Im Auge eines sterbenden Pferds spiegelt sich die Welt. Eine Welt aus Schlamm und Nacht, Erschöpfung, Verrohung und Qual. Inmitten des Zweiten Weltkrieges. Davon handelt Claude Simons nun erstmals ins Deutsche übersetzte Novelle "Das Pferd", in der ein Tier stirbt und der Glaube. Die Geschichte beruht auf wahren Kriegserfahrungen.
26-jährig notierte Claude Simon als Dragoner am 15. September 1940, was 1958 das Herzstück seiner Novelle ausmachen würde: "Agonie des Pferds. Sammlung (?)/ Konzentration des Pferds auf sich selbst, ins Innere seines untheatralischen Leidens. Das Auge gleichsam nach Innen blickend. Erinnerung an eine menschliche Agonie. Das Tier und der Mensch treffen aufeinander, wenn der Körper sei es aus Freude, aber eher durch Leiden die Vorherrschaft übernimmt."
In dem Auge des Pferds spiegeln sich die Soldaten um es herum. Auch ihr eigenes Schicksal. Die bäuerlichen Kameraden werden darauf zum Begräbnis einen Kreis um es bilden, als gälte es, die Totenklage für einen Menschen abzuhalten. 48 Stunden und einen Halt einer Armeeeinheit in einem Dorf umfasst die Geschichte.
Sie erzählt von einem kranken Pferd und einem kranken Freund, dem Juden Maurice. Von der Sehnsucht des Erzählers nach einer Frau dort, "weiß wie Milch", die doch, so sagen die Dörfler, "trächtig" war "wie eine Stute", geschwängert von ihrem Bruder – eine Konstellation wie in einer Tragödie von Aischylos lässt.
Durch den Tod des Pferds, das schließlich ihnen allen das Wissen voraus hat, dass "danach" nichts ist, werden die Bauern-Soldaten mit hineingerissen in einen Strudel, der aus ihnen "Gorillas" macht, mit hilflos herabhängenden riesigen Armen, Tiere. So sieht Ohnmacht aus: Die Zuschreibungen vermischen sich. Menschliches und Tierisches.
Fast 60 Jahre mussten vergehen, bis diese Novelle ins Deutsche übertragen wurde. Über einen Haufen Menschen, die der Krieg durch die schier unerträgliche Belastung auf die reine Körperlichkeit zu reduzieren droht. Sie ertragen alles, wie jenes geschundene Pferd.
Doch die Idee des Todes bleibt dem jungen Ich-Erzähler unerträglich. Absurde, respektlose Dialoge zwischen ihm und dem Juden, der sein Schicksal vorausahnt, konterkarieren die tastend langen Sätze, in denen die Sprache in der Nacht der Sinne Halt sucht.
Sie finden sich nicht ab, sie lästern und sie machen ihren Frieden nicht mit dem "Jesulein mit Rosenwasser", vor dem die Menschen keinen Respekt haben, die nicht aufhören zu morden, und nicht mit dem Gott der Juden, "gemein wie keiner". "Aber wie soll sich bei einem Gott, der alles versteht, die Welt nicht ermorden?", bringt Maurice am Ende trotzig vor.
Eine Erzählung aus einer noch längst nicht vergangenen Zeit. Heute wieder akut in der Ukraine, in Syrien oder dem Jemen.
Claude Simon: "Das Pferd", aus dem Französischen von Eva Moldenhauer, mit einem Nachwort von Mireille Calle-Gruber, Berenberg Verlag Berlin 2017, 77 S., 22 Euro