Allein das Betreten des Schwimmbades sei eine "Todsünde". So argumentierten die Eltern dreier Kinder aus dem baden-württembergischen Landkreis Tuttlingen. Aus religiösen Gründen müssten ihre Kinder vom Schwimmunterricht befreit werden. Das hatte die zuständige Behörde abgelehnt. Dagegen zogen die Eltern vor das Verwaltungsgericht Freiburg. Erfolglos.
Ihre Klage hatten die Eltern so begründet: Nach dem vierten Gebot der Palmarianischen Kirche, der die Familie angehört, müssten sich Angehörige der Glaubensgemeinschaft "anständig kleiden". Und sie dürften keine Stätten aufsuchen, an denen es "schamlose Zurschaustellungen" gibt. Im Schwimmbad könnten ihre Kinder den Anblick von Menschen, die höchst "unsittlich" gekleidet seien, nicht vermeiden, argumentierten die Eltern. Nach den Bekleidungsvorschriften der Palmarianer ist (unter anderem) eng anliegende Kleidung für Männer und Frauen verboten. Frauen und Mädchen müssen zudem lange Röcke und Strümpfe beziehungsweise Socken tragen. Diese Bekleidungsvorschriften wären aus Sicht der Kläger auch dann verletzt, wenn ihre Tochter im Schwimmunterricht zum Beispiel einen Burkini (Ganzkörperbadeanzung) und Schwimmsocken trüge.
Ein Vatikan und ein Papst in Spanien
Die Palmarianische Kirche dürfte der römisch-katholischen Kirche ein Dorn im Auge sein. Denn ihre Anhänger haben in Spanien einen eigenen Vatikan und einen eigenen Papst. Auf der Internetseite der Glaubensgemeinschaft, auf der sich auch ein Bild der prächtigen Kathedrale in der spanischen Ortschaft El Palmar de Troya nahe Sevilla findet, heißt es: "Seit dem 6. August 1978 befindet sich die wahre Kirche Christi nicht mehr in Rom." Da sei sie nämlich nach El Palmar de Troya übertragen worden, "als an diesem Tag Unser Herr Jesus Christus direkt den hl. Papst Gregor XVII. zum Stellvertreter Christi erwählte". Dieser habe ein paar Jahre später, im Juli 1982, "den Bischöfen, Priestern und Diakonen, die außerhalb der wahren Kirche, der Einen, Heiligen, Katholischen, Apostolischen und Palmarianischen, stehen, alle Vollmachten entzogen. Auch allen Reliquien, Bildern und Statuen, Gegenständen für den Gottesdienst, Altären und ähnlichen Dingen der abtrünnigen, häretischen und schismatischen Kirchen entzog er den heiligen Charakter. Überdies endete die eucharistische Gegenwart Christi und Mariens in allen Tabernakeln der Welt, die nicht zur palmarianischen Kirche gehören."
Den soeben verstorbenen Papst Franziskus in Rom nannten die Palmarianer auf ihrer Internetseite denn auch nur "Antipapst Bergoglio".
Der aktuelle Papst der Palmarianischen Kirche heißt Petrus III. Sein bürgerlicher Name: Markus Josef Odermatt. Ein Schweizer, der sich als Nachkomme seines Landsmanns, des heiligen Nikolaus von Flüe, sieht. Ein Einsiedler aus dem fünfzehnten Jahrhundert, der in der Schweiz als Vater des Heimatlandes verehrt wird. Nikolaus von Flüe sei es doch tatsächlich gelungen, sich 20 Jahre lang nur von der heiligen Kommunion zu ernähren, schreiben die Palmarianer voller Ehrfurcht.
Weitere Informationen zur Palmarianischen Kirche, die weltweit eine vierstellige Zahl von Anhängern haben soll, finden Sie unter dem oben genannten Link und auch in einer Reportage von katholisch.de.
Integration geht vor Religion
Doch zurück aus der schillernden Welt des Glaubens zum trockenen weltlichen Rechtsstreit. Den hat das Verwaltungsgericht Freiburg laut Pressemitteilung so entschieden: "Eine Befreiung der Kinder vom Schwimmunterricht wird abgelehnt." Noch liegen die schriftlichen Urteilsgründe, nicht vor. Doch mit Blick auf frühere Urteile lässt sich absehen, wie auch die Richter in Freiburg argumentieren werden. So hat zum Beispiel das Bundesverwaltungsgericht schon 2013 entschieden, dass eine muslimische Schülerin nicht vom Schwimmunterricht befreit werde.
