Waldorf-Pädagogik

Mit den Prinzipien eines säkularen Humanismus unvereinbar

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Das zweite Goetheanum in Dornach (1928 bis heute), Südansicht
Das zweite Goetheanum in Dornach (1928 bis heute), Südansicht

Es geht im folgenden Artikel beiläufig um die Auseinandersetzung mit Kritikern meiner bisherigen Artikel zum Themenkomplex Anthroposophie und Waldorf-Pädagogik. Vorrangig aber geht es um den Nachweis, dass es nach wie vor evidente Strukturen in der sich auf Steiner berufenden Pädagogik gibt, die es nahelegen, von einer sektenartigen Ordensschule mit Priestern als Lehrer zu sprechen. Und schließlich geht es um den Nachweis, dass sich die verdeckt angewendete Geheimlehre Rudolf Steiners in ihrer stark autoritären Ausprägung mit heutigen evolutionär-humanistischen Grundwerten nicht nur nicht verträgt, sondern anti-aufklärerische Tendenzen befördern hilft.

Anthropologie ist Wissenschaft, natürlich immer nur mit vorläufiger Gültigkeit. Es gibt nur Wissen auf Zeit. Anthroposophie hingegen ist Sekten-Ideologie eines Hellsehers (er nannte sich selbst so!) auf der Basis der von ihm allein "geschauten" Akasha-Chronik, einer Offenbarung also. Endziel: die endgültige, allgemeinverbindliche höhere Wahrheit und Einsicht schlechthin! In der Universität wird diskutiert und nicht "geschaut". Steiner jedoch verbietet sich jede Diskussion. So ist Anthroposophie, soziologisch gesehen dann doch mit Religionsgemeinschaften eng verwandt. Wahre Wissenschaft hat ganz ohne Anthroposophie Erkenntnisse gewonnen, von denen Steiner nicht mal träumen konnte. In wissenschaftlichen Debatten kommen Anthroposophen praktisch nicht vor.

Geistige Selbstkastration angesichts eines Hochgebirges an Mist? Das geht einfach nicht!

Über Rudolf Steiner und seinen überheblichen Anspruch einer okkulten Totalerfassung des Kosmos zu reden, wäre völlig obsolet, gäbe es da nicht die Ordensschule mit geheimem Lehrplan unter dem Tarnnamen Waldorf, wo Kinder, die das auch gar nicht durchschauen können, mit sehr befremdlicher Esoterik infiziert werden und wohin leider oft sehr unzulänglich oder einseitig informierte Eltern ihre zum Teil schwierigen Kinder "entsorgen".

Sehr bedenklich ist es, dass auch viele Außenstehende das zweifelhafte System dieser angeblichen Reformschule nicht durchschauen und unreflektiert das erfolgreich propagierte Image einer kindgemäßen Schul-Alternative kolportieren. Das geht bis in höchste politische Kreise. Die höchst unkritischen Gefälligkeits-Grußworte von Kretschmann, Gauck, Söder, Ramelow unter anderem zu 100 Jahre Waldorf belegen es.

Auch der Anfang September ausgestrahlte Fernsehbeitrag "Waldorf global" des SWR war dank der Autorin Esther Saoub, selbst auf vielen Ebenen mit der Waldorf-Welt verbunden, ein extrem peinliches Musterbeispiel an unkritischer Berichterstattung, zumal dies nicht explizit erwähnt wurde.

Selbst diese meine deutliche Ansage als Einleitung meiner Replik auf zum Teil erboste Leserkommentare ist noch keine Polemik. Sie ist lediglich das stark verkürzte Fazit jahrelanger Auseinandersetzung mit einer Esoterik-Variante namens Anthroposophie, persönlicher Erfahrung und dem Studium zahlreicher Fachbücher, zum Teil von Erziehungswissenschaftlern wie vor allem dem in Fachkreisen renommierten Klaus Prange. Man kann sich also schon fragen, wer hier eigentlich "keine Ahnung" hat.

Es käme einer geistigen Selbstkastration gleich, bei einer so umfangreichen Anhäufung von Steiner-Nonsens nicht irgendwann auch ironisch oder polemisch zu werden. Ich habe wirklich allein schon aus beruflichen Gründen sehr viel gelesen, aber solch ein Hochgebirge an Mist ist mir sonst nirgends begegnet. Man muss schon sehr versteinert sein, um Steiner als "Universalgelehrten" zu feiern, wie dies in einem der Leserkommentare zu meinem früheren Artikel zu lesen war.

