Mit dem Tod von Papst Franziskus endet für die katholische Welt eine Ära, die von großen Erwartungen begleitet, aber ebenso von tiefgreifenden Enttäuschungen geprägt war. Als Jorge Mario Bergoglio 2013 zum Papst gewählt wurde, galt er vielen als Hoffnungsträger. Ein einfacher Mann, Jesuit, mit einem Faible für Bescheidenheit – der Reformer, der die katholische Kirche in eine neue Zeit führen sollte. Doch der Rückblick auf sein Pontifikat ist ernüchternd: Es blieb bei vielen Zeichen, bei Gesten und Worten – doch echte, nachhaltige und notwendige Veränderungen fanden nicht statt.
Bereits seit Monaten wurde über den Gesundheitzustand des Papstes spekuliert. Gezeichnet von einer schweren Lungenentzündung wurde sein Zustand von deutschen Medien, nicht zuletzt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk beinahe stündlich verfolgt – mit einer Berichterstattung, die mitunter ins Voyeuristische kippte. Und gerade als viele dachten, der Pontifex Maximus sei auf dem Weg der Besserung, starb Franziskus am Ostermontag an einem Schlaganfall. Noch am Ostersonntag hatte er dem amerikanischen Vizepräsidenten JD Vance, der erst 2019 vom Atheisten zum Katholiken konvertiert war, auf dessen Drängen eine kurze Audienz gewährt.
Der Argentinier Jorge Mario Bergoglio war – als erster Nichteuropäer seit über 1.200 Jahren – angetreten, die katholische Kirche zu reformieren, sie barmherziger, transparenter und zeitgemäßer zu machen. Doch trotz zahlreicher symbolischer Gesten und wohlmeinender Worte bleibt sein Wirken vor allem eines: unvollständig. In entscheidenden Fragen, etwa der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt innerhalb der Kirche oder der Erosion des Christentums in Europa, ist er gescheitert.
Versäumnisse in der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen
Besonders schwer wiegt seine Unfähigkeit, die Missbrauchskrise konsequent anzugehen. Zwar zeigte er sich in Worten betroffen und rief immer wieder zur Nulltoleranz-Haltung auf, doch unter seiner Leitung blieb das System der Vertuschung vielerorts unangetastet. Kleriker, die des Missbrauchs beschuldigt wurden, wurden nicht der weltlichen Justiz übergeben. Opfer fühlten sich nicht ernst genommen, ihre Perspektive wurde selten zur Richtschnur kirchlichen Handelns gemacht. Der viel beschworene "Kulturwandel" entpuppte sich als leere Worthülse – echte strukturelle Reformen, wie unabhängige Untersuchungen durch externe Gremien, blieben weitgehend aus. Es zeigte sich einmal mehr die Verkrustung dieses Systems und die Reformschwerfälligkeit unter der Maßgabe der Wahrung der eigenen Privilegien.
Auch innerkirchliche Reformdebatten stießen bei Franziskus auf Widerstand. Die Diskussion um die Priesterweihe von Frauen wurde nie ernsthaft geführt, sondern immer wieder mit Verweis auf die Tradition abgewürgt. Homosexualität sah er zwar nicht mehr als Sünde, sprach aber weiter von "Unordnung" und von "zu viel Schwuchtelei" in den Priesterseminaren. Und in der Debatte um Schwangerschaftsabbrüche bediente er sich eines drastischen Vergleichs: Es sei, "als würde man einen Auftragsmörder anheuern, um ein Problem zu lösen". Solche Aussagen offenbarten eine dogmatische Härte, die im Kontrast zu seinem Image als "Papst der Barmherzigkeit" stand.
Im Vergleich zu Joseph Ratzinger mag Jorge Mario Bergoglio als Reformer erschienen sein, doch gemessen an den Herausforderungen seiner Zeit war er ein zögerlicher Modernisierer – ein Mann, der sich zwischen den Fronten verlor. Während er auf der einen Seite gegen den "Klerikalismus" wetterte und mehr Synodalität versprach, verteidigte er auf der anderen Seite kirchliche Privilegien und kämpfte mit letzter Kraft gegen die Trennung von Kirche und Staat, etwa bei seinem Besuch im korsischen Ajaccio im Dezember 2024, wo er das laizistische Prinzip Frankreichs als "antireligiöse Waffe" diffamierte. Entschieden trat er für die Sichtbarkeit von Religion im öffentlichen Raum ein. Seine Kritik am "Zeitgeist" klang zunehmend wie die Verteidigung eines Systems, das den Anschluss an die moderne Gesellschaft längst verloren hat.
