Waldorf-Pädagogik

Mit den Prinzipien eines säkularen Humanismus unvereinbar

Statistiken, die das angeblich bessere Abschneiden von Waldorf-Abiturienten belegen, sind reine Augenwischerei, weil sie nichts aussagen über die überdurchschnittlich vielen vorzeitigen Abgänge und waldorfinterne Regelungen, durch die nur ein recht kleiner Teil der Schüler überhaupt zur Abiturprüfung zugelassen wird.

Außerdem seien meine Zitate "aus seinem riesigen Gesamtwerk aus dem Zusammenhang gerissen". Nun, ich denke, auf Zusammenhänge zwischen Entwicklungsstufen des Kindes und einer geschauten "planetarischen Evolution", zwischen der Art des Auftretens eines Kindes und seinem früheren Leben, zwischen Krankheiten und Verfehlungen in früheren Inkarnationen konnte ich großzügig verzichten.

Der oben schon erwähnte Kommentator schreibt, Steiner sei ein "Universalgelehrter", auf den eine "Fülle von Kostbarkeiten dreier Generationen zurückgeht".

Gut! Dann schauen wir mal. In einer Handreichung für Geschichtslehrer an Waldorfschulen finden wir z.B. folgende Kostbarkeit: "Napoleon (hat nach der) Mission des Buddha auf dem Mars vor der irdischen Inkarnation die Marssphäre durchlebt. (…) Er habe hierbei den 'Auftrag' erhalten, einen wesentlichen Beitrag zu einer friedlichen Einigung Europas zu leisten." (Lehrbuch von Karl Heyer: Die Französische Revolution und Napoleon)

Ich möchte dem Leser hier weitere "Kostbarkeiten" ersparen. Es sind so viele, dass sie noch keiner zählen wollte.

Es sollte übrigens auch zu denken geben, dass es zu keiner Reformpädagogik soviel kritische Literatur gibt wie zur Waldorfschule, deren relativ guter Ruf sich nicht nur auf Propaganda und Gefälligkeitsgutachten, sondern auch auf Gefälligkeits-Grußworte von schlecht oder einseitig informierten Politikern stützen kann. Allen voran wäre hier Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, zu nennen.

Nichts gegen Reformschulen, nichts gegen die Förderung handwerklicher und musischer Fähigkeiten, nichts gegen Alternativen zur Notengebung, nichts gegen einseitige Stoffhuberei und Lern-Boulimie, nichts gegen Gemeinschaftsschulen.

Aber um des lieben Humanismus willen doch bitte ohne esoterisches Hintergrundrauschen! Ein mittelalterlicher Mystizismus, ein religiöser Kult mit absolutem Wahrheitsanspruch, denn die Erkenntnis höherer Welten ist nicht verhandelbar, eine Lehre also, die sich nur insofern von anderen esoterischen Lehren unterscheidet, als sie zu einem alternativen Schulsystem transformiert wurde und zu allem Überfluss auch noch durch unser aller Steuergelder subventioniert wird, In BW mit 74 Prozent.

Der Waldorflehrer als Priester einer Ordensschule

Waldorfschulen sind, genau betrachtet, Ordensschulen mit Lehrern im Rang von Priestern, die Steiners geheimen Lehrplan umzusetzen haben. Steiner: "Der Erzieherberuf (werde sich) umwandeln lassen (…) zum ganz wahrhaften Priesterberuf" (GA 3104, S. 36 f.)

Jetzt höre ich meine Kritiker schon sagen: Ja, das mag der Steiner vor vielen Jahrzehnten mal geschrieben, aber …

Diesen Apologeten Steiners sei dies unterbreitet:

Erstens ist in einem Grundsatzdokument festgelegt, wonach sich alle Schulen weltweit richten müssen: "Jeder Lehrer verantwortet seinen Unterricht auf der Grundlage der anthroposophischen Menschenkunde." (Internationale Konferenz der Waldorfpädagogischen Bewegung (IK) hat während ihrer Sitzungen am 17. Mai 2015 in Wien sowie am 7. Mai 2016 in Arles das am 14. November 2014 in Harduf/Israel verabschiedete Dokument "Wesentliche Merkmale der Waldorfpädagogik" als verbindliche Orientierung für die weltweite Waldorfschulbewegung überarbeitet und erneut verabschiedet. - www.waldorf-international.org)

Zweitens identifizieren sich laut Erziehungswissenschaftler Heiner Ullrich Waldorflehrer zu 90 Prozent eher mehr als weniger mit der Anthroposophie. Diese lebt von dem Anspruch, universelles Wissen aus einer übersinnlichen Welt auf die Erde herabzuholen. So wird der Lehrer ganz eindeutig zum Priester.

Die Lehrer haben nach Steiner "die göttlichen Pläne mit der Welt zu verwirklichen, die Intentionen der Götter aus(zu)führen." (GA 300a, S.111)

Selbst der wahrlich nicht übermäßig religionskritische Deutschlandfunk überschrieb seinen Beitrag am 7. Sept. zu 100 Jahre Waldorfschule: "Der Lehrer als Priester". Und die Süddeutsche Zeitung betitelte ihren Beitrag zum gleichen Thema am gleichen Tag mit dem Zitat eines Mannes, der an drei Waldorfschulen unterrichtet hatte, ehe er sich entsetzt abwandte: "Waldorf hat den Charakter einer Sekte."