Ich sprach oben von persönlicher Erfahrung. Dazu ein Beispiel: In meiner eigenen Verwandtschaft hat eine Frau auf Grund anthroposophischer "Erkenntnisse" die Beziehung mit ihren Eltern über 14 Jahre hinweg (bis zum Tod des Vaters) komplett abgebrochen, weil diese Schwarzmagier seien, die mehrfach versucht hätten, mit fernwirkenden Kräften nach ihrem Leben zu trachten. Sie begründete dies aus Steiners Schriften. Und diese Frau, ansonsten durchaus nicht auf den Kopf gefallen, war noch nicht mal Schülerin, sondern nur Sekretärin an einer Waldorfschule in Karlsruhe, wo sie mit ca. 35 Jahren gelandet war. Danach hatte sie sich im Stuttgarter Steiner-Seminar ausbilden lassen. Wenn eine Ausbildung selbst bei einem längst erwachsenen Menschen solche Folgen zeitigen kann, dann liegt es nahe, von Gehirnwäsche zu sprechen. Und so muss man sich fragen, welche Schäden das bei intellektuell wehrlosen Kindern haben könnte.

Jetzt aber bitte keine voreiligen Unterstellungen! Diese Erfahrung im Kreis der eigenen Verwandtschaft war nicht der Ausgangspunkt meiner entschiedenen Kritik an Anthroposophie. Sie hat mich in meiner schon längst ausgeprägten Anti-Esoterik-Haltung nur bestärkt und mich in meinem Engagement für Humanismus und Aufklärung zusätzlich motiviert.

Angriffe auf Vernunft und Freiheit

Mir wurde in den Leserkommentaren zu meiner Streitschrift unter anderem Intoleranz vorgeworfen. Ich muss diesen Vorwurf zurückweisen. Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht. Die unabdingbare Tugend der Toleranz hat auch ihre Grenzen. Für mich sind sie dort erreicht, wo ein geschlossenes Gedankengebäude als feststehende Wahrheit im öffentlichen Bereich, wie jede Schule einen darstellt, anderen, insbesondere sehr jungen Menschen subkutan in verdeckter Form eingeimpft wird. Egal, ob es sich um Religion, Esoterik oder eine Ideologie handelt. Was jeder privat für sich tut und denkt, muss und kann ich tolerieren. Ich kann jeden als Mensch respektieren. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich sein dezidiert auf Esoterik oder Religion gegründetes Welt- und Menschenbild respektieren muss. Irrationaler Mumpitz verdient keinen Respekt.

Mir ist natürlich wie den allermeisten von uns bewusst, dass es weit dringlichere Probleme gibt, deren katastrophale Ausläufer uns längst erreicht haben. Eine zur Heilslehre erhobene Pädagogik ist nur eines von vielen Erscheinungsphänomen einer weiteren Katastrophe, die sich schon länger schleichend ausbreitet, aber selten klar benannt wird. Es ist die zunehmende Anfälligkeit für Ersatzreligionen und Gegenaufklärung, gepaart mit Anti-Intellektualismus in vielfältiger Form.

Der Antiaufklärung "immanent ist auch die Gewöhnung an Autoritäten, den Heilsbringer, die Sakralen, die Propheten und Sterndeuter. Ohne Widerspruch können sie ihre gläubige Macht errichten. Der Rationalität spottend, bleiben sie der argumentativen Kritik verschlossen, sperren sich und ihre Gefolgschaft ein in der Welt der Irrlichter. (…) Kalter Kalkulation in der verpönten Welt des Realen wird die Flucht in die Welt des Geistes zur Seite gestellt. Parallel und unverbunden, niemals zueinander findend, wird hier die Grundlage der Manipulation gelegt, die an den Faschismus erinnert und erneut als dessen Wegbereiter gute Dienste erweisen könnte." (Thomas Geisen: Über Funktion und Gefahren von New Age, Esoterik und Anthroposophie. In: Die esoterische Verführung. S. 19)

Das daraus resultierende falsche Bewusstsein geht nicht auf eigene Autonomie zurück, sondern ist gleichsam einem Höheren entliehen. Der so entstandene Anspruch verleiht der Autorität Macht. "Als Verratene und Verkaufte auf dem falschen Weg zum Glück werden sie von den Autoritäten in die Spirale des ewig Geistigen gelenkt. Die Gläubigen werden zu Gefangenen ihrer selbst befördert."

