Aufklärung und Kritik 4/2019 erschienen

Das aktuelle Heft von "Aufklärung und Kritik" (AuK), der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg, ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zu Verfügung gestellt.

Liebe Leserinnen und Leser,

in dieser vierten Ausgabe 2019, zum Abschluss des "Popperjahres", finden noch einige Auseinandersetzungen mit wichtigen Grundgedanken Poppers statt, vor allem mit seiner Idee der offenen Gesellschaft, ihren Feinden und ihren Grundvoraussetzungen. Aber auch philosophiespezifische oder philosophiehistorische, psychologische oder literarische Fragestellungen werden unter verschiedenen Blickwickeln untersucht, und die Ergebnisse laden zum Mit- und Nachdenken ein.

Das Heft wird eröffnet mit einer deutschsprachigen Erstveröffentlichung: Karl R. Poppers Vortrag "Die natürliche Selektion und die Emergenz des Geistes", den er am 8. November 1977 am Darwin College in Cambridge (UK) gehalten hat, erscheint hier erstmals auf Deutsch, übersetzt und herausgegeben von Dr. Hans-Joachim Niemann. In diesem Vortrag setzt sich Popper mit dem Leib-Seele-Problem und der Gehirn-Geist-Interaktion auseinander und beleuchtet und bewertet Darwins Konzept der natürlichen Selektion so, dass es einen Beitrag zu seiner Problemlösung leistet. Dabei bekennt Popper sich im Laufe des Vortrags auch zu einer gewissen Revision seiner persönlichen Einschätzung der Evolutionstheorie.

In "Karl Popper als moderner Aufklärer" begründet Dr. Martin Morgenstern dieses Selbstbild und diese Bedeutung Karl Poppers. Dazu erläutert er die aufklärerischen Elemente sowohl in Poppers Erkenntnistheorie, wie den Falsifikationismus und den Fallibilismus, als auch in dessen politischer Philosophie durch die Darstellung seiner Ideologiekritik und der ethischen Basis der Idee der offenen Gesellschaft. Zum Schluss weist Dr. Morgenstern auf die kritisch-rationale Grundhaltung als das bleibend aktuelle Vermächtnis Poppers hin.

Im dritten Artikel geht es um eine rationale Auseinandersetzung mit dem Irrationalen: Prof. Dr. Hartmut Heuermann möchte mit "Jenseits der 'Realität': Transformationen von Wahrnehmung und Bewusstsein" einen Beitrag leisten zur Vervollständigung des Menschenbildes. Obwohl die Definition von "Realität" ein altbekanntes philosophisches Problem ist, kommen wir im Alltag mit unserem Alltagsbewusstsein gut mit unseren Erfahrungen der Außenwelt zurecht. Darüber hinaus haben wir aber auch Kenntnis von Geist und Seele, Traum und Mythen und weiteren, über die Sprache vermittelten "Erfahrungen". Um aus diesen entstehende, abweichende mentale Zustände geht es dem Autor.

Mit dem Schicksal der offenen Gesellschaft befasst sich Prof. Dr. Bijan Nowrousian in seinem Artikel "Liberalismus. Zur Bedeutung eines missbrauchten Begriffs". Er diagnostiziert zunächst eine zunehmende Begriffsverwechslung von Liberalismus und Grenzenlosigkeit und setzt dieser eine genaue Rückführung des Begriffsverständnisses auf John Locke und Immanuel Kant entgegen. Er zeigt die negativen Folgen dieser Entwicklung auf, wie abnehmendes Staatsvertrauen, die Desavouierung des Begriffs "Liberalismus" durch antiliberale Kräfte sowie die Krise der westlichen Demokratien in Europa, und mahnt eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs an.

Eine andere "Begriffsverwechslung" mit gesellschaftlichen Folgen stellt Prof. Dr. Theodor Ebert in seinem Artikel "Selbstverwaltungsrecht oder Selbstbestimmungsrecht der Kirchen?" dar. Ausgehend von der Tatsache, dass sowohl in der Weimarer Verfassung als auch im GG ein "Selbstverwaltungsrecht" der Kirchen verankert ist, aber kein "Selbstbestimmungsrecht", beginnt er mit einer semantischen Klärung der Begriffe. Anschließend wird aufgezeigt, dass die Kirchen – und die Rechtsprechung – die Tendenz zur Grenzverschiebung der Bedeutungen haben in Richtung "Unabhängigkeit", also Selbstbestimmungsrecht, ganz im Gegensatz zum Willen des Gesetzgebers.

Mit Gegensätzen auf verschiedensten Ebenen setzt sich Prof. Dr. Dr. Dr. Roland Benedikter in seinem Aufsatz "Weltthema Migration: Wo stehen wir?" auseinander. Mit dem Hinweis, dass die Globalisierung nicht nur Warenströme, sondern auch Menschen überall in Bewegung setze, und dass dies viel zu lange vernachlässigt worden sei, eröffnet der Autor eine informative Zusammenschau der gesellschaftlichen und politischen Folgen der Migration seit 2015 und endet mit dem Vorschlag einer Lösungsperspektive.

In seinem Artikel "Denkimpulse jüdischer Philosophen im 20. Jahrhundert" gibt Prof. Dr. Anton Grabner-Haider einen Überblick über die jüdischen Philosophen des genannten Zeitraums, die sich in ihren Werken direkt auf jüdische Kultur und Lebenswelten beziehen, oder auf die jüdische Religion, und sei es in säkularisierter Form. So entsteht ein Reigen, der vom Ende des 19. Jahrhunderts (Cohen, Weininger) über die Zwischenkriegszeit (Buber, Mauthner) und die Exil- und Nachkriegszeit (Horkheimer, Adorno, Fromm, Bloch, Jonas, Arendt) bis in die Postmoderne mit den französischen Philosophen Lyotard und Derrida reicht.

