Sonderheft der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft

Aufklärung und Kritik 3/2022 erschienen

Das aktuelle Heft von Aufklärung und Kritik (A&K), der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg (GKP), ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zur Verfügung gestellt.

Am 13. September 2022 jährt sich Ludwig Feuerbachs Todestag zum 150. Mal. Für die Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft ist dies ein Anlass, erneut ein Heft ihrer Schriftenreihe herauszugeben – in bewährter Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Aufklärung und Kritik, als deren Sonderheft es erscheint. Seit der letzten derartigen Publikation sind vier Jahre vergangen, in denen sich wieder eine erfreuliche Anzahl geeigneter Textbeiträge angesammelt hat. Die Zielgruppe sind, ganz im Geiste Feuerbachs, keineswegs nur Philosophen und Historiker, sondern alle, die sich von den weitreichenden Gedanken dieses großen Religionskritikers und Menschenfreundes angesprochen fühlen, die sich von seinen Denkanstößen inspirieren lassen möchten oder den Spuren seines Wirkens in der Gegenwart nachspüren wollen.

Gründe liegen tiefer als Anlässe – und Gründe, sich mit Ludwig Feuerbach zu beschäftigen, gibt es etliche: Da ist zum einen die systematische Bedeutung seiner Erkenntnis, dass die Anthropologie das Geheimnis der Theologie sei. Damit werden einerseits Gottesvorstellungen als illusionäres Wunschdenken entlarvt, indem das psychische Gerüst des Menschen selbst als Ursprung des religiösen Bewusstseins dingfest gemacht wird. Andererseits liefert die Feuerbach'sche Analyse einen Schlüssel zur Funktionsweise der Religion und kann so die – aus aufklärerischer Sicht durchaus erstaunliche – Stabilität religiöser Kulturphänomene erklären helfen.

Des Weiteren ist die philosophiegeschichtliche Bedeutung des Feuerbach'schen Ansatzes für das geistige Leben des 19. Jahrhunderts unbestreitbar. Dabei bleibt zu beachten, dass sich die Stellung Feuerbachs keineswegs in einer bloßen "bürgerlichen" Vorstufe zu Karl Marx erschöpft, wie eine jahrzehntelange marxistische Vereinnahmung es wollte. Vielmehr hat sein Werk eigenständige Bedeutung und verdient Interesse aus eigenem Recht – sowohl im Hinblick auf seine Abwendung von der Hegel'schen Philosophie, die ihn zunächst stark geprägt hat, als auch in Bezug auf sein naturalistisch-sinnlich grundiertes Menschenbild und seine am (Lebens-)Glück der Menschen orientierte Ethik.

Bis heute ist Ludwig Feuerbach als "Klassiker" in freigeistigen Kreisen anerkannt und geschätzt – als Vordenker und Vorkämpfer gegen religiöse Bevormundung, gegen theologische Irreführung, gegen obrigkeitsstaatliche Willkür, für Aufklärung, Menschenrecht, Humanität und Naturverbundenheit. In der disparaten Landschaft säkularer Organisationen, die freidenkerische, geistesfreie, humanistische, aber auch freireligiöse und unitarische Strömungen umfasst, stellt sein Andenken eine Art geistiges Bindeglied dar. Sein berühmtes Diktum, "aus Kandidaten des Jenseits Studenten des Diesseits" machen zu wollen, ist hier in vielfältiger Weise auf fruchtbaren Boden gefallen.

Wir leben zwar in Zeiten schwindender religiöser Bindungen, nicht jedoch in einem Zeitalter allgegenwärtiger Vernunft. Nach wie vor herrscht kein Mangel an Irrationalitäten, Illusionen und Ideologien. Es könnte daher ein fruchtbarer Zugang zur Bewusstseinslage der Gegenwart sein, die Feuerbach'sche Projektionsidee zu verallgemeinern: Lassen sich auch die heutige Individualisierung, Pluralisierung und Unverbindlichkeit religiös-weltanschaulicher Vorstellungen durch unbewusste und uneingestandene psychische Dispositionen der Menschen erklären? Ist somit nicht nur das dogmatische Christentum zu Feuerbachs Zeit, sondern auch der Wandel im religiösen Leben seit damals einer Analyse im Sinne von Feuerbachs "genetisch-kritischer Methode" zugänglich? Und gilt seine Rückführung auf menschliche Bedürfnisse, Sehnsüchte und Idealvorstellungen auch für nichtreligiöse Heilslehren und säkulare politische Ideologien?