Man sollte also nicht übersehen, dass es so manche Anschlussfähigkeit gibt zwischen Rechts-Esoterik, Klimawandel-Leugnern, Wissenschaftsfeindlichkeit, Verschwörungstheorien, Demokratie-Verächtern und der Anthroposophie. Der ausgeprägte Anti-Intellektualismus in der Steiner-Welt ist so eine gemeinsame Basis. Wer’s nicht glaubt, möge sich im Internet bei Youtube schlau machen und mal folgende Stichworte eingeben: Axel-Burkart-TV (bekennender Anthroposoph mit über 32.000 Abonnenten), Klagemauer.TV von Ivo Sasek (über 91.000 Abonnenten), nuoviso.tv. (185.000 Abonnenten) etc.

Pädagogik als nicht hinterfragbare Weltanschauung

Hierzu verweise ich vor allem auf Klaus Prange: Erziehung zur Anthroposophie. Darstellung und Kritik der Waldorfpädagogik. 3. Aufl. 2000. Er setzt sich in einer "Nachschrift" mit dem Titel "Zur Kritik der Waldorfkritik" mit den Apologeten von Anthroposophie und Waldorfpädagogik auseinander.

Ich fasse den Kern seiner Ausführungen hier zusammen: Er zitiert den Anthroposophen R. Winkel mit der Aussage: "Pädagogik ist mehr als Erziehungswissenschaft, ja in ihrer letzten Fundierung entzieht sie sich erziehungswissenschaftlicher Belege und Beweise." (In: "Sympathie und Distanz: Vierzig Jahre Erfahrungen mit der Waldorfpädagogik")

Mit anderen Worten: Es gibt gar kein rationales Fundament für die "Fundierungen", - damit ist immer die Steiner-Lehre gemeint - so dass es eigentlich ganz sinnlos sei, über sie zu streiten.

Die Anthroposophen stehen also über der "schlichten Auffassung" von wahr und falsch, von begründet und unbegründet.

Die Waldorfpädagogik beruht eben auf "Weltanschauung", und da lässt sich nun einmal nicht streiten. Wer dennoch das zur Sprache bringt, was die Anthroposophen und die Waldorfpädagogen aus ihrer übersinnlichen Erfahrung so alles berichten und womit sie für ihre Pädagogik argumentieren, wird zum Störenfried. Statt das Phänomen des Waldorferfolgs zu würdigen, wird sie, wie Otto Hansmann bemerkt, "oft in einen abstrus-mysthischen Kontext eingebettet, gestützt auf ungeprüfte sekundäre und oft auch zweifelhafte Quellen und damit unscharf bis unkenntlich gemacht." ("Anspruch und Begründung der Auseinandersetzung akademischer Pädagogik mit der Rudolf-Steiner-Pädagogik.")

Steinerianer berufen sich auf ein Sonderwissen. Man solle also die Zentrallehren der Anthroposophie als weltanschauliche Begleiterscheinung ohne weitere Konsequenzen behandeln. So stellt man die Steinersche Ideologie unter Denkmalschutz und bewahrt ein köstliches Geheimnis vor der ach so verständnislosen Außenwelt.

Diskussionspartner aus der Erziehungswissenschaft werten eine solche Haltung als unheilbare Krankheit.

„Waldorfschulen sind in ihrem Kern autoritär“ (Helmut Zander)

Zu dieser autoritär-hochnäsigen Haltung gibt es schon bei Steiner eine passgenaue Entsprechung im Umgang mit Waldorfschülern. Er kommt in der Lehrerkonferenz vom Januar 1923 auf "Weltanschauungsfragen" zu sprechen und betont, es sei von .... "großer Wichtigkeit, dass unsere Waldorfschuljugend abkommt von der Diskutiererei. Die Sache ist doch diese, dass wir so eine Stimmung erzeugen müssen: Der Lehrer hat etwas zu sagen, worüber wir nicht urteilen können und worüber wir nicht diskutieren. Das gehört dazu, sonst kommt es ins triviale Gebiet hinein. Eine eigentliche Diskutiererei bringt die Sache herunter. Es muss beim Fragestellen bleiben, und die Kinder, auch der 10. Und 11. Klasse, müssen das Bewusstsein haben, Sie alles zu fragen und die Antworten hinzunehmen."