Besonders deutlich zeigt sich das in Europa, wo die Kirche während seines Pontifikats weiter an Bedeutung verlor. In Deutschland ist die Entfremdung zwischen der institutionellen Kirche und den Gläubigen tiefgreifend. Letztere suchen zunehmend außerhalb traditioneller Strukturen nach Sinn, Ritualen und Spiritualität. Die Massenflucht aus der Kirche – befeuert durch Skandale, Intransparenz und eine als weltfremd empfundene Lehre – hielt ungebrochen an. Die hohen Austrittszahlen dokumentieren die fortschreitende Erosion der Relevanz der Kirche, so sehr sie sich auch um ihren politischen Einfluss bemüht. Der "Synodale Weg", der in Deutschland ein Versuch war, Reformen von innen zu denken, wurde aus Rom mit Skepsis und später mit offener Ablehnung betrachtet. Franziskus zeigte sich hier nicht als Brückenbauer, sondern als Mahner, der vor einer möglichen Kirchenspaltung warnte – ohne die Gründe für den Vertrauensverlust wirklich zu benennen und zu adressieren.
Fehlende moralische Klarheit im Ukraine-Krieg
Am Ende seines Pontifikats steht die katholische Kirche tief gespalten da: zwischen konservativen Kräften, die jeden Wandel blockieren, und progressiven Stimmen, die sich längst von der Institution abgewendet haben. Doch nicht nur innerkirchlich hinterlässt Franziskus ein zerrissenes Erbe – auch außenpolitisch zeigte er sich in zentralen Fragen moralisch unentschlossen. Seine Haltung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war für viele Gläubige wie Beobachter enttäuschend und irritierend: Statt den Aggressor klar zu benennen, forderte Franziskus die Ukraine auf, die "weiße Fahne zu zeigen", als Ausdruck von Verhandlungsbereitschaft – ein Aufruf, der in Kiew als Aufforderung zur Kapitulation verstanden wurde. Dass er es dabei wiederholt vermied, Wladimir Putin direkt als Verantwortlichen für das Leid zu benennen, sondern von einem "Drama auf beiden Seiten" sprach, stellte sein moralisches Urteilsvermögen infrage und beschädigte seine Glaubwürdigkeit als Fürsprecher für Frieden und Gerechtigkeit.
Kritik an staatlicher Trauerbeflaggung in Deutschland
Für Verwunderung sorgt die gestrige Anordnung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die Flaggen an Bundesministerien und Bundesbehörden auf Halbmast zu setzen. Die Entscheidung, auch später bei der offiziellen Trauerfeier für den Papst bundesweit Trauerbeflaggung durchzuführen, ist gleichfalls eine unangemessene Vermischung von Staat und Kirche. In einem säkularen Staat wie Deutschland, in dem die Trennung von Kirche und Staat verfassungsrechtlich verankert ist, sind solche staatlichen Trauerbekundungen für ein religiöses Oberhaupt nicht zeitgemäß.
In den kommenden Wochen werden 135 Kardinäle einen neuen Papst wählen – eine Entscheidung, die mitbestimmen wird, ob die katholische Kirche eine Zukunft hat, die über Nostalgie und Machtpolitik hinausreicht. Der neue Pontifex wird vor einem Scherbenhaufen stehen. Er muss sich der Frage stellen, wie eine global agierende Institution, deren moralische Autorität durch jahrzehntelanges Versagen tief erschüttert ist, im 21. Jahrhundert noch Bestand haben kann. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die katholische Kirche fähig ist, ihre Missbrauchs-Vergangenheit systematisch aufzuarbeiten und die notwendige Transformation zu vollziehen – oder ob der Reformstau unter Franziskus nur der Beginn eines Niedergangs ist, der nicht aufgehalten werden kann.
Hinweis der Redaktion: Ursprünglich war in diesem Text von 116 wahlberechtigten Kardinälen die Rede, es sind jedoch 135. Dies haben wir am 30.04.2025 um 16:15 Uhr korrigiert.

6 Kommentare
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Kommentare
Angelika Wedekind am Permanenter Link
.....hoffen wir mal letzteres!
Gerhard Neugebauer am Permanenter Link
Seit meiner Kindheit kannte ich diese Wunschvorstellungen, dass es nach dem Tod von PP-VI mit PJP-I, und nach dessen schnellen u.
Thomas Spickmann am Permanenter Link
Sie haben das mit lustigem Stil geschrieben. Mit Sicherheit haben Sie Recht.
Leo Becker am Permanenter Link
ein Glück, dass der Humanismus schon so unendlich viel erreicht hat, mit dem großen humanistischen Leitstern Michael Schmidt-Salomon!
In zwei Jahren weiß keiner mehr, was ein „Papst“ überhaupt war!
Spontandenker am Permanenter Link
Ich hoffe auf einen möglichst konservativen Nachfolger; das verstärkt den Abgang der progressiveren Durchschnittsgläubigen und fördert so den Bedeutungsverlust der Kirche.
Tobias Seyb am Permanenter Link
Das ist richtig. Fundamentalisten sind sowohl ehrlicher und authentischer, als auch für die Gesellschaft nützlicher als Wohlfühlchristen.