Um solche Weiterungen beurteilen zu können, muss man das Original kennen – eigentlich. Doch Ludwig Feuerbachs Lebenswerk ist umfangreich und nicht alle seine Texte sind dem ungeübten Leser leicht zugänglich. Das vorliegende Heft ist daher auch ein Angebot, von verschiedenen Ansatzpunkten aus einen Einstieg in die Beschäftigung mit Feuerbachs Denken zu finden. Neben aktuellen Beiträgen, die zumeist auf die Tagesseminare der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft der letzten Jahre zurückgehen, enthält das Heft auch drei Wiederabdrucke älterer Texte, die nur schwer auffindbar sind (Kesten, Radbruch, Stadler).

Das Heft hat drei Teile: Positionen – Personen – Perspektiven. In rein systematischer Hinsicht sind in der Philosophie nur Positionen relevant, darstellbar als Thesen und Argumente pro und contra. Gemäß einem objektiven Wissenschaftsideal ist völlig unerheblich, von wem sie geäußert werden. Doch selbstredend trägt ein Hintergrundwissen zu Personen zur besseren Einordnung, zur Beleuchtung von Problemkontexten, ja zur lebendigen Auseinandersetzung bei. Gerade für Ludwig Feuerbach war die Infragestellung abstrakter Konstrukte ohnehin eines seiner durchgängigen Anliegen – und der ganze Mensch, der Dialog, das "Ich und Du" sein Ausgangspunkt. Die eigene Wirkung freilich hat kein Denker in der Hand, doch Perspektiven gibt es allemal. In Feuerbachs Werk ist immer wieder und immer noch ein Gegenwartsbezug zu spüren, der gestärkt werden kann und soll. Der Schlussteil deutet darauf hin und regt dazu an.

Positionen

Im ersten Teil dieses Heftes sind Beiträge zusammengestellt, die verschiedene Schlaglichter auf Feuerbachs Philosophie werfen und dadurch seine Positionen erhellen. So gibt Prof. Dr. Ursula Reitemeyer-Witt in ihrem Artikel "Ludwig Feuerbach: Vom verkannten zum modernen Denker" einen fundierten Überblick über die Rezeptionsgeschichte Ludwig Feuerbachs, die vom Verkennen geprägt ist. Anstelle der eher oberflächlichen Einordnung des Philosophen als Überwinder Hegels und Vorläufer von Marx stellt sie die eigenständige Bedeutung der Philosophie Ludwig Feuerbachs und die Forschung dazu in den Mittelpunkt. Ihr umfassender Ausblick zeigt eine Vielzahl von internationalen Forschungsansätzen, die in den Bereichen Anthropologie, Humanismus, praktische Philosophie und der Erweiterung der Würde-Diskussion an Feuerbachs Werk anschließen.

Mit der Religionsphilosophie des großen Philosophen und Aufklärers setzt sich Prof. Dr. Rudolf Lüthe in seinem Beitrag "Eine a-religiöse Theologie? Zu einigen Elementen der Religionskritik Ludwig Feuerbachs" auseinander. Zweifelnd an der These Mauthners, Ludwig Feuerbach sei der wichtigste Vertreter des Atheismus im 19. Jahrhundert, untersucht der Autor Feuerbachs argumentativen Weg von der Religionskritik zur Anthropologie und kommt zu dem Ergebnis, dass am Ende eine a-religiöse Gotteslehre stehe, die zu einer Neudefinition des Atheismus führe und in ihrer Liebe zum Menschen einen Wendepunkt der Weltgeschichte ausmache.

In seinem Artikel "Nutzlose Sterne – Unnütze Räume. Wie ist eine Bejahung des Weltalls möglich?" untersucht Prof. Dr. Franz Josef Wetz Feuerbachs Beitrag zur Naturphilosophie, hier speziell zur Astrophilosophie, und beleuchtet Feuerbachs Weg weg von der Metaphysik. Ausgangspunkt der Darstellung ist die Wirkung der neuen Blicke auf und in das All, die das Fernrohr ermöglichte, und damit die Wirkung auf die Menschen der Aufklärungszeit. Erläutert werden verschiedene sich daraus ergebende Denkansätze und Vorstellungen, etwa dass das Weltall sinnlos sei oder in Bezug auf den Menschen überdimensioniert. Als eine positive Antwort darauf erläutert Wetz Feuerbachs Argumentation, dass die Welt Eigenwert und Zweck in sich habe.

