Kommt die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs doch noch?

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Seit Jahren kämpfen Selbstbestimmungsbefürworter für die Abschaffung von Paragraph 218, wie hier in Berlin 2023.
Demo für sexuelle Selbstbestimmung in Berlin 2023

Trotz des Scheiterns der Ampelkoalition in der vorletzten Woche könnte nun noch ein wichtiges Gesetzesvorhaben der Fortschrittskoalition umgesetzt werden: Die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Auch wenn der nun eingebrachte Gesetzentwurf hinter den Erwartungen zurückbleibt, würde er zumindest die Kriminalisierung von Schwangeren beenden.

Viele hatten erwartet, dass bis zu den Neuwahlen im Februar nun aus der Minderheitsregierung heraus nicht mehr viel passieren würde und dass sich das Zeitfenster für säkulare Reformen vorzeitig geschlossen habe. Doch Ende der vergangenen Woche überraschten die Bundestagsabgeordneten Carmen Wegge (SPD, Vorsitzende des Arbeitskreises "Säkularität und Humanismus" der SPD) und Ulle Schauws (Grüne) dann doch noch mit einem Gesetzentwurf zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts. Zwar bleibt er hinter dem zurück, was zuletzt 26 zivilgesellschaftliche Organisationen von drei ehemaligen Mitgliedern der von der Bundesregierung eingesetzten "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" ausarbeiten ließen (der hpd berichtete), doch er greift auch manches auf und konnte auf Anhieb 236 Unterstützer:innen verschiedener Fraktionen aus dem Bundestag hinter sich vereinen. Geplant ist, in der ersten Dezemberwoche darüber im Bundestag zu diskutieren.

Der nun eingereichte Antrag sieht vor, Abtreibungen nicht mehr wie bisher im Strafgesetzbuch, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz zu regeln. Legal wird er allerdings nur in den ersten 12 Wochen sein, der Gesetzentwurf der Fachverbände hatte eine Frist bis zum Ende der 22. Woche vorgeschlagen. Diese hatten auch gefordert, die Beratungspflicht abzuschaffen. Der Entwurf der Abgeordneten will sie beibehalten, allerdings darf die Ausstellung des Beratungsscheins nicht verweigert werden und die Beratung soll "nicht belehren oder bevormunden". Gestrichen werden soll lediglich die vorgeschriebene Bedenkzeit von drei Tagen nach der verpflichtenden Beratung. Wenn ohne Beratungsschein abgetrieben wird, macht sich der Arzt oder die Ärztin strafbar (Freiheitsstrafe oder Geldstrafe), die Frau, die den Abbruch will, wird nicht belangt. Der Eingriff soll eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen werden. Paragraf 218, der bisher den Schwangerschaftsabbruch als kriminelle Handlung ausweist, soll nun umgewidmet werden und demjenigen eine mitunter langjährige Haftstrafe in Aussicht stellen, der gegen oder ohne den Willen der Schwangeren eine Schwangerschaft abbricht.

Reaktionen auf den Gesetzesvorschlag

Das Institut für Weltanschauungsrecht war eine der 26 Organisationen, die den zivilgesellschaftlichen Gesetzentwurf mitgetragen hatte. Seine stellvertretende Direktorin Jessica Hamed sagt nun: "Die fraktionsübergreifende Gesetzesinitiative ist erfreulich und zeigt den Willen der Abgeordneten, das kleine historische Zeitfenster für eines der zentralen Anliegen der Frauenbewegung zu nutzen und zumindest in Ansätzen die dogmatischen Brüche der aktuellen Gesetzeslage aufzulösen."

Auch weitere Initiativen, die den Vorschlag der ehemaligen Kommissionsmitglieder unterzeichnet hatten, meldeten sich zu Wort: "Nur wenn sich das Gesetz ändert, verbessern sich die Gesundheitsversorgung ungewollt Schwangerer und die Rahmenbedingungen für Ärzt*innen, die sie unterstützen. Das ist dringend notwendig", erklärte die Bundesvorsitzende von pro famlia Monika Börding. "Die Abgeordneten des 20. Deutschen Bundestags haben jetzt die historische Chance, ein Gesetz für reproduktive Gesundheit und Selbstbestimmung zu beschließen. pro familia unterstützt diesen Schritt, wie auch internationale Menschenrechtsgremien, Richtlinien der Weltgesundheit und die Mehrheit der Bevölkerung. Alle Fakten liegen auf dem Tisch, alle Argumente sind ausgetauscht. Der Gesetzentwurf muss noch in dieser Wahlperiode zur Abstimmung kommen. Wir fordern alle Mitglieder des Bundestags auf sich dafür einzusetzen und für den Gesetzentwurf zu stimmen."

Terre des Femmes teilte mit: "Generationen von Frauen wurden durch den Paragraf 218 in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt. Seit der Gründung 1981 setzt sich Terre des Femmes dafür ein, dass Schwangerschaftsabbrüche legal zugänglich sind – ohne Hürden, ohne Diskriminierung, ohne patriarchale Bevormundung", so Christa Stolle, langjährige Bundesgeschäftsführerin der Frauenrechtsorganisation und seit den Anfängen Aktivistin für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. "Jetzt endlich ist mit der Neuregelung auch eine Entstigmatisierung in greifbare Nähe gerückt – die Abgeordneten des Bundestags werden die historische Chance haben, über diesen wichtigen und lange überfälligen Schritt für Frauenrechte abzustimmen – sie müssen sie nutzen!"

Auch Doctors vor Choice stellte sich hinter den Gesetzentwurf. Vorstandsmitglied Dr. med. Alicia Baier sagte dazu: "Dieses Gesetz ist notwendig und überfällig. Es setzt grundlegende Forderungen unseres Vereins um und würde zu einer direkten Verbesserung der medizinischen Versorgung von ungewollt Schwangeren führen." Sie fügte hinzu: "Perspektivisch plädieren wir entsprechend den Empfehlungen der WHO für ein Recht auf Beratung statt Beratungspflicht, die Entkriminalisierung auch von Ärzt*innen sowie den Verzicht auf Fristen und Indikationen."

Der Zentralrat der Konfessionsfreien, der den Vorschlag der Fachverbände ebenfalls mitgetragen hatte, machte sich auch für den aktuellen Kompromissvorschlag stark: "Es war ein langer Weg bis zu diesem Punkt. (...) Es gibt breite Unterstützung in der Gesellschaft und von maßgeblichen Verbänden für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Der Zentralrat der Konfessionsfreien hat weitergehende Forderungen, aber dieser Entwurf bringt Verbesserungen und hat daher unsere Unterstützung." Die stellvertretende Vorsitzende Ulla Bonnekoh rief dazu auf, den eigenen Abgeordneten zu schreiben, im Bundestag werde jede Stimme gebraucht. "Die Expertinnenkommission hält eine Änderung für dringend nötig und rechtlich möglich. Schlechte Gesetze, die im Wesentlichen auf religiösen Überzeugungen beruhen, gehören geändert – der ins Parlament eingebrachte Gesetzentwurf zeigt, wie es geht. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Veränderung."

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