Aufklärung und Kritik 3/2020 erschienen

Das aktuelle Heft von Aufklärung und Kritik, der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg, ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zu Verfügung gestellt.

Liebe Leserinnen und Leser,

in diesen ungewöhnlichen Zeiten ist eine – hoffentlich – spannende Ausgabe entstanden, in der sich viele Artikel mit grundsätzlichen Fragen des Menschseins wie der Bewertung von Suizid, Sichtweisen auf Kommunikation oder dem Verhältnis von Leib und Bewusstsein unter verschiedenen Aspekten befassen. Ich empfehle diese hiermit Ihrer Aufmerksamkeit.

Aufgrund der Verwerfungen durch die Corona-Pandemie ist ein historisches Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Ende Februar fast aus dem Blickfeld verschwunden: die Aufhebung der Rechtswidrigkeit des assistierten Suizids. Unsere ersten beiden Beiträge setzen sich in unterschiedlicher Art und Weise damit auseinander: Ludwig A. Minelli legt in seinem Aufsatz "Vom Tabu zum Menschenrecht" die historische Entwicklung der Bewertung der Selbsttötung dar. Dabei spannt er einen Bogen von der Bibel, Augustinus und Luther über die Aufklärung bis zur Gesetzesentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland und der Schweiz.

Dr. Johann Spittler schreibt, wie er im Untertitel vermerkt, eine "neuropsychiatrische Betrachtung" mit dem Titel: "Freiverantwortlichkeit sub specie suicidii." Darin beleuchtet er das Problem der Willensfreiheit, das Problem der Beurteilbarkeit von menschlichen Entscheidungen sowie das Problem der Freiheit und der Verantwortlichkeit – besonders unter psychiatrischen Bedingungen – und untersucht die Rolle von und den Umgang mit psychischen Krankheitsbildern bei der Willensbildung.

Eine fachspezifische Auseinandersetzung mit Wittgensteins Spätwerk präsentiert Ufuk Özbe in "Notwendigkeit und Willkürlichkeit der Logik bei Wittgenstein". Darin wird die Grammatik- und Philosophiekonzeption Wittgensteins erklärt und dessen Fundierung der logischen und begrifflichen Notwendigkeit erläutert. Schließlich wird noch Wittgensteins Theorie, die von der Willkürlichkeit unseres ganzen Begriffssystems ausgeht, anhand von eingängigen Beispielen dargelegt.

In dem Essay "Das Fremde, das Andere, das Du – ein Spaziergang. Teil 1" zeigen Dr. Michael Mehrgardt und Malte J. Mehrgardt, dass wir fremde Perspektiven sowohl kulturell als auch zwischenmenschlich nötig haben, da wir ohne Zusammentreffen und Auseinandersetzung mit dem Fremden austrocknen würden wie ein Fluss ohne Zuflüsse. Dazu untersuchen die Autoren die Wirkung von Selbstverständlichem und Fremdem, sowohl auf unsere Sprachbewusstheit als auch auf unsere Theorien, letztlich auf unser Leben und Denken.

In ihrem Aufsatz "Auf der Suche nach dem Undarstellbaren: Eine romantische Foucault-Lektüre" untersucht Jule Steinert am Beispiel Foucaults die Frage, ob und gegebenenfalls wie Denker wie zum Beispiel Adorno, Deleuze, Derrida oder Foucault einen Versuch der Romantiker, die Trennung von Philosophie und Ästhetik aufzuheben, im 20. Jahrhundert fortgesetzt haben.

Mit dem Beitrag von Joel Szonn, M.A. und Rebecca Griffin "Mein Körper sagt nicht ich, aber tut ich. Zur Verständigung von Geist und Körper" beginnt eine "Nietzscheabteilung" in diesem Heft. Szonn und Griffin gehen von Nietzsches Anliegen aus, "dem Leib sein Recht zu geben". Sie stellen die Suche nach einem verbindenden Mittleren zwischen logozentrischer Tradition und bio-psychologischen modernen Sichtweisen dar, mit dem Ziel, Wege aufzuzeigen, wie die Vernunft in eine neue Stellung zum "Gesamtmenschen" gebracht werden könnte.

Im folgenden Aufsatz untersucht Dr. Jutta Georg "Nietzsches Metaphorik" und deren weitreichende Bedeutung für Nietzsches Philosophie. Sie kommt zu der These, dass Metaphern für Nietzsche das einzig angemessene Ausdrucksmittel seien, da die Logik verfälsche und man in Musik nicht argumentieren könne. Die Autorin zeigt Nietzsches Metaphern in ihren unterschiedlichen Funktionen – der Analyse, der Kritik und der Vision – und sie untersucht, ob deren Verwendung jeweils angemessen ist.

Ausgangspunkt für Dr. Konrad Lotter in seinem Beitrag "Der Humanismus der Zukunft. Nietzsches Beziehung zu Feuerbach" ist die lange Zeit übersehene Bedeutung Feuerbachs für Nietzsches "Leiborientierung". In einer Indizienkette weist er die Lektüren und Informationen Nietzsches über Feuerbach nach, stellt Parallelen beider fest, wie die Ablehnung und Aufhebung des Christentums oder das Ziel eines zukünftigen Humanismus, und legt dann deren höchst unterschiedliche Konsequenzen daraus anschaulich dar.

