Anfangs 2019 – meistens in den von der PiS regierenden Gemeinden Ost- und Südpolens – entstanden die ersten "LGBT-freien Zonen". Sie entstanden als Reaktion auf die vom Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski herausgegebene "LGBT-Karte". Die katholischen Fundamentalisten waren empört, dass diese Karte unter anderem die Einführung der Sexual- und Anti-Gewalt-Aufklärung in die Warschauern Schulen vorsieht.
Bis heute sind es circa 80 Gemeinden in Polen, die sich als LGBT-frei erklärten. Der LGBT-Aktivist Bart Staszewski aus Lublin hat im Januar 2020 in den sozialen Medien die ersten von 37 Fotos veröffentlicht, auf denen ein Einwohner des Ortes neben dem Schild "LGBT-freie Zone" steht.
Die Beschlüsse der Gemeinden wurden scharf vom Europa-Parlament und der Europäischen Kommission verurteilt. Westlichen Gemeinden, die Partnerschaften mit den polnischen Gemeinden hatten, kündigten diese. Die EU-Kommission entschied, dass diese Städte kein Geld mehr aus dem Program "Town Twinning" erhalten.
Die Predigt von Krakauer Erzbischof Jędraszewski kommentierte das am 1. August 2019 zum 75. Jahrestag des Warschauer Aufstands mit diesen Worten:
"Die rote Seuche geht glücklicherweise nicht mehr über unser Land. Aber das heißt nicht, dass es nicht eine neue Seuche gäbe, die unsere Seelen, Herzen und unser Denken beherrschen will. Nicht die marxistische, bolschewistische Seuche, aber eine aus dem gleichen Geist geborene neomarxistische Seuche – nicht in Rot, sondern in den Farben des Regenbogens."
Präsident Duda sagte am 13. Juni 2020 bei einer Wahlkampfrede über LGBT:
"Sie versuchen euch zu überzeugen, dass sie Menschen sind. Aber das ist einfach Ideologie."
Am 1. August 2020 marschierten die Rechtsextremisten zum 76. Jahrestag des Warschauer Aufstands. Die noch lebenden Aufständischen sind empört; die marschierenden Neofaschisten haben nichts zu tun mit den Ideen, für die die Polen im Jahre 1944 starben. Auf einem Gebäude auf dem Weg des Marsches weht die Regenbogenfahne mit dem Anker (Symbol des Widerstands gegen die deutsche Besatzung). Die Fahne wurde vom Gebäude entfernt und von "Patrioten" in Stücke gerissen.
In der Nacht von 28 bis 29. Juli 2020 dekorierten zwei Aktivisten der Aktion "Stop Bzdurom" (Stoppt den Blödsinn) mehrere Warschauer Denkmäler mit Regenbogen-Flaggen; darunter auch eine Christus-Statue im Zentrum der Stadt. Sie wollten damit gegen die homophobe Rhetorik der PiS-Regierung und der Kirche protestieren. Die Polizei hat sie verhört und der Verletzung religiöser Gefühle beschuldigt. Ein Warschauer Gericht entschied, eine der Aktivistinnen für zwei Monate in Untersuchungshaft zu nehmen. Sie wurde formell nicht der Aktion mit den Fahnen beschuldigt, sondern der Beschädigung eines Lieferwagens, der mit homophoben Beschriftungen beklebt durch die Straßen Warschaus fuhr und über Lautsprecher die Anti-LGBT-Parolen verkündete. Viele Bürger verlangten vergeblich von der Polizei, dies zu verbieten. Es kam zu Auseinandersetzung zwischen der Aktivistin und dem Fahrer des Wagens.
Premierminister Morawiecki über die Aktion mit den Fahnen:
"Die Art von Vandalismus, die wir gestern in Warschau gesehen haben, führt zu nichts Gutem und hat ein Ziel – die Gesellschaft noch mehr zu spalten."