Exkurs: Warum Humanismus und anthroposophisch geprägte Pädagogik unvereinbar sind.

Esoterik ist ein Angriff auf Vernunft und geistige Freiheit. Angriffe auf die Vernunft sind unvereinbar mit aufgeklärtem Denken. Und von Steiner gibt es viele Aussagen, die freiem Denken keinen Spielraum lassen. So verlangt er z.B. von seinen Lehrern, dass sie seinen speziellen Erkenntnisweg durchlaufen und keinen anderen.

  • Anthroposophie in ihrem fundamentalistischen Welterklärungscharakter auf Basis einer nur von Steiner "geschauten" Akasha-Chronik ist mit humanistischen Prinzipien unvereinbar.
  • Die Anthroposophie trägt alle Merkmale einer Religion. Es gibt mit R. Steiner einen Religionsstifter, der als Religionsverkünder eine geheime und metaphysische Lehre seinen Anhängern mitgeteilt hat. Er beschreibt darin sehr viel Übersinnliches in abstrusen und teilweise verstörenden Details. Engel, Elementarwesen und Dämonen komplettieren seinen imaginierten Kosmos. Auf der Erde bekämpfen sich böse luziferische und ahrimanische Kräfte. Entstehung und Entwicklung der Welt wird darin erklärt. Es gibt religiöse Handlungen wie Gebete und eine institutionelles Ausformung der religiösen Lehre durch die "Christengemeinschaft".
  • Steiners Schriften sind zum Teil von einem verstörenden Rassismus geprägt, amtlich bestätigt. "Zum anderen gab und gibt es immer wieder Lehrer, die dem rechtsradikalen Milieu und dessen rassistischen Vorstellungen zuzurechnen sind, dazu kommen Eltern mit diesem Hintergrund; die vielen Fälle sind schon irritierend." (H. Zander: Anthroposphie, 2019, S.251)
  • Ein kritisches Bewusstsein hinsichtlich Steiners Eurozentrismus und seinen Verschwörungsideologien ist bei Anthroposophen kaum ausgeprägt.
  • Ein Großteil der Anthroposophen hat bei den Nationalsozialisten begeistert mitgemacht. Die Anthroposophische Gesellschaft wurde nicht verboten, weil sie sich den Nazis entgegengestellt hätte. Die A. erwies sich sogar als anschlussfähig, konnte aber, wie viele andere Organisationen, von der totalitären NSDAP nicht geduldet werden.
  • Die Waldorfpädagogik arbeitet auf der Grundlage esoterischer Kategorisierungen (Wesensglieder, Hüllenanthropologie/ Jahrsiebtelehre, Temperamentenlehre etc.), die mit Entwicklungspsychologie oder wissenschaftlichen Methoden der Didaktik nichts gemein haben. Sie laufen auf unzulässige Vereinfachungen und ein Schubladenprinzip hinaus. "Die Waldorfschule ist keine Erziehung vom Kinde aus (…), sondern Unterricht vom Lehrer aus" (H. Zander: Die Anthroposphie, S. 253)
  • "Der tiefste Sinn des Erziehens ist, dass man dem Individuum auf dem Weg zur Vergeistigung beisteht." (Heiner Ullrich) - Man muss sich dann nicht wundern, dass nach neuesten Ermittlungen der Anteil der Schüler, die Nachhilfeunterrricht erhalten, um 45 Prozent höher ist als in anderen Schularten. Weniger Stress in Unter- und Mittelstufe wird also mit mehr Stress in der Oberstufe bezahlt.
  • Nachfolge und Autorität statt kritischem Denken. Letzteres ist nach anthroposophischer Lesart gesundheitsschädlich. Wie soll eine Pädagogik, in deren Zentrum der Glaube an okkulte übersinnliche Wahrheiten steht, zu einem rationalen Weltbild führen?
  • Demokratische Defizite: Pädagogische Elternverantwortung, Schülermitverwaltung: Fehlanzeige. Für die Eltern gilt nur: "Backen, Bauen, blechen". Betont wird dagegen die pädagogische Autonomie des Lehrerkollegiums. Das patriarchische System des immer gleichen Klassenlehrers über 8 Jahre hinweg.
  • Die Künste nehmen in Walddorfschulen zwar einen breiten Raum ein, man beraubt sie aber, vor allem in den unteren Klassen, durch reine Reproduktion des Künstlerischen. So kommt es vor allem in den bildenden Künsten häufig zu Kitsch, dem es am persönlichen Anteil der Schüler fehlt. Alle malen z.B. fast identische Schmetterlinge. (man konnte das kürzlich in TV-Beiträgen wieder sehen!) An der nächsten Waldorfschule sieht man dann die gleichen Schmetterlinge wieder. Man könnte meinen, man habe es mit einer Wanderausstellung zu tun. "Man musste es genauso zeichnen oder modellieren, wie es der Lehrer vormachte. Von freier Entfaltung keine Spur, die gibt es gerade nicht! Man darf keine Comics zeichnen. Dafür muss man Eurythmie machen" (Jan von Rennenkampff, ehemaliger Waldorfschüler, heute Schauspieler und Dramaturg)
  • Diese menschenverachtende Auffassung von Krankheit: Die Ursache dafür läge bei einem selbst .