Die höchsten Verwaltungsrichter argumentierten damals: Zwar könne eine Schule nicht prinzipiell davon entbunden sein, auf religiöse Verhaltensgebote Rücksicht zu nehmen. Doch liefe eine "kategorische Beachtlichkeit sämtlicher vorgebrachter religiöser Verhaltensgebote auf einen prinzipiellen Vorrang jedweder individuellen Glaubensposition vor dem staatlichen Bestimmungsrecht im Schulwesen hinaus, das insoweit dann seinerseits leerlaufen müsste. Die Schule hätte sich dann mit Unterrichtsgestaltungen zu begnügen, die von sämtlichen Glaubensstandpunkten aus akzeptabel erscheinen; sie wäre letztlich vom Konsens aller individuell Beteiligten abhängig." In einer religiös pluralen Gesellschaft widerspreche das auch der Integrationsfunktion der Schule, so das Bundesverwaltungsgericht: "Die integrative Wirksamkeit der Schule erweist sich nicht nur darin, Minderheiten einzubeziehen und in ihren Eigenarten zu respektieren. Sie setzt auch voraus, dass Minderheiten sich nicht selbst abgrenzen und sich der Konfrontation mit Unterrichtsinhalten, gegen die sie religiöse, weltanschauliche oder kulturelle Vorbehalte hegen, nicht stets von vornherein verschließen dürfen."
Wie wichtig die Integrationsfunktion der Schule in einer pluralen Gesellschaft auch in Abwägung mit der Religionsfreiheit und den daraus entstehenden Geboten für die jeweiligen Gläubigen ist, unterstreichen die Bundesverwaltungsrichter plastisch: "Die Schule soll, neben ihrer Bildungsaufgabe, unter den von ihr vorgefundenen Bedingungen einer pluralistisch und individualistisch geprägten Gesellschaft eine für das Gemeinwesen unerlässliche Integrationsfunktion erfüllen. Hierbei kommt dem Anliegen, bei allen Schülern die Bereitschaft zum Umgang mit bzw. zur Hinnahme von Verhaltensweisen, Gebräuchen, Meinungen und Wertanschauungen Dritter zu fördern, die ihren eigenen religiösen oder kulturellen Anschauungen widersprechen, entscheidende Bedeutung zu. In der Konfrontation der Schüler mit der in der Gesellschaft vorhandenen Vielfalt an Verhaltensgewohnheiten – wozu auch Bekleidungsgewohnheiten zählen – bewährt und verwirklicht sich die integrative Kraft der öffentlichen Schule in besonderem Maße. Diese würde tiefgreifend geschwächt werden, wenn die Schulpflicht unter dem Vorbehalt stünde, dass die Unterrichtsgestaltung die soziale Realität in solchen Abschnitten ausblendet, die im Lichte individueller religiöser Vorstellungen als anstößig empfunden werden mögen."
Sowohl das Oberverwaltungsgericht Münster im Jahr 2009 als auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof im Jahr 2017 argumentierten ganz ähnlich, als sie in ihrer Abwägung die Religionsfreiheit gegenüber pädagogischen und gesellschaftlichen Interessen zurücktreten ließen. Das Verwaltungsgericht Freiburg hat also ausführliche Vorlagen, um seine Urteilsgründe schlüssig zu verfassen.

7 Kommentare
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Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Sehr gute gerichtliche Begründungen.
Man könnte noch einen Appell an alle religiösen Gruppierungen anhängen: Beweist eure eigenen Ideen von Nächstenliebe, Würde und Menschenfreundlichkeit, indem ihr auch Menschen außerhalb eurer Gemeinden Nächstenliebe, Würde und Freundlichkeit entgegenbringt.
Das heißt für mich: Nehmt die Menschen, wie sie sind. Wenn ihr schon glaubt, "Gott" habe den Menschen geschaffen, dann misstraut nicht "Gottes" Werk. Jeder ist in seiner Vielfalt und auch Andersartigkeit gut und richtig.
Und noch was: Unter der Kleidung, egal wie unterschiedlich sie ausfällt, sind wir alle nackte Affen...
Angela H am Permanenter Link
Bei solchen Eltern reicht dieses punktuelle Urteil gar nicht aus. Hier stellt sich vielmehr die Frage nach Kindeswohlgefährdung ganz allgemein.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Jeder welcher in der BRD leben will muss sich an die Gegebenheiten des Landes anpassen.
Wenn jede Glaubensgemeinschaft eine eigene Sichtweise durchsetzen will, ist ein normaler
Wer das nicht versteht oder nicht verstehen will sollte das Land, in welchem normative Gesetze gelten wieder verlassen, anstatt die Gerichte mit derartigen Glaubensunsinn
zu belästigen.
Thomas Spickmann am Permanenter Link
Ich habe mir inzwischen im Internet Videos der palmarianischen Kirche angeguckt. Die sind offensichtlich noch schlimmer als die katholische Kirche.
Petra Pausch am Permanenter Link
Oh ja. Man könnte auch sagen, dass die komplett durchgedreht sind.
Thomas Spickmann am Permanenter Link
Beim Angucken solcher Videos kann einem mulmig werden.
awmrkl am Permanenter Link
"palmarianisch"
So ein Schwachsinn muss einem mal einfallen, grad mal ca 50 Jahre alt!
Und es dann auch noch schaffen, noch durchgeknallter als die rkK rüberzukommen.
DAS ist eine Wahnsinn-Leistung. Wahnsinn allerorten.