Mikael Vogels Requiem auf Riesengürteltier, Guam-Fliegenschnäpper & Co.

"Elegie für balancierende Elefanten"

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Bei Halle ausgegrabener Sabelzahntiger - Ausstellung im Berliner Naturkundemuseum.
Bei Halle ausgegrabener Sabelzahntiger

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Bei Halle ausgegrabener europäischer Riesenhirsch - Ausstellung im Berliner Naturkundemuseum.
Bei Halle ausgegrabener europäischer Riesenhirsch - Ausstellung im Berliner Naturkundemuseum.

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Bei Halle ausgegrabener europäischer Waldelefant - Ausstellung im Berliner Naturkundemuseum.
Bei Halle ausgegrabener europäischer Waldelefant - Ausstellung im Berliner Naturkundemuseum.

Sechseinhalb Jahre schrieb Mikael Vogel an seinem jüngsten Gedichtband "Dodos auf der Flucht", dessen Protagonisten Tiere sind, die es nicht mehr gibt. Diesen immensen imaginären Raum voller Abwesenheiten entdeckte er über die Paläontologie. Andere der Verschwundenen sind Opfer menschlicher Gier oder Achtlosigkeit.

Über ausgestorbene Tiere kann man durchaus sehr sinnlich schreiben: "Lebtest wenige Wochen Mitte März bis / Mitte April, vom ersten Anfang an suchtest du schillernd blau / Mit Wimpernaufschlägen erregter weißer Punkte auf deinen Flügelunterseiten/ Die sich verwischenden violetten Lidstriche auf den braunen Flügeln deiner Frauen", dichtet Mikael Vogel "An den Xerxes-Bläuling".

Mikael Vogel
Mikael Vogel

Was mit der Betrachtung von Knöchelchen, aufgespießten Schmetterlingen und Vogelbälgern in den Naturkundemuseen begonnen haben mag, weitet sich zu einem beeindruckenden poetischen Panorama des unwiederbringlich Vergangenen. Vogel nähert sich den, wie er es sagte, "unmöglichen Lebensentwürfen" wie mit dem Blick auf ein Fotonegativ. Er lenkt den Blick auf den Abdruck, die Spur des Lebendigen. Das kann kurz und knapp so klingen: "Das Riesen-Aye-Aye// Übrig / Blieben: Vier Schneidezähne / Ein Schienbein / Einige postcraniale / Unruhe". Oder so: "Der Fidschi-Sturmvogel // 129 Jahre nach seiner einzigen Sichtung / Flog er einem Naturschützer gegen den Kopf".

Mikael Vogel verleiht denjenigen eine Stimme, die es nicht mehr gibt, evoziert eine Erinnerungskultur des Lebendigen. Sein fantastischer Gedichtband handelt von den Sonderlingen unter den Tieren, den Verlierern der Evolution oder der Begegnung mit den Menschen und der Globalisierung. Die größte Vielfalt, merken wir anhand der Lehrgedichte fast Lukrez'scher Tradition, entsteht auf Inseln, die aber auch die tödliche Gefahr bergen, dass es von ihnen kein Entkommen gibt (Inseln gibt es auch im übertragenen Sinne).

Den Dichter faszinieren bereits die Namen, welche die Eingeborenen den Vögeln lautmalerisch gaben. Sie allein ergäben aneinandergereiht schon ein Gedicht: der Kana'I-Ō', der Kākāwahie, der große 'Amakahi, allesamt einst auf Hawaii durch die üppigen smaragdgrün schimmernden Wälder streichend und nun verloren für immer. Er habe, schreibt der 1975 Geborene im abschließenden Essay, mit seiner Stimme nicht die der Tiere überlagern wollen; so entstanden oft knappe Notate, dann wieder tendieren manche Zeilen hin zur Fabel oder Science Fiction, denn auch das Einhorn und der Roboterhund dürfen nicht fehlen. In den Fokus der Vision gerät ebenso Antikes, wie der Riesenstrauß, auf dem die Pharaonin Asinoë auf einem Relief dargestellt ist, wie selten noch Lebendes, etwa die "Kurzhaubenelfe", "zwei Gramm Sonne verkleidet als Kolibri / Laut den Maya unaufhörlich den Mond zu verführen suchend".

Cover

Wenn Vogel über die Salomon-Erdtaube dichtet: "Niemand wusste wie du / Ende der tropischen Nacht deinen Kamm zu tragen", um das Gedicht zu beschließen mit "… die Sterne aber / Flüsterten deinen Namen", dann schwant dem Leser, dass neben dem Tier von der tragischen Geliebten in Vogels vorausgehendem Gedichtband die Rede ist. In "Massenhaft Tiere", der Titel ist selbstredend, verwoben sich Klagegedichte über Tierleid mit verstörend surrealen Liebesgedichten, die der Schrecken angesichts der in der menschlichen Psyche eingeschriebenen "wilden" Destruktivität miteinander verband.

Vogels eben erschienener Gedichtband ist in Zeitkapseln gegliedert, Etappen der Evolution auf den ersten Blick, doch zählt Vogel sie rückwärts – ein Count-down wie beim Raketenstart. Der für das Aussterben mancher von Vogel besungener Tierarten läuft noch. So für die Vaquitas, Zwergwale vor den Küsten Kaliforniens und der Baja California, für deren verbleibende 30 noch lebende Exemplare nach der letzten Zählung bei einer Generationeneinbruchsquote von 94 % pro Jahr von den Forschern als Aussterbejahr 2018 angenommen wird. Gewöhnlich weigern die letzten überlebenden Exemplare einer Art es, sich zu begatten.

Mikael Vogel: "Dodos auf der Flucht", Illustrationen Brian R. Williams, Verlagshaus Berlin, Berlin 201, 243 S., 15,90 Euro
Mikael Vogel: "Massenhaft Tiere", Verlagshaus Berlin, 2. Auflage Berlin 2016, 99 S., 15,90 Euro