"Aus einer kritischen Außenperspektive betrachtet, offenbart sich eine in vielen Punkten menschenverachtende Ideologie. Besonders die allgegenwärtige Implikation von Schuld durch die Karmalehre ist hier zu nennen." (André Sebastiani: Anthroposophie. Eine kurze Kritik. S. 163)

Neue Unübersichtlichkeit

Vorangestellt sei hier, dass es in vielen Bereichen an Waldorfschulen entgegen der Legende nicht besser aussieht als an Regelschulen. Das gilt insbesondere für das Problem des sexuellem Missbrauchs und bei Schülern für die Probleme mit Drogen, Alkohol, Nikotin, Gewalt und Sexualität. Nur dass man diese Problembereiche an Waldorfschulen um sehr viel später in den Blick nahm als an staatlichen Schulen.

Vielleicht sind Waldorfschulen gerade wegen des über Jahrzehnte gehegten Dogmatismus und der versäumten Reformen, die Schulen, in denen augenblicklich am meisten reformiert wird. Befürworter und Gegner von Reformen befinden sich derzeit, nach allem, was man so hört, in einem verbissenen Clinch.

"Waldorf hat das 20. Jahrhundert weitgehend dazu genutzt, um nicht darin anzukommen." (Rüdiger Iwan: Die neue Waldorfschule. Ein Erfolgsmodell wird renoviert. Rowohlt 2007) Alles sei dogmatisiert, selbst die Feste, die eigentlich den Raum der kreativen Feier bilden sollten.

Mit der Lehrerausbildung steht es nach wie vor schlecht. "Sie sei vielfach schlicht schlecht, gestehen hinter vorgehaltener Hand auch engagierte Waldorflehrer." (Zander, a.a.O., S.266) Didaktische Fachzeitschriften sucht man im Lehrerseminar vergeblich. Dafür Pädagogenausbildung des 19. Jahrhunderts, ohne jegliche Bindung an die etablierte Pädagogik. Sie erfüllt die in der deutschen Verfassung geforderten Standards nicht. Dafür singt man viel gemeinsam, malt, plastiziert und lernt, schöne Tafelbilder zu malen.

Jedoch: die autoritäre Matrix wackelt. Der hagiographische Umgang mit Steiner bröckelt. Ob das nachhaltige Folgen zeitigen wird, ist eine andere Frage.

Solange man sich aber nicht komplett von der Anthroposophie verabschiedet, und danach sieht es bislang eher nicht aus, bietet die Waldorfschule für Säkularisten keine ernsthafte Option.

In diesem Zusammenhang sei nochmals auf den hier zuletzt zitierten Autor André Sebastiani verwiesen: Anthroposophie. Eine kurze Kritik. (Alibri-Verlag 2019, 176 Seiten. 10 Euro). Sebastiani fasst die Kritikpunkte am anthroposophischen Lehrgebäude zusammen, untersucht ihren Einfluss auf die Politik und wirft einen Blick auf die sogenannten Praxisfelder, auf denen A. sich gesellschaftlich niederschlägt: Pädagogik, Medizin und Landwirtschaft. Die beiden letztgenannten Bereiche habe ich bisher bewusst ausgeklammert, obwohl auch hier essentielle Kritik angebracht ist.

Fazit:

Wenn sich also ein Verband von Humanisten des Themas einer Alternativ-Pädagogik annimmt, die nachweislich ihre autoritären Erziehungsmaximen mit einer mehr als fragwürdigen esoterischen Weltanschauung vermischt und dies nach außen hin nicht ohne weiteres erkennbar ist, so ist aufklärende Kritik von humanistischer Seite nicht nur angebracht, sondern notwendig. Erst recht, wenn es um religionskritisch eingestellte Humanisten geht.

Zuguterletzt muss hier noch definiert werden, was unter säkularem Humanismus zu verstehen ist.

Der neue Humanismus, den wir auch als evolutionären Humanismus bezeichnen können, stützt sich auf ein Weltbild, das sich konsequent auf wissenschaftliche Befunde bezieht. Der Mensch wird in diesem Weltbild nicht als "Krone der Schöpfung" gesehen, sondern als zufälliges, nicht beabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution. Vor allem ist der evolutionäre, säkulare Humanismus ergebnisoffen. Er muss sich parallel zum wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt weiterentwickeln. Es gibt für ihn keine Dogmen, keine geoffenbarten Schriften wie die Akasha-Chronik und erst recht keine (selbsternannten) Propheten wie Rudolf Steiner.

Ergo: Anthroposophisches Gedankengut hat mit humanistischen Werten rein gar nichts zu tun.

Siehe auch:

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