiklen Themen an. Zum Beispiel: Meint ihr echt, dass Mohammeds erste Frau ihn gefragt hat, ob sie Geld verdienen darf?
Ich erzähle, dass ich Atheistin bin, dass ich für mich keinen Sinn in Religion sehe. Aber das heißt ja nicht, dass es keine Regeln gibt, ich begründe sie nur anders, aus einem humanistischen Weltbild hergeleitet. Die meisten Menschen hier haben keine Religion. Sind wir deswegen schlechte Menschen? Einer meinte dann zu mir: "Ich habe darüber nachgedacht, du hast eigentlich Recht, ich wurde noch nie so gut behandelt wie in Deutschland."
Was muss sich ändern, was würdest du dir wünschen?
Mehr Faktenbasiertheit und Pragmatismus und weniger Ideologie in der Politik. Und, dass bei den Leuten, die zu uns kommen, nicht jede Eigenverantwortung abgetötet wird.
Jeder Mensch ist erst mal faul und macht nur das Nötigste. Wir brauchen verpflichtende Deutschkurse mit einer gewissen Androhung von Sanktionen bei zumutbaren Anforderungen. Die Flüchtlinge haben einen Vorschuss bekommen, jetzt müssen sie aktiv versuchen, ein Teil dieser Gesellschaft zu werden.
Ich würde mir auch mehr Mut für schwierige Themen wünschen. Dass wir Probleme benennen, ohne die Nazi-Keule auszupacken. Durch Reibung kann man wachsen. Es wäre schön, wenn es mehr Angebote zur Begegnung geben würde, und dass sie von beiden Seiten genutzt werden. Auch wir sollten offen sein für einen Austausch, beispielsweise was unsere Familienstrukturen angeht. Viele Flüchtlinge finden die Einsamkeit im Alter bei uns schlimm oder wenn die Oma ins Pflegeheim kommt. Eine Idee wäre auch, dass sich alte Zugewanderte um neue kümmern, das kommt anders an, vielen Deutschen fehlt die interkulturelle Perspektive.
Ich würde mir auch mehr Lockerheit wünschen, zum Beispiel beim Thema Kopftuchverbot. Wo ist der Sinn, einen Zwang durch einen Zwang zu ersetzen? Freiheit ist nicht mit einem bestimmten Inhalt verknüpft, sondern bedeutet, eine Wahl zu haben.
10 Kommentare
Kommentare
René am Permanenter Link
Schönes Interview. Das Thema "Kopftuchverbot" im letzten Absatz halte ich aber für fehl am Platz. Es ist in Deutschland keineswegs verboten, Kopftücher oder sonst irgendwelche Beckungen zu tragen!
dr.hans gerhard... am Permanenter Link
sehr gut .... !
David am Permanenter Link
"Sie finden meistens recht schnell einen Arbeitsplatz und vor allem das Handwerk kann sicher profitieren, da ist ja, sag ich mal, die Sprache ein weniger großes Hindernis als in anderen Berufen."
Ist das tatsächlich so? Braucht man für einen Ausbildungsberuf nicht auch Deutschkenntnisse? Oder reden wir hier von ungelernten Hilfsarbeiterjobs?
Ich halte die beschriebene Erwartungshaltung, die ablehnende Haltung zu Kultur der Schutz bietenden Aufnahmegesellschaft und den Unwillen, sich einzubrigen für ziemlich starke Indizien dafür, dass "Asyl" nicht der Grund der Einreise darstellen kann.
Mark Keller am Permanenter Link
Ohne Sprachkenntnisse wird man einen Großteil an Handwerksberufen fachlich nicht meistern können. Ohne Sprachkenntnisse wird man nie über den Status des Hilfsarbeiters hinauswachsen können.
Just visiting t... am Permanenter Link
Genau darum geht es.
David Z am Permanenter Link
Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie richtig verstehe. Sie scheinen behaupten zu wollen, dass jedes negative Urteil automatisch ein Vorurteil ist. Dem ist mitnichten so.
Wolfgang am Permanenter Link
Was ich einfach nicht begreife: In Syrien reißen sich die Frauen das Kopftuch runter und verbrennen es, nachdem sie von ihren Peinigern befreit wurden. In Deutschland gibt es schon mehr Kopftücher als Flüchtlinge.
Kay Krause am Permanenter Link
Da müssen Sie schon mal genau hinschauen, lieber Wolfgang: das sind die Landfrauen, in Süddeutschland, die tragen schon über 100 Jahre Kopftücher1
Siegrun am Permanenter Link
Entschuldigung Kay, aber immer dieser bescheuerte vergleich mit den Landfrauen!!
A. M. Harwazinski am Permanenter Link
Sehr informatives, nüchternes Interview - vielen Dank.
Die kritischen Anmerkungen zu Übersetzungsfehlern, passiver Anspruchshaltung usw. sind mehr als begrüßenswert. Das BAMF hat offenbar in vielen Punkten nicht viel begriffen und verschanzt sich hinter Bürokratismus ohne jegliche interkulturelle Kompetenz. Dadurch werden nicht zuletzt Gelder in den Sand gesetzt.
Anzumerken wäre noch, dass der Großteil der Flüchtlings-Integrationsarbeit (oder wie man das nennen will) durch Ehrenamtliche und/oder auf Honorarbasis Tätigen geleistet wird - worauf sich sowohl Politik als auch Gesellschaft zu verlassen scheinen. Sauberer und in jeder Hinsicht nachhaltiger wäre es, für diese Arbeit angemessene sozialversicherungspflichtige Stellen - Teil- oder Vollzeit - zu schaffen; davon hätten alle Beteiligten mehr. Dies wird jedoch auch von den zuständigen Stellen weitgehend ignoriert. -
Was die Sprachkenntnisse anbelangt, so sind diese in jedem Fall sinnvoll, nicht nur für eine handwerkliche Ausbildung (obwohl dort vielleicht noch am besten ohne größere Deutschkenntnisse zu arbeiten ist): Die Sprache dient der allgemeinen Verständigung, Kommunikation und ist daher eine Grunderfordernis, um im Alltag einigermaßen zurecht zu kommen. Abgesehen davon ist die Vorstellung grauenhaft, dass Menschen ohne ausreichende Sprachkenntnisse in Berufssparten gelangen, wo solche eine grundlegende Voraussetzung sind, um die Arbeit vernünftig durchzuführen: Bei der Briefzustellung beispielsweise, ganz zu schweigen von Berufen, die mit Menschen zu tun haben.
Was die Kopftücher anbelangt, so tragen die Landfrauen bzw. Bäuerinnen ihre nicht aus religiösen oder ideologischen Gründen, sondern als eine Art Schutzkleidung bei der Arbeit. Dieses Argument hält nicht, es ist Blödsinn und in jeder Hinsicht fehl am Platz.