Antworten sollen also hingenommen werden. Widerspruch und Kritik wird unterbunden. Insbesondere jede Form von Kulturkritik. Hier gilt Steiners Dogma von der Vorstellung der Kultur als "Durchgangsstadium" auf dem Weg zur Höherentwicklung der Menschheit. "Steiners Waldorfpädagogik ist alles andere als liberal, sie ist im Kern ausgesprochen autoritär", sagt Helmut Zander, Religionshistoriker und DER anerkannte Fachmann zu unserer Thematik. Und weiter: "Denn stressfrei bedeutet in der Waldorfpädagogik nicht antiautoritär, im Gegenteil. (…) So wie Steiner in der Esoterischen Schule der Hellsichtige, der Initiierte, der Lehrer war, so blieb er es auch in der Waldorfschule. Seine pädagogische Konzeption ist von dem Anspruch geprägt, dass Eingeweihte mi ihrem übersinnlichen Wissen über nicht demokratisierbare Erkenntnis verfügen. Dies ist des Pudels Kern. Und deshalb konzipierte er den Klassenlehrer als Priester." (H. Zander: Die Anthroposophie. Ferd. Schöningh 2019. S. 252)

Die von mir zitierten Waldorf-Kritiker kommen nicht einfach von außen, sondern hatten direkt oder indirekt mit Waldorfschulen zu tun: als Schüler, als deren Eltern, als Lehrer, als Erziehungswissenschaftler. Auf diese habe ich mich in erster Linie bezogen. Es ist auch bekannt, dass viele Kritiker lieber schweigen, weil sie sonst in ihrem Umfeld von Verwandten, Freunden und Bekannten, die oft auch Waldorfianer sind, beschimpft und isoliert würden.

Dass sich Waldorf-Apologeten und Anthroposophen bei Kritik meinungsstark und sogar militant bemerkbar machen, war mir hinlänglich bekannt. Damit habe ich gerechnet. Aber dass sich auch einzelne Mitglieder eines Humanistenverbandes aufgebracht bis aggressiv zu Wort melden, dass sie meinen, bei mir Respekt, Toleranz und Humanität anmahnen zu müssen und dem Geschäftsführer des Verbandes Vorwürfe machen, der einen so kritischen Artikel unter der Kategorie Streitschrift zugelassen hat, selbst aber gegen ihre eigenen Forderungen verstoßen, indem sie in ihrer Kritik zum Teil ziemlich persönlich werden, erscheint mir bedenklich. Hatte ich mir in meiner Naivität doch eingebildet, dass der Religion distanziert gegenüberstehende säkulare Humanisten auch mit Esoterik wenig am Hut haben sollten.

Selbstentlarvende Kritik an der Waldorfkritik

Kritiker, die eklektisch zusammengebastelte Wahnwelten mit mystischer Dekoration auch als solche benennen, sind demnach respekt- und herzlos, intolerant und inhuman? In den Worten einer Kommentatorin mit Waldorflehrerausbildung liest sich das dann so: "private Abrechnung (…) absolut einseitige, menschenverachtende, respektlose und unsachliche Darstellung (…) nicht mal Bildzeitungsniveau (…) eines versteinerten alten Herrn und Möchtegernhumanisten". Zudem sei ich ein Autor ohne "Basisinformation", mit "lauter aus dem Internet kopierte(n) Kommentare(n) anderer Waldorfhasser", ich hätte "keine Ahnung von Steiners humanistischen (sic!) fortschrittlichen Gedanken". Und dann versteigt sich Frau Becker zu der Aussage, meine Streitschrift sei "die Vorstufe von (geistiger) Gewalt." Oha! Derart persönlich habe ich umgekehrt noch keinen Waldorf-Vertreter runtergeputzt.

Mal ganz abgesehen davon, dass Streit gerade auch in diesen Zeiten wieder vielfach als konstituierendes Element jeder funktionierenden Demokratie angesehen wird und keineswegs als "Vorstufe von (geistiger) Gewalt", Erziehungsrichtlinien wie Hüllenanthropologie (Astral-, Ätherleib etc.), längst überholte Temperamentelehre, Inkarnationen, Karma, das angeblich untergegangene Atlantis im Geschichtsunterricht und das verordnete Durchleiden von Krankheiten ohne jeglichen ärztlichen Beistand zeugen also von "Steiners humanistischen fortschrittlichen Gedanken"?