An einen ebenfalls im 20. Jahrhundert wirkenden, bedeutenden Theoretiker und Praktiker der Psychologie erinnert Gerda Rosenberger mit ihrem Beitrag "Viktor Frankl: Leben, Werk und Aktualität". Sie stellt darin den Begründer der "Logotherapie", der dritten Wiener Schule der Psychotherapie, vor. Aus der Biografie ist ersichtlich, dass Frankl alle Schrecken, die das 20. Jahrhundert für jüdische Wissenschaftler bereithielt, am eigenen Leib erfahren hatte, und dass er trotzdem schon ab 1946 wieder in Wien arbeitete. Das "…trotzdem Ja zum Leben", einer seiner Buchtitel, kennzeichnete auch seinen Lebens- und Denkweg, getragen von seinem Menschenbild, das den Menschen als Wesen mit "geistiger Dimension" charakterisiert, der selbstverantwortlich handele und einen "Willen zum Sinn" habe.

Den Abschluss des Hauptteils bildet Ufuk Özbes Abhandlung "Was hält einen Begriff im Innersten zusammen? Eine Untersuchung der sokratischen Was-ist-Frage mit Blick auf das wittgensteinsche Konzept der Familienähnlichkeit". Der Autor untersucht die Was-ist-Fragen des Sokrates aus den platonischen Dialogen auf ihr Ziel hin – die Begriffsanalyse – und klärt auf diesem Wege die definitorischen Bedingungen, die zu ihrer korrekten Beantwortung erfüllt sein müssen. Dabei zeigt seine Darstellung Überschneidungen, aber auch Unterschiede von Begriffsbestimmungen in mathematischen oder philosophischen Zusammenhängen auf.

Das Forum beginnt mit einer neuen Folge von Dr. Bruno Heidlbergers Projekt der Auseinandersetzung mit 1968 – "Wohin geht unsere offene Gesellschaft?". Der hier abgedruckte Teil 2 mit dem Schwerpunkt der "Gegenrevolution" hat den Titel "Die konservative Revolution gegen '1968' und die Zukunft der offenen Gesellschaft". Prof. Dr. Dr. Reinhard Hesse setzt sich in seinem Beitrag "Reicht das? Anfang der Ethik" mit einem Artikel aus AuK 2/2019, nämlich "Überlegungen zur Moralphilosophie" von R. Fiedler, auseinander. Ethische Probleme, vor die uns der Fortschritt der Medizin stellt, sind das Thema von Dr. Jürgen Lambrecht in seinem Aufsatz "Postmortale Organspende: Ein Plädoyer für die Widerspruchslösung". Bernd Ehlert leistet in seinem ausführlichen Artikel "Die Falsifizierung der Soziobiologie zugunsten der Evolution von Geist, Kultur und Demokratie" Mehrfaches: Es ist eine Auseinandersetzung mit der Dissertation Christoph Meißelbachs, in der Ehlert die von diesem herangezogene Soziobiologie mit Hilfe von deren Begründer Wilson widerlegt und unter Heranziehung des Modells von Konrad Lorenz über die Entstehung von Geist und Kultur die Evolutionstheorie als Quelle tiefgründiger Lösungen auslotet. In "Das Fleisch muss gestehen" stellt Dr. Jutta Georg den vierten – posthum herausgegebenen – Band von Michel Foucaults "Geschichte der Sexualität" vor. Dr. Claudia Simone Dorchain behandelt in ihrem Essay "Der böse Eros" am Beispiel des Romans "Sturmhöhe" (Wuthering Heights) von Emily Brontë den Eros und seine Wirkungen in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts unter dionysischem Aspekt. Einen speziellen Aspekt des 21. Jahrhunderts beleuchtet Jan Opielka in seinem Aufsatz "Langweile Dich", nämlich den, dass Begriff und Zustand der "Langeweile" in unseren Zeiten höchst negativ besetzt sind, obwohl das Erlebnis derselben als "Muße" den Menschen erst schöpferisch werden lässt. Das Schaffen des Menschen bzw. seine Überhöhung in der Spätromantik, bei Hegel, Marx bis hin zur DDR-Philosophie, ist Thema von Dr. Clemens Stepina in seinem Aufsatz "Zum Ende der Produktionsästhetik", der das Ende dieses Diskurses diagnostiziert. Auch Norbert Gregor Günkel liefert in seinem Beitrag Argumente, einen Diskurs zu beenden, den um das Theodizee-Problem. Er sieht es nämlich als "Ein Werk der Übersetzer. Wie Gott in der Septuaginta allmächtig wurde". Zum Abschluss der Forumtexte präsentiert auch Ralf Rosmiarek einen weiteren kirchenkritischen Artikel unter dem Titel: "… auch wenn er tot ist, schlägt der Schwanz noch hin und her". Ein Beitrag aus der chronique scandaleuse der Catholica. In diesem problematisiert er anhand der Äußerungen der letzten beiden Päpste die unzureichende Aufarbeitung des Missbrauchsskandals innerhalb der katholischen Kirche.

In den Buchbesprechungen findet ebenfalls die Auseinandersetzung mit den Kirchen und mit gesellschaftlichen Entwicklungen, wie dem Antisemitismus oder dem Transhumanismus, ihren Niederschlag, ergänzt von philosophischen Themen, sowie der kurzen Vorstellung von Neuzugängen in der Redaktion.

Bezug der Ausgabe über die Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg via Internet: www.gkpn.de (Schutzgebühr 12,00 EUR zuzügl. 2,50 EUR Verp. u. Porto).

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