Die Ethik Ludwig Feuerbachs ist das Thema von Prof. Dr. Wulf Kellerwessel in "Ludwig Feuerbachs Spätschrift 'Zur Moralphilosophie' – Rekonstruktionen und kritische Diskussionen". Dabei geht der Autor hauptsächlich von der oben genannten Schrift aus, um Feuerbachs Ziel einer säkularen, diesseitigen, auf den konkreten Menschen zugeschnittenen Moralkonzeption aus seinen Schriften zu belegen. Im Zuge dessen werden deren Grundlagen, wie Feuerbachs Annahme eines Glückseligkeitstriebes oder einer jeder Person zugehörigen Selbstliebe, und deren Implikationen, wie mangelnde Pflichtenbegründung oder Hedonismus, kritisch gewürdigt. Als Fazit werden gleichwohl Feuerbachs bleibende Verdienste um eine menschenfreundliche Ethikkonzeption herausgestellt.

In seinem Beitrag stellt Dr. Josef Winiger "Ludwig Feuerbachs Weg zum Humanismus" vor. Darin macht er Feuerbachs Weg vom Ausgangspunkt bei Hegels "Alles ist Denken" – und der schwachen Rolle der Natur bei Hegel – hin zu "Die Wahrheit existiert nicht im Denken…" 15 Jahre später nachvollziehbar. Dies geschieht, indem der Autor Feuerbachs sich wandelnde Fragestellungen anhand der Arbeiten der 1830er Jahre mit den behandelten Themen wie Bacon, Spinoza, Leibniz oder Pierre Bayle aufzeigt, und so die Entwicklung des Philosophen vom Hegelianer zum geistigen Naturforscher, zum Anthropologen nachzeichnet.

Cláudia dalla Rosa Soares zeigt in ihrem Aufsatz "Feuerbachs Entwicklung des Menschlichen. Anthropologische und ästhetische Aspekte im Wesen des Christentums", wie bei Feuerbach aus der Kritik der Theologie eine positive Anthropologie entsteht. Dabei weist sie eine Linie nach von Feuerbachs Aussage, dass die Ästhetik die "prima philosophia" sei, über die Bedeutung der Religion in der Kulturentwicklung der Menschheit, bis hin zur "Philosophie der Zukunft", die dem Menschen Antworten geben müsse auf seine existenziellen Fragen, so wie bisher die Religion – und zwar dem ganzen Menschen, nicht nur der Vernunft.

Beim nächsten Text, der den ersten Teil des Heftes gleichsam zusammenfasst und abschließt, "Ludwig Feuerbach – der Advokat des Menschen" von Hermann Kesten, handelt es sich um den Wiederabdruck eines Beitrags des bekannten Nürnberger Autors und Intellektuellen, den dieser zum 100. Todestag Ludwig Feuerbachs als Vortrag im Bayerischen Rundfunk gehalten hatte, und der dann in der Zeitschrift Nürnberg – heute (Dezember 1972) abgedruckt war. Hermann Kesten zeigt darin die Verdienste Feuerbachs um die Aufklärung, um die Befreiung des Menschen von der Tyrannei der Kirche und des Staates auf, er schildert dessen Lebenslauf im Lichte seiner Ziele und macht die Bedeutung Feuerbachs für den Humanismus lebendig.

Personen

Der zweite Teil dieses Sonderheftes stellt Arbeiten vor, die sich auf unterschiedliche Weise und nach unterschiedlichen Quellen mit Personen aus dem familiären und freundschaftlichen Umfeld Ludwig Feuerbachs befassen. Er beginnt mit Helmut Walthers Vorstellung von "Ludwig Feuerbachs Berliner Studienzeit 1824-1826". Als Quellen dienen hier bisher unveröffentlichte Rechercheergebnisse Prof. Werner Schuffenhauers. Dies kommt besonders in den Abschnitten zum Tragen, die sich mit Feuerbachs Studienweg in Heidelberg und Berlin befassen, wobei die vielen Faksimiles dem Leser die familiären und polizeilichen Komplikationen, denen der frischgebackene Philosophiestudent ausgesetzt war, anschaulich machen. Der Schlussteil des Beitrags befasst sich mit der philosophischen Entwicklung Ludwig Feuerbachs in Bezug auf Hegel und zeigt dessen Anerkennung der Rolle Hegels in seinem Denkprozess – aber auch schon seinen früh angedeuteten Bruch mit ihm.