Der große Humanist Steiner gab u.a. auch folgendes zu Protokoll, als es um "schwierige, verhaltensauffällige" Waldorfschüler ging: "Das sind diese Fälle, die immer häufiger vorkommen, dass Kinder geboren werden, die eigentlich in Bezug auf das höchste Ich keine Menschen sind, sondern die ausgefüllt sind mit nicht der Menschenklasse angehörigen Wesenheiten. (…) wo keine Reinkarnation vorliegt, sondern wo die Menschenform ausgefüllt wird von einer Art Naturdämon. (…) Man kann nicht eine Dämonenschule errichten." (GA, 300c, S.70)

Es finden sich bei Steiner neben vereinzelten humanistisch brauchbaren Aussagen zahllose solcher Gehirnblähungen. Hier wäre der neutralere Ausdruck Wahnvorstellung oder Kopfgeburt eine unzulässige Verniedlichung.

Besonders amüsant finde ich, dass besagte Kritikerin ihrem verehrten Herrn Steiner indirekt und ungewollt "nicht einmal Bildzeitungsniveau" bescheinigt, denn der zu ihrer Begründung herausgegriffene und von mir verwendete Ausdruck "Gedärm(krankheiten)" stammt von ihm: "Die Gedärmkrankheiten kommen sehr häufig von dem Unterricht in Grammatik."(so Steiner in einer Sonderkonferenz im Februar 1923, zit. nach Sybille-Christin Jacob: Aus der Waldorfschule geplaudert. Warum die Steiner-Pädagogik keine Alternative ist. 2. Aufl. 2004, S. 143)

Ich hatte lediglich versäumt, den Ausdruck "Gedärm" als Zitat auszuweisen, hatte ich doch als selbstverständlich vorausgesetzt, dass man mir ein solches Ausdrucksniveau nicht zuschreiben würde.

Nirgendwo wurde von mir behauptet, Esoterik sei "per se inhuman". Nirgendwo habe ich auch nur indirekt geschrieben, ein Atheist sei "ein besserer Mensch." Allenfalls würde ich mit Adorno sagen, "Esoterik ist die Metaphysik der dummen Kerle." Ein Atheist ist in der Regel ein freierer, unabhängigerer Geist, aber allein deshalb noch kein besserer Mensch.

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Statistiken, die das angeblich bessere Abschneiden von Waldorf-Abiturienten belegen, sind reine Augenwischerei, weil sie nichts aussagen über die überdurchschnittlich vielen vorzeitigen Abgänge und waldorfinterne Regelungen, durch die nur ein recht kleiner Teil der Schüler überhaupt zur Abiturprüfung zugelassen wird.

Außerdem seien meine Zitate "aus seinem riesigen Gesamtwerk aus dem Zusammenhang gerissen". Nun, ich denke, auf Zusammenhänge zwischen Entwicklungsstufen des Kindes und einer geschauten "planetarischen Evolution", zwischen der Art des Auftretens eines Kindes und seinem früheren Leben, zwischen Krankheiten und Verfehlungen in früheren Inkarnationen konnte ich großzügig verzichten.

Der oben schon erwähnte Kommentator schreibt, Steiner sei ein "Universalgelehrter", auf den eine "Fülle von Kostbarkeiten dreier Generationen zurückgeht".

Gut! Dann schauen wir mal. In einer Handreichung für Geschichtslehrer an Waldorfschulen finden wir z.B. folgende Kostbarkeit: "Napoleon (hat nach der) Mission des Buddha auf dem Mars vor der irdischen Inkarnation die Marssphäre durchlebt. (…) Er habe hierbei den 'Auftrag' erhalten, einen wesentlichen Beitrag zu einer friedlichen Einigung Europas zu leisten." (Lehrbuch von Karl Heyer: Die Französische Revolution und Napoleon)

Ich möchte dem Leser hier weitere "Kostbarkeiten" ersparen. Es sind so viele, dass sie noch keiner zählen wollte.

Es sollte übrigens auch zu denken geben, dass es zu keiner Reformpädagogik soviel kritische Literatur gibt wie zur Waldorfschule, deren relativ guter Ruf sich nicht nur auf Propaganda und Gefälligkeitsgutachten, sondern auch auf Gefälligkeits-Grußworte von schlecht oder einseitig informierten Politikern stützen kann. Allen voran wäre hier Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, zu nennen.