Die Aktivistin Margot wollte sich am 7. August freiwillig der Polizei stellen, nachdem sie sich im Büro einer LGBT-Organisation rechtlich beraten ließ. Die Polizei reagierte aber nicht. Erst als sie mit zahlreichen Unterstützern in die Nähe der vorher mit der Regenbogenfahne dekorierten Christus-Statue kamen, hat sich die Polizei auf sie gestürzt, sie in ein nicht gegenzeichnetest Polizeiauto geschleppt und die sie verteidigenden Menschen brutal angegriffen. Es wurden 48 Menschen festgenommen – darunter nicht nur die Unterstützer Margots, sondern auch zufällig anwesende Passanten. Die Festgenommenen wurden in verschiedene Polizeistationen gebracht und dort bis zu 48 Stunden festgehalten. Viele Frauen berichten, dass sie sich nackt ausziehen und hocken mussten. Den Festgenommenen verweigerten die Beamten Essen und Trinken sowie die Benachrichtigung der Familien. Einige wurden geschlagen.
Die mit kostenloser Rechtshilfe für die Festgenommenen befassten Rechtsanwälte hatten große Schwierigkeiten, überhaupt nur herauszufinden, wo sich Ihre Mandanten befinden. Sie haben teilweise die ganze Nacht dazu gebraucht.
Einige beim Protest anwesende oppositionelle Abgeordnete versuchten den Protestierenden zu helfen; meistens vergeblich. Eine von ihnen, Magdalena Filiks, die ehemalige KOD Aktivistin, berichtet:
"Ein Mädchen wurde plötzlich neben mich auf den Bürgersteig geworfen. Innerhalb von fünf Sekunden standen zwei Polizisten auf ihr. Einer mit dem Fuß auf ihrem Rücken, der andere mit dem Fuß auf dem Kopf. Ja – ich gebe zu, schreiend habe ich sie gewaltsam vom Kopf des Mädchens gedrängt.
Ich bedeckte sie mit meinen Körper. Ich konnte ihr die Handtasche unter den Kopf legen. Ich schrie die Polizisten an, sie müsse sitzen, damit ich das fließende Blut in ihrem Gesicht stoppen, ich die Wunde verbinden und desinfizieren könne. (Vielen Dank an die Leute, die zur Apotheke gelaufen sind.) Mit lautem Rufen konnte ich erzwingen, dass ihr die Handschellen von hinten nach vorne verlegt wurden."
An den darauffolgenden Tagen gab es in vielen Städten Polens und einigen im Ausland Solidaritäts-Kundgebungen mit den schikanierten LGBT-Aktivisten.
Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, kritisierte die Festnahmen scharf und forderte, dass die inhaftierte Aktivistin sofort freigelassen werde. Die Verhaftung sende ein "frostiges Signal für Redefreiheit und die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans-Menschen (LGBT)" aus, schrieb sie auf Twitter.
Der Justizminister, Zbigniew Ziobro, hat sofort (auch auf Twitter) auf die Worte Mijatovics reagiert: "Schämen Sie sich für ihr Appel zur Verteidigung des Aggressors und entschuldigen Sie sich bei dem von LGBT-Aktivisten geschlagenen wehrlosen Mann."
Doch wozu braucht die PiS diese Auseinandersetzung mit LGBT? Sie will zwei Hauptziele erreichen: Erstens, seinen treuen Wählern zeigen, dass die Regierenden das Volk vor den "Abweichlern und moralischer Fäulnis" entschieden schützten. Zweitens: Die Dankbarkeit und die Unterstützung der Bischöfe in den schwierigen Pandemie-Zeiten gewinnen.
Hoffentlich wird die polnische Zivilgesellschaft die LGBT-Gemeinschaft nicht im Stich lassen und die EU wird das Wort halten und die Auszahlung der Gelder von der Achtung der Menschenrechte, insbesondere der Minderheiten abhängig machen.
1 Kommentar
Kommentare
Ernst-Günther Krause am Permanenter Link
Diese Vorfälle wären doch eine hervorragende Möglichkeit für die christlichen Kirchen hierzulande, für die Wahrung der Menschenrechte in Polen gegenüber der polnischen Regierung und insbesondere der katholischen Kirch