Der nachfolgende Beitrag widmet sich Ludwigs Vater, dem berühmten Juristen Johann Paul Anselm Ritter von Feuerbach. Dieser Text ist einem Zufallsfund von Helmut Walther in seiner privaten Feuerbach-Sammlung zu verdanken. Es fand sich darin der Sonderdruck eines Aufsatzes von Prof. Dr. Gustav Radbruch mit dem Titel "Anselm v. Feuerbach und die vergleichende Rechtsgeschichte". Darin wird deutlich gemacht, dass J.P.A. von Feuerbach ein großes Projekt begonnen hatte, nämlich eine "Genealogie des Rechts" zu erstellen, vergleichbar dem Ansatz Ludwig Feuerbachs in Bezug auf die Religion. Außerdem zeigt Radbruch die unzulänglichen Quellen in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auf, mit denen der Jurist von Feuerbach arbeitete, und gibt einen Eindruck davon, welch wichtiger Beitrag zur Rechtsgeschichte hier unvollendet liegen geblieben ist.

Mit "Friedrich Feuerbach – Leben, Werk und Wirkung" befasst sich Ulrike Ackermann-Hajek. Nach einigen wichtigen Stationen der Biographie des jüngsten Bruders Ludwig Feuerbachs, der am 29. Juni 1806 als Friedrich Heinrich Feuerbach in München geboren wurde, folgt eine Übersicht über seine wichtigsten Werke und die Zusammenarbeit mit Ludwig. Aus diesen Werken, insbesondere aus "Gedanken und Tatsachen", wird Friedrichs Ziel, zur "Verständigung über die Grundbedingungen des Menschenwohls" durch Änderung des sozialen Miteinanders und Installation einer neuen Rolle für die Religion beizutragen, herausgearbeitet. Der Weg zu diesen Veränderungen führte für Friedrich Feuerbach über Bildung und Erziehung. Aber dieser Beitrag zum emanzipatorischen Ansatz zeigte erst mit großer Verspätung, nämlich ab 1968, eine gewisse Wirkung.

Auch die nächsten Texte stellen in unterschiedlicher Weise das familiäre und geschwisterliche Umfeld Ludwig Feuerbachs dar. So informiert Prof. Dr. Christian Thiel in seinem Aufsatz "Karl Feuerbach und sein Kreis" über den Mathematiker Karl Wilhelm Feuerbach, den zweitältesten Bruder Ludwigs. Er lässt uns teilhaben an seinem schwierigen Naturell und Leben, wie auch an seiner bedeutenden mathematischen Entdeckung.

Peter Feuerbach, ein Nachfahre Eduard Feuerbachs, öffnet für die Leser mit seinen "Familienerinnerungen" sozusagen das Familienalbum der Feuerbachs und zeigt die Ahnentafel von Paul Johann Anselm, dem Vater Ludwigs und seiner Geschwister, bis zu den heutigen Familienmitgliedern.

Dass der Text von Julie Stadler, einer Schwägerin Ludwig Feuerbachs, mit dem Titel "Erinnerungen an die Familie Feuerbach", hier wiederveröffentlicht werden kann, verdanken wir ebenfalls Peter Feuerbach. In dem 1906 erstmals veröffentlichten Text zeichnet die Zeitzeugin, die als Kind in Bruckberg die Familientreffen der damaligen Feuerbachs erlebte, ein lebendiges Bild der Beteiligten und bietet sonst nirgends zugängliche persönliche Einblicke.