Nichts gegen Reformschulen, nichts gegen die Förderung handwerklicher und musischer Fähigkeiten, nichts gegen Alternativen zur Notengebung, nichts gegen einseitige Stoffhuberei und Lern-Boulimie, nichts gegen Gemeinschaftsschulen.

Aber um des lieben Humanismus willen doch bitte ohne esoterisches Hintergrundrauschen! Ein mittelalterlicher Mystizismus, ein religiöser Kult mit absolutem Wahrheitsanspruch, denn die Erkenntnis höherer Welten ist nicht verhandelbar, eine Lehre also, die sich nur insofern von anderen esoterischen Lehren unterscheidet, als sie zu einem alternativen Schulsystem transformiert wurde und zu allem Überfluss auch noch durch unser aller Steuergelder subventioniert wird, In BW mit 74 Prozent.

Der Waldorflehrer als Priester einer Ordensschule

Waldorfschulen sind, genau betrachtet, Ordensschulen mit Lehrern im Rang von Priestern, die Steiners geheimen Lehrplan umzusetzen haben. Steiner: "Der Erzieherberuf (werde sich) umwandeln lassen (…) zum ganz wahrhaften Priesterberuf" (GA 3104, S. 36 f.)

Jetzt höre ich meine Kritiker schon sagen: Ja, das mag der Steiner vor vielen Jahrzehnten mal geschrieben, aber …

Diesen Apologeten Steiners sei dies unterbreitet:

Erstens ist in einem Grundsatzdokument festgelegt, wonach sich alle Schulen weltweit richten müssen: "Jeder Lehrer verantwortet seinen Unterricht auf der Grundlage der anthroposophischen Menschenkunde." (Internationale Konferenz der Waldorfpädagogischen Bewegung (IK) hat während ihrer Sitzungen am 17. Mai 2015 in Wien sowie am 7. Mai 2016 in Arles das am 14. November 2014 in Harduf/Israel verabschiedete Dokument "Wesentliche Merkmale der Waldorfpädagogik" als verbindliche Orientierung für die weltweite Waldorfschulbewegung überarbeitet und erneut verabschiedet. - www.waldorf-international.org)

Zweitens identifizieren sich laut Erziehungswissenschaftler Heiner Ullrich Waldorflehrer zu 90 Prozent eher mehr als weniger mit der Anthroposophie. Diese lebt von dem Anspruch, universelles Wissen aus einer übersinnlichen Welt auf die Erde herabzuholen. So wird der Lehrer ganz eindeutig zum Priester.

Die Lehrer haben nach Steiner "die göttlichen Pläne mit der Welt zu verwirklichen, die Intentionen der Götter aus(zu)führen." (GA 300a, S.111)

Selbst der wahrlich nicht übermäßig religionskritische Deutschlandfunk überschrieb seinen Beitrag am 7. Sept. zu 100 Jahre Waldorfschule: "Der Lehrer als Priester". Und die Süddeutsche Zeitung betitelte ihren Beitrag zum gleichen Thema am gleichen Tag mit dem Zitat eines Mannes, der an drei Waldorfschulen unterrichtet hatte, ehe er sich entsetzt abwandte: "Waldorf hat den Charakter einer Sekte."

Exkurs: Warum Humanismus und anthroposophisch geprägte Pädagogik unvereinbar sind.

Esoterik ist ein Angriff auf Vernunft und geistige Freiheit. Angriffe auf die Vernunft sind unvereinbar mit aufgeklärtem Denken. Und von Steiner gibt es viele Aussagen, die freiem Denken keinen Spielraum lassen. So verlangt er z.B. von seinen Lehrern, dass sie seinen speziellen Erkenntnisweg durchlaufen und keinen anderen.