Mit der abstrakten Kunst, der "klassischen Moderne", setzt sich Prof. Dr. Hans Friesen in seinem Artikel "Malerei und Metaphysik" auseinander. Er zeigt die Malerei dieser Epoche als Überwinderin des perspektivischen Realismus des 19. Jahrhunderts, als getragen von verschiedenen metaphysischen Ansätzen von Spinoza bis Kant, mit dem Ziel einer Ent-Sinnlichung und Denkbegründung der Kunst. Eine Wieder-Versinnlichung der Malerei in der Postmoderne schließt diese Epoche ab.

Dr. Jürgen Lambrecht setzt sich in seinem Aufsatz "Theodizee und Kosmodizee" mit dem existentiellen Problem auseinander, vor das uns die Erfahrung von und der Umgang mit dem Leiden und den Übeln dieser Welt stellt. Ausgehend von den Leibniz'schen Thesen zur Theodizee werden deren Argumentationsweisen untersucht und auf eine säkulare Kosmodizee zu übertragen versucht.

Mit einem, vor allem in Krisenzeiten, immer wieder aufflammenden Phänomen befasst sich Prof. Dr. Anton Grabner-Haider in seinem Artikel "Über die Sinnlosigkeit des neuen Antisemitismus." Darin gibt er einen kurzen, informativen Überblick über die Geschichte des Judentums in Europa, einschließlich der Geschichte antijüdischer und antisemitischer Bewegungen zu verschiedenen Zeiten. Anschließend führt er dem Leser die vielen Verdienste von Menschen jüdischer Herkunft um Kunst, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft vor Augen, um mit einem Appell an die kritische Philosophie zu schließen.

Im FORUM finden sich vielfältige Beiträge zu philosophischen Auseinandersetzungen mit politischen, gesellschaftlichen, historischen oder ästhetischen Themen. Der Essay "Die strahlenden Augen des Ernst Topitsch. 40 Jahre Umwege zu Hans Albert" von Prof. Dr. Hermann Josef Schmidt ist zugleich unsere Gratulation zu Hans Alberts 99. Geburtstag.

Dr. Bruno Heidlberger setzt sich in seinen beiden Aufsätzen "Die Macht der Worte. Ist die Hypermoral die Leitideologie unserer Zeit? Anmerkungen zur neurechten Metapolitik" und "Für einen Liberalismus der 'kleinen Leute' in Zeiten des autoritären Rechtsnationalismus. Liberalismus ist keine Sache der Kultur" mit derzeitig wirksamen politischen Ideologien auseinander. In "Wenn aus Wissen Macht wird: Zur Kritik am Szientismus" beleuchtet Prof. Dr. Hartmut Heuermann Folgen von zu großer Wissenschaftsorientierung von Francis Bacon bis zum Transhumanismus. PD Dr. Clemens K. Stepina untersucht in seinem Beitrag "Marxistische Kunstproduktion?" deren historische und utopische Komponenten. Mit den Anfängen des Christentums beschäftigt sich Prof. Dr. Hubertus Mynarek in "Keine Spur von Historizität. Mythos und Traum an der Wiege des Christentums". Den Einfluss Giordano Brunos auf Arthur Schopenhauers Denken behandelt Ernst Ziegler in seinem Beitrag "Arthur Schopenhauer und Giordano Bruno". Als ein Kommentar zur Gegenwart und als Auseinandersetzung mit Camus stellt sich Dr. Jutta Georgs Text "Das Virus als Metapher – die Metapher als Virus" dar.

Eine Reihe interessanter Buchbesprechungen schließt diese Ausgabe ab. Diese weisen vier Schwerpunkte auf, nämlich Auseinandersetzungen mit großen Philosophen, mit Aspekten des Nationalsozialismus, mit gesellschaftlich wirksamen Phänomenen und im weiten Sinne mit Religiosität oder Spiritualität:

Bei den Philosophen werden neben "Wittgenstein und die Folgen", Jaspers' "Psychologie der Weltanschauungen", einem Teil der Gesamtausgabe, auch die Bücher "Weltklugheit – Die Tradition der europäischen Moralistik" und "Calvinismus und Aufklärung. Die calvinistischen Wurzeln der praktischen Philosophie der schottischen Aufklärung nach Francis Hutcheson, David Hume und Adam Smith" besprochen. Außerdem wird noch eine neue Nietzsche-Biographie kritisch gewürdigt. Mit dem Nationalsozialismus setzen sich die Bücher "Die Moral der Nationalsozialisten" und "Hitlers Mann im Vatikan – Alois Hudal" auseinander.

Gesellschaftliche Phänomene sind Thema in "Was hält uns jung? Neuronale Perspektiven für den Umgang mit Neuem", in dem es um das "Alter" geht, und in "Die Gesellschaft und ihre Reichen – Vorurteile über eine beneidete Minderheit". Das Buch "Kein Kampf der Kulturen – Kritische Auslegung der Bibel und des Koran" befasst sich mit religiösen Büchern, aber unter gesellschaftlichen Aspekten. In den Büchern über Religiosität oder Spiritualität sind Kirchenkritik, neue religiöse Vielfalt und verschiedene Zugänge zum Atheismus das Thema.

Bezug der Ausgabe über die Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg via Internet: www.gkpn.de (Schutzgebühr 12,00 Euro zuzügl. 2,50 Euro Verpackung und Porto).

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