Den Reigen der Beiträge zu Ludwig Feuerbachs erweitertem Umfeld beginnt Dr. Frank Schulze mit seinem Beitrag "Ludwig Feuerbach und Georg Herwegh". Darin stellt er den Dichter Georg Herwegh und dessen Freundschaft mit Ludwig Feuerbach und deren wechselseitige Bedeutung in den Mittelpunkt. So folgt auf eine zusammenfassende Biographie des Dichters der "Gedichte eines Lebendigen" von 1842, und eine kurze Würdigung seiner Poesie, die Darstellung der freundschaftlichen Beziehung der beiden Männer, ebenso wie die der Familien, was durch einen über Jahrzehnte anhaltenden Briefwechsel belegt ist. Abschließend wird die positive Wirkung Herweghs auf Feuerbachs Gemütslage und Arbeitslaune herausgearbeitet, sowie im Gegenzug die philosophische Wirkung Feuerbachs auf Herwegh.

Im Anschluss stellt Ulrike Ackermann-Hajek in "Emma Herwegh – eine widersprüchliche Kämpferin für die Freiheit" die Ehefrau Georg Herweghs und wichtige persönliche Freundin Ludwig Feuerbachs vor. Nach einem biographischen Überblick folgt die Darstellung der Beteiligung Emma Herweghs an drei der großen Befreiungsbewegungen des 19. Jahrhunderts: der polnischen, der deutschen und der italienischen. Durch ihren jeweiligen Beitrag dazu, als Gefangenenbesucherin, als Kämpferin oder als Kommunikationszentrum, wird ihre wichtige und unvergessene Rolle als politische Freiheitskämpferin nachvollziehbar. Die titelgebenden Widersprüche werden anhand ihrer Ansichten und Äußerungen zur Rolle der Frau deutlich gemacht, die keineswegs fortschrittlich waren.

Der Text "Theodor von Cramer-Klett – Glücksbringer für Nürnberg und für Ludwig Feuerbach" von Ulrike Ackermann-Hajek entstand im Zusammenhang mit einer von der Autorin durchgeführten Führung. Darin wird zunächst der Nürnberger Industrielle vorgestellt, sowie seine Biographie und seine besonderen Leistungen für die Entwicklung Nürnbergs. Der eigentliche Schwerpunkt ist aber seine vielfache Verbindung zur Familie Feuerbach, von der vier Mitglieder ab Mitte der 1830er Jahre in Nürnberg lebten. So ergab es sich, dass Cramer-Klett über die Not Ludwig Feuerbachs nach dem Konkurs der Bruckberger Porzellanfabrik gut informiert war und ihn und seine Familie in Bezug auf die Schulden und auf die Wohnungssuche in und um Nürnberg tatkräftig unterstützte.

Perspektiven

Der dritte Teil dieses Sonderheftes stellt Texte vor, die sich mit Perspektiven befassen, die sich aus dem Feuerbach'schen Denken in wissenschaftlicher, philosophischer oder gesellschaftlicher Hinsicht ergaben oder ergeben. So geht es Dr. Michael Jeske in seinem Beitrag "'Verlangen nach dem anderen' – Feuerbach, Freud, Winnicott" darum, wie die Feuerbach'sche Philosophie in der Entwicklungspsychologie und in den Erklärungsmodellen von neurotischen Prozessen weiterwirkt. Zunächst beleuchtet der Autor Feuerbachs Liebesbegriff und stellt ihn in Bezug zum Freud'schen Eros. Dabei weist er auf die besondere Betonung der Leiblichkeit bei Feuerbach hin und die Umfassendheit, mit der die Liebe bei ihm untersucht wird, in positiver und negativer Hinsicht. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Bedeutung der Liebe in der menschlichen Individualentwicklung, wie er am Beispiel von Winnicotts Untersuchungen zur Mutter-Kind-Beziehung und an Freuds Überlegungen zum Narzissmus zeigt.

Ein gesellschaftliches Fortwirken stellt Ulrike Ackermann-Hajek in ihrem Artikel "Feuerbach und die Emanzipation" vor. Ausgehend von Feuerbachs wenigen eigenen Äußerungen zur Frauenemanzipation aus dem Briefwechsel der 1870er Jahre, geht sie dem Briefkontakt zu Mathilde F. Wendt aus New York genauer nach und stellt schwerpunktmäßig die Aktivitäten der deutsch-amerikanischen Frauenrechtsbewegung dort dar. Aber auch andere Protagonistinnen, die schon nach 1848 in die USA eingewandert waren und Feuerbachs Gedankengut aus Deutschland mitbrachten, werden gewürdigt. Als die wirkungsvollsten Thesen erwiesen sich dabei die religionskritischen und diesseitszugewandten, weil diese dem Puritanismus der US-amerikanischen Gesellschaft etwas entgegensetzen konnten – zumindest im deutsch-amerikanischen Selbstbewusstsein.