  • Anthroposophie in ihrem fundamentalistischen Welterklärungscharakter auf Basis einer nur von Steiner "geschauten" Akasha-Chronik ist mit humanistischen Prinzipien unvereinbar.
  • Die Anthroposophie trägt alle Merkmale einer Religion. Es gibt mit R. Steiner einen Religionsstifter, der als Religionsverkünder eine geheime und metaphysische Lehre seinen Anhängern mitgeteilt hat. Er beschreibt darin sehr viel Übersinnliches in abstrusen und teilweise verstörenden Details. Engel, Elementarwesen und Dämonen komplettieren seinen imaginierten Kosmos. Auf der Erde bekämpfen sich böse luziferische und ahrimanische Kräfte. Entstehung und Entwicklung der Welt wird darin erklärt. Es gibt religiöse Handlungen wie Gebete und eine institutionelles Ausformung der religiösen Lehre durch die "Christengemeinschaft".
  • Steiners Schriften sind zum Teil von einem verstörenden Rassismus geprägt, amtlich bestätigt. "Zum anderen gab und gibt es immer wieder Lehrer, die dem rechtsradikalen Milieu und dessen rassistischen Vorstellungen zuzurechnen sind, dazu kommen Eltern mit diesem Hintergrund; die vielen Fälle sind schon irritierend." (H. Zander: Anthroposphie, 2019, S.251)
  • Ein kritisches Bewusstsein hinsichtlich Steiners Eurozentrismus und seinen Verschwörungsideologien ist bei Anthroposophen kaum ausgeprägt.
  • Ein Großteil der Anthroposophen hat bei den Nationalsozialisten begeistert mitgemacht. Die Anthroposophische Gesellschaft wurde nicht verboten, weil sie sich den Nazis entgegengestellt hätte. Die A. erwies sich sogar als anschlussfähig, konnte aber, wie viele andere Organisationen, von der totalitären NSDAP nicht geduldet werden.
  • Die Waldorfpädagogik arbeitet auf der Grundlage esoterischer Kategorisierungen (Wesensglieder, Hüllenanthropologie/ Jahrsiebtelehre, Temperamentenlehre etc.), die mit Entwicklungspsychologie oder wissenschaftlichen Methoden der Didaktik nichts gemein haben. Sie laufen auf unzulässige Vereinfachungen und ein Schubladenprinzip hinaus. "Die Waldorfschule ist keine Erziehung vom Kinde aus (…), sondern Unterricht vom Lehrer aus" (H. Zander: Die Anthroposphie, S. 253)
  • "Der tiefste Sinn des Erziehens ist, dass man dem Individuum auf dem Weg zur Vergeistigung beisteht." (Heiner Ullrich) - Man muss sich dann nicht wundern, dass nach neuesten Ermittlungen der Anteil der Schüler, die Nachhilfeunterrricht erhalten, um 45 Prozent höher ist als in anderen Schularten. Weniger Stress in Unter- und Mittelstufe wird also mit mehr Stress in der Oberstufe bezahlt.
  • Nachfolge und Autorität statt kritischem Denken. Letzteres ist nach anthroposophischer Lesart gesundheitsschädlich. Wie soll eine Pädagogik, in deren Zentrum der Glaube an okkulte übersinnliche Wahrheiten steht, zu einem rationalen Weltbild führen?
  • Demokratische Defizite: Pädagogische Elternverantwortung, Schülermitverwaltung: Fehlanzeige. Für die Eltern gilt nur: "Backen, Bauen, blechen". Betont wird dagegen die pädagogische Autonomie des Lehrerkollegiums. Das patriarchische System des immer gleichen Klassenlehrers über 8 Jahre hinweg.
  • Die Künste nehmen in Walddorfschulen zwar einen breiten Raum ein, man beraubt sie aber, vor allem in den unteren Klassen, durch reine Reproduktion des Künstlerischen. So kommt es vor allem in den bildenden Künsten häufig zu Kitsch, dem es am persönlichen Anteil der Schüler fehlt. Alle malen z.B. fast identische Schmetterlinge. (man konnte das kürzlich in TV-Beiträgen wieder sehen!) An der nächsten Waldorfschule sieht man dann die gleichen Schmetterlinge wieder. Man könnte meinen, man habe es mit einer Wanderausstellung zu tun. "Man musste es genauso zeichnen oder modellieren, wie es der Lehrer vormachte. Von freier Entfaltung keine Spur, die gibt es gerade nicht! Man darf keine Comics zeichnen. Dafür muss man Eurythmie machen" (Jan von Rennenkampff, ehemaliger Waldorfschüler, heute Schauspieler und Dramaturg)
  • Diese menschenverachtende Auffassung von Krankheit: Die Ursache dafür läge bei einem selbst .

