David Lindo beobachtet Vögel in Städten rund um die Welt

"Berlin – Hauptstadt der Habichte"

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Das Blässhuhn (Fulica atra) ist auch in Städten anzutreffen
Blässhuhn (Fulica atra)

Nicht nur rund um den Prenzlauer Berg gibt es einen neuen Trend. Vogelbeobachten ist schick geworden. Besonders in der Stadt. Aus gutem Grund. Mitunter ist es leichter, selten gewordene Vögel in der Stadt zu finden als auf dem Land. David Lindo erzählt davon in seinem Buch "#URBAN BIRDING". Er beobachtet Vögel rund um die Welt, in England, seinem Heimatland, darüber hinaus in Europa, aber auch in Addis Abeba oder in Nairobi.

Global passen die Vögel sich uns an. Nicht immer sind sie die Verlierer. Nicht nur Moskaus Hunde verstehen es, die U-Bahn selbstständig zu benutzen. Genauso Londons Tauben. Offenbar wissen sie, wo sie ein- und aussteigen müssen. Für ihren phänomenalen Orientierungssinn waren sie ja schon immer berühmt. Aber auch die Nachfahren entflohener Halsbandsittiche vermehren sich mittlerweile in London in stattlichen Kolonien. Auch sie brachte der Mensch in die Städte. Ganz anders die Sumpfohreule auf dem Gelände des Olympia-Parks. Sie gehört mittlerweile dauerhaft zum Vogel-Bestand in London. Sie fand allein hierher. Oder hat sie einfach in irgendwelchen Parks der Stadt zäh überdauert?

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Im Schatten Lissabons Vasco-da-Gama-Brücke beobachtete der Brite mit haitianischen Wurzeln Hunderte von Rosaflamingos. Knapp 5000 überwintern am Tejo. Am Abend hörte er in der pastellfarbenen Stadt am Meer Ziegenmelker, Nachtschwalben, schnurren.

In Paris entdeckte er am Ufer der Seine einen Eisvogel unmittelbar neben der Notre-Dame. In Brüssel werden vom Rathausturm aus schon Wespenbussarde und Rohrweihen gesichtet. Lindo beobachtete, als er dort auf die Straßenbahn wartete, gleichzeitig einen Mäusebussard, ein Sperberpaar und einen Habicht im Aufwind jagen und treiben.

In Stuttgart traf er sich mit engagierten Bürgern, die seit Jahren die auf einen Bestand von 91 Paaren angewachsene Steinkauzpopulation pflegen. Als Welthauptstadt der Habichte kann Berlin gelten. Etwa 120 Brutpaare wurden gezählt, 80 davon in der Stadt selbst. Auch 15 Kolkrabenpaare nisten hier. Noch vor zehn Jahren kamen sie in der deutschen Hauptstadt nicht vor.

Die Hauptstadt der Spechte scheint dagegen Prag zu sein. Selbst einen als scheu geltenden Schwarzspecht sah der Autor vor den Toren der Stadt knapp über seinem Kopf fliegen.

In Istanbul ist die schiere Menge der durchziehenden Vögel überwältigend, wenn auch ihre Anzahl besorgniserregend abnimmt. Immerhin wurden vor kurzem noch mehrere tausend Schreiadler gleichzeitig von einem türkischen Ornithologen fotografiert.

Müllberge und Latrinen – sie erweisen sich für die Vögel als Segen. Marabus und Störche stolzieren über die Plastikgebirge der kenianischen Metropole Nairobi unmittelbar neben dem größten Slum der Welt, der eine Million Menschen beherbergt. In Addis Abeba ziehen öffentliche Latrinenplätze zunächst die Fliegen an und in ihrer Folge die Vögel, häufig Zugvögel – wie unsere heimischen Sänger – , aber auch beachtliche Vorkommen an dort heimischen Rotrückenwürgern oder Neuntötern. Auch Schwarzmilane sind nicht nur hier, sondern global unterdessen zu allgegenwärtigen Vögeln der Abfalllandschaften geworden.

David Lindo plädiert dafür, alles für möglich zu halten, auch die unwahrscheinlichste Sichtung. Dabei sollte so ein Vogelbeobachter sich zunächst nicht nach Merkmallisten richten als vielmehr auf die Bewegung, die Gesamterscheinung achten. Gern treten manche Arten immer wieder in Gesellschaft mit bestimmten anderen zusammen auf. Dann muss der Birder blitzschnell überlegen, welche Vogelart in Frage kommt, Möglichkeiten erwägen und ausschließen. Kurz, so ein Vogelbeobachter muss wie ein guter englischer Empirist der klassischen Schule sein, wie ihn sich David Hume vorstellt, oder wie Zadig, der Protagonist des gleichnamigen philosophischen Romans des Aufklärers Voltaire. Vogelbeobachten ist also auch eine Schule des Denkens.

David Lindo: "#URBAN BIRDING", aus dem Englischen von Anne-Christin Kramer und Jenny Merling, Franckh-Kosmos Verlag Stuttgart 018, 347 S. 20,00 Euro