Die ungebrochene religionsphilosophische Gültigkeit Feuerbachs bringt Renate Bauer in ihrem Aufsatz "Die Nöte der Moderne im Lichte von Feuerbachs Religionskritik" zur Anschauung. Nach einem kurzen Überblick über die historische Entwicklung der freireligiösen Bewegung in Deutschland und dem wechselnden Einfluss Feuerbachs darauf, leitet die Referentin mit einem Vergleich der Nöte der Moderne mit den Nöten des 19. Jahrhunderts in Deutschland über zu Ludwig Feuerbachs Religionsbegriff. Diesem stellt sie Artrans evolutionäre Theorie der Entstehung der Religionen an die Seite, um die Bedeutung der Religion für den Einzelnen und für Gesellschaften fundiert nachzuweisen. Anhand der von Feuerbach enthüllten Mechanismen der Religionsentstehung erklärt die Autorin die Entwicklung, dass sich die Menschen der Moderne Esoterik und Verschwörungstheorien zuwenden, nämlich weil diese die Funktion der Religion erfüllen. Für die Kränkungen des Selbstwertgefühls, das Gefühl der Bedrohung durch Menschen, Krankheiten oder das Schicksal und die daraus entstehenden Ängste und psychischen Nöte werden dort Lösungen angeboten, die allerdings zu kurz greifen, in der Realität nichts verändern und den Menschen nicht von seiner Verantwortung für die Welt befreien können.

Eine besondere Freude ist es uns, den Aufsatz "Weg des (Un-)Glücks" von Marlene Baumann zu veröffentlichen. Dieser entstand im Jahr 2020 im Zuge eines vom Bund für Geistesfreiheit (bfg) Bayern an allen bayerischen Realschulen und Gymnasien durchgeführten Wettbewerbs, bei dem ein Ludwig-Feuerbach-Schülerpreis ausgelobt wurde. Aufgabe war es, sich mit aufklärerischem Gedankengut oder dem geistigen Erbe von Ludwig Feuerbach auseinanderzusetzen. Der vorliegende Text ist einer der Preisträgertexte: Er wendet Feuerbachs Religionskritik auf die aktuelle Kirchensituation an und fragt kritisch nach, ob von dort ein Beitrag zum Glück des Einzelnen heute noch möglich sei.

Den Abschluss dieses Teils bildet die Rezension eines Sammelbandes: Helmut Fink bespricht den aktuellen, von Andreas Arndt herausgegebenen Kommentarband zu Ludwig Feuerbachs Hauptwerk "Das Wesen des Christentums". Die philosophiehistorisch anspruchsvollen Beiträge dieses Kommentarbandes geben wichtige Einblicke in die universitäre Forschung, erläutern geistes- und kulturgeschichtliche Bezüge des Feuerbach'schen Werkes und erweitern seinen Deutungshorizont. Sie sind jedoch eher für Spezialisten als für die Allgemeinheit geeignet und können (und sollen!) die Originallektüre nicht ersetzen.

Am Ende dieses Sonderheftes ist eine Zusammenstellung aller Artikel mit thematischem "Feuerbach-Bezug" abgedruckt, die in der Zeitschrift Aufklärung und Kritik seit ihrem Bestehen, also seit 1994, erschienen sind. Über die zugleich als Heft 2 bis 5 der Schriftenreihe der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft dienenden Ausgaben hinaus sind es über die Jahre erstaunlich viele Einzelbeiträge geworden. Wir hoffen daher, dass diese Übersicht der Leserschaft von Nutzen sein möge.

Ein besonderer Dank der Herausgeber gebührt dem Hauptredakteur von Aufklärung und Kritik, Helmut Walther, ohne den dieses Heft nicht erscheinen könnte.

Bezug der Ausgabe über die Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg via Internet (Schutzgebühr 12,00 Euro, zuzüglich 2,50 Euro Verpackung und Porto).

Mitglieder der Gesellschaft für kritische Philosophie erhalten alle kommenden Ausgaben und Sonderhefte von Aufklärung und Kritik kostenlos zugeschickt.

Unterstützen Sie uns bei Steady!