"Aus einer kritischen Außenperspektive betrachtet, offenbart sich eine in vielen Punkten menschenverachtende Ideologie. Besonders die allgegenwärtige Implikation von Schuld durch die Karmalehre ist hier zu nennen." (André Sebastiani: Anthroposophie. Eine kurze Kritik. S. 163)

Neue Unübersichtlichkeit

Vorangestellt sei hier, dass es in vielen Bereichen an Waldorfschulen entgegen der Legende nicht besser aussieht als an Regelschulen. Das gilt insbesondere für das Problem des sexuellem Missbrauchs und bei Schülern für die Probleme mit Drogen, Alkohol, Nikotin, Gewalt und Sexualität. Nur dass man diese Problembereiche an Waldorfschulen um sehr viel später in den Blick nahm als an staatlichen Schulen.

Vielleicht sind Waldorfschulen gerade wegen des über Jahrzehnte gehegten Dogmatismus und der versäumten Reformen, die Schulen, in denen augenblicklich am meisten reformiert wird. Befürworter und Gegner von Reformen befinden sich derzeit, nach allem, was man so hört, in einem verbissenen Clinch.

"Waldorf hat das 20. Jahrhundert weitgehend dazu genutzt, um nicht darin anzukommen." (Rüdiger Iwan: Die neue Waldorfschule. Ein Erfolgsmodell wird renoviert. Rowohlt 2007) Alles sei dogmatisiert, selbst die Feste, die eigentlich den Raum der kreativen Feier bilden sollten.

Mit der Lehrerausbildung steht es nach wie vor schlecht. "Sie sei vielfach schlicht schlecht, gestehen hinter vorgehaltener Hand auch engagierte Waldorflehrer." (Zander, a.a.O., S.266) Didaktische Fachzeitschriften sucht man im Lehrerseminar vergeblich. Dafür Pädagogenausbildung des 19. Jahrhunderts, ohne jegliche Bindung an die etablierte Pädagogik. Sie erfüllt die in der deutschen Verfassung geforderten Standards nicht. Dafür singt man viel gemeinsam, malt, plastiziert und lernt, schöne Tafelbilder zu malen.

Jedoch: die autoritäre Matrix wackelt. Der hagiographische Umgang mit Steiner bröckelt. Ob das nachhaltige Folgen zeitigen wird, ist eine andere Frage.

Solange man sich aber nicht komplett von der Anthroposophie verabschiedet, und danach sieht es bislang eher nicht aus, bietet die Waldorfschule für Säkularisten keine ernsthafte Option.

In diesem Zusammenhang sei nochmals auf den hier zuletzt zitierten Autor André Sebastiani verwiesen: Anthroposophie. Eine kurze Kritik. (Alibri-Verlag 2019, 176 Seiten. 10 Euro). Sebastiani fasst die Kritikpunkte am anthroposophischen Lehrgebäude zusammen, untersucht ihren Einfluss auf die Politik und wirft einen Blick auf die sogenannten Praxisfelder, auf denen A. sich gesellschaftlich niederschlägt: Pädagogik, Medizin und Landwirtschaft. Die beiden letztgenannten Bereiche habe ich bisher bewusst ausgeklammert, obwohl auch hier essentielle Kritik angebracht ist.

Fazit:

Wenn sich also ein Verband von Humanisten des Themas einer Alternativ-Pädagogik annimmt, die nachweislich ihre autoritären Erziehungsmaximen mit einer mehr als fragwürdigen esoterischen Weltanschauung vermischt und dies nach außen hin nicht ohne weiteres erkennbar ist, so ist aufklärende Kritik von humanistischer Seite nicht nur angebracht, sondern notwendig. Erst recht, wenn es um religionskritisch eingestellte Humanisten geht.

Zuguterletzt muss hier noch definiert werden, was unter säkularem Humanismus zu verstehen ist.

Der neue Humanismus, den wir auch als evolutionären Humanismus bezeichnen können, stützt sich auf ein Weltbild, das sich konsequent auf wissenschaftliche Befunde bezieht. Der Mensch wird in diesem Weltbild nicht als "Krone der Schöpfung" gesehen, sondern als zufälliges, nicht beabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution. Vor allem ist der evolutionäre, säkulare Humanismus ergebnisoffen. Er muss sich parallel zum wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt weiterentwickeln. Es gibt für ihn keine Dogmen, keine geoffenbarten Schriften wie die Akasha-Chronik und erst recht keine (selbsternannten) Propheten wie Rudolf Steiner.

Ergo: Anthroposophisches Gedankengut hat mit humanistischen Werten rein gar nichts zu tun.

Siehe auch:

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