WARSCHAU. (hpd) Am Wochenende fanden in Warschau die vierten Atheisten-Tage statt. Hauptpunkt war eine Inszenierung der Enthauptung des ersten bekannten polnischen Atheisten, Kazimierz Łyszczyński.
Łyszczyńskis Familie stammte dem polnischen Landadel ab. Er gehörte einige Jahre dem Jesuitenorden an, wo er vor allem Philosophie studierte. Anschließend arbeitete er als Richter und kämpfte im Nordischen Krieg im Dienst des Magnaten Sapieha.
Da Łyszczyński seine Tochter mit einem Verwandten verheiraten wollte, wurde er exkommuniziert. In der Folge seiner Kritik des Klerus verfasste er das atheistische Werk De non existentia Dei (Über die Nichtexistenz Gottes).
Nachdem sein Nachbar ihn denunzierte, fand das Gerichtsverfahren vor einer Kommission des Sejm (polnisches Parlament) statt, an der einige Bischöfe teilnahmen und viel zu sagen hatten. Łyszczyński wurde zum Tode verurteilt und am 30.März 1689 auf dem Altstadtmarkt in Warschau geköpft. Sein Werk und sein Leichnam wurden anschließend verbrannt.
Daran erinnerten die polnischen Atheisten. Doch Teilnehmer und zufälliges Publikum der Inszenierung waren kaum 150-200 Leute. Die Szene der polnischen Atheisten ist zersplittert in einige kleine Gruppierungen und daher schwach. Sie konnte bisher keine wirksame, interessante Botschaft für die polnische Gesellschaft erarbeitet. Die unnachgiebige Kritik an Kirche, Religion und Gläubigen findet so gut wie keine Resonanz.
Die Katholische Kirche zählt alle getauften Polen als Gläubige und das sind ca. 98 Prozent. Anderseits geben sogar die kirchlichen Statistiker an, dass nur noch ca. 40 Prozent der Gläubigen regulär an "Heiligen Messen" teilnehmen. Laut Umfrage im Dezember 2015 sind über 66 Prozent der Polen gegen die Finanzierung des Religionsunterricht in den Schulen aus der Staatskasse. Es gibt also ein Potenzial für säkulare Ideen und für Organisationen, Verbände, Initiativen, die sich für einen säkularen Staat einsetzen würden. Es fehlt in Polen eine starke humanistische Organisation wie der HVD in Deutschland.
Proteste gegen das "Abtreibungsgesetz"
Ein deutlicher Beweis, dass die weltanschauliche Angelegenheiten für die Polen sehr wichtig sind, sind die blitzschnell organisierten Proteste gegen das Projekt der drastischer Verschärfung des Abtreibungsgesetzes. Innerhalb von nur wenigen Tagen ist eine Internet-Gemeinschaft "Mädchen für Mädchen" mit schon fast 100.000 Mitgliedern entstanden. Neben Protestkundgebungen und Petitionen war die bisher spektakulärste Aktion der Frauen das kollektive Verlassen der "Heiligen Messen" in den Kirchen in Warschau und Danzig (vielleicht auch in anderen Städten) zu dem Zeitpunkt, als der Pfarrer den Brief der Bischöfe verlesen hat, in dem Episkopat sich für das gänzliche Verbot der Abtreibung aussprach.
Formal ist die Änderung des Abtreibungsgesetzes eine Bürgerinitiative. Es gab schon Dutzende verschiedene Initiativen der katholischen Bürger den die institutionelle Kirche und die Regierung keine Aufmerksamkeit schenkte. Diesmal aber haben sowohl die höchste Kirchenbehörde als auch die Regierung und die Parlamentarier sich sofort unterstützend gemeldet.
Der Vorsitzende der regierenden PiS-Partei, Jarosław Kaczyński, erklärte, dass er als gläubiger Mensch die Empfehlungen der Bischöfe folgen muss. Die regierenden Rechtsnationalen haben damit noch eine Front im Kampf mit der Zivilgesellschaft eröffnet. Die schon tiefe Gräben werden noch tiefer.
Wenn für die Verteidigung eines für viele Polen so abstrakten Konstrukts, wie es das Verfassungsgericht ist, Hunderttausende Menschen protestieren, dann ist wohl wahrscheinlich, dass diesmal Millionen – und nicht nur Frauen – für ihre Grundrechte kämpfen werden. Kann das die PiS-Regierung noch verkraften?
3 Kommentare
Kommentare
annen nerede am Permanenter Link
Das wäre doch mal eine Aktion für die GBS: Inszenierung historischer Morde an Ketzern...
Klaus Bernd am Permanenter Link
Die Vorgänge in Polen sollten uns in D ein mahnendes Beispiel sein: Die Kumpanei der katholischen Bischöfe mit der PiS, um das Abtreibungsgesetz – das im übrigen schon so restriktv ist, dass es kaum der Mühe Wert sche
So bescheiden muss man in Polen heute schon sein.
Es zeigt sich, dass sich die r.k.K. mit jedem ins Bett legt, wenn er nur nach ihrer Pfeife tanzt. Nur noch bei Gefahr für das Leben der Mutter soll eine Abtreibung erlaubt sein, nicht mehr jedoch z.B. bei Vergewaltigung.
Es ist eine Mahnung an die Kirchensteuerzahler, die mit der Kirche eigentlich nichts mehr am Hut haben, den Gang zum Standesamt aber scheuen. Für die „Caritas“ wird der kleinste Teil dieser Steuer verwendet, der weitaus größte Teil für Kultbeamte, Kultgebäude, Kultgegenstände und für Lobbyarbeit im Sinne der verschrobenen Sexualmoral der Kirchen. Beklagt euch nicht, wenn auch in D bald ein Gesetz verabschiedet wird, das Abtreibung defakto unmöglich macht – nicht umsonst hat Woelki die Abtreibungspraxis in D schon kritisiert. Es braucht auch keine prophetische Gabe um vorherzusagen, dass das Prozedere um die Genehmigung dazu zu erhalten, demütigend und entwürdigend für alle Beteiligten sein wird. Selbstverständlich werden die Kleriker die „Drecksarbeit“ wie immer von Laien erledigen lassen.
Beklagt euch nicht, wenn es in D keine Kondome mehr zu kaufen gibt. Nicht umsonst werden Menschen, die die Empfängnis verhüten, von höchster Stelle der katholischen Kirche als Mörder bezeichnet. Empört euch das nicht ? Ist es euch gleichgültig ?
Es ist aber auch eine Mahnung an die Politiker: die (katholische) Kirche ist alles andere als ein zuverlässiger Partner. Wenn nötig geht sie auch mit der AfD ins Bett. Bei allen negativen Folgen, die die von ihnen geforderten, unterstützten und teilweise sogar formulierten Gesetze zeitigen werden, werden die Bischöfe sie im Regen stehen lassen, sich die Hände in Unschuld waschen und „mißbilligen“ was schief geht.
Kay Krause am Permanenter Link
Es bedarf keines besonderen Mutes seitens der katholischen Kirche, mit der AfD in's Bett zu gehen, nachdem sie auch schon mit den Nazis in großer Einigkeit die Nächte im Bett verbracht hat, ebenso z.B.
Hier in Polen eine landesweit agierende und erfolgreich arbeitende Freidenker-Gruppierung aufzubauen, dürfte sehr schwierig sein. Richtig ist,
dass der Anteil der Kirchgänger auf dem Land noch bei über 60% liegt, in Städten eher bei 40%. Das bedeuted aber nicht, dass die selbe Prozentzahl von Bürgern nicht mehr gottesgläubig sind. Insofern bringt es meiner Ansicht nach z.Zt. nichts, die Menschen vom Gottesglauben abbringen zu wollen. Richtig wäre eher, dafür zu kämpfen (mit demokratischen Mitteln, versteht sich!), die unselige Macht und die Machenschaften der Kirche zu beschneiden. Hier an meinem Wohnort gibt es durchaus Mitmenschen, die mich nicht grüßen und meiden, WEIL ich nicht in die Kirche gehe. Die anderen ca.40%, die auch nicht in die Kirche gehen, werden
selbstverständlich gegrüßt, man ist schließlich miteinander aufgewachsen, bekennt sich aber nicht offen zum Atheismus.
Ja, leider muß man hier das Wort "kämpfen" verwenden, da die Kirchen vernunftbedingten Argumenten gegenüber noch nie zugänglich waren. Erst wenn ihnen die Schäfchen davonlaufen, lockern sie ein wenig die Fesseln.
Ein Rufer in der Wüste!