David Humes Essays über Suizid und Seele noch heute aktuell

Suizid – kein Widerspruch zur Ordnung der Natur

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David Hume (1711 - 1776), Porträt von Allan Ramsay
David Hume (1711 - 1776)

Kann Suizid ein Vergehen sein? Zur Beantwortung dieser Frage gehörte die Frage nach der Sonderstellung des Menschen im Universum. Was hat es mit der menschlichen Seele auf sich? In ethischen Debatten können die Argumente des britischen Empiristen David Hume, posthum 1777 erschienen, noch heute eine Argumentationshilfe sein. Reclam hat "Über den Freitod" und "Über die Unsterblichkeit" neu aufgelegt.

Bereits 1745 war eine Bewerbung Humes um eine Professur wegen Atheismusvorwürfen negativ beschieden worden. Stattdessen wird Hume Tutor des geistesgestörten Marquis of Annandale. Schon 1755 unternimmt die Kirche Schottlands Versuche, David Hume zu exkommunizieren. Erfolglos. 1761 werden jedoch sämtliche Schriften David Humes vom Vatikan auf den Index gesetzt. Dabei waren seine brisantesten Essays "Of Suicide" und "Of the Immorality of the Soul" erst nach seinem Tod erschienen – und Hume starb zur großen Enttäuschung seiner religiösen Gegner in völliger Seelenruhe.

Mal spricht Hume von der Ordnung der Natur, an anderer Stelle von der Vorsehung. Auf jeden Fall könne der Mensch sich mit einem Suizid nicht gegen die Ordnung Gottes auflehnen. Bestünde sie doch aus dem Naturgeschehen einerseits und schließe andererseits mit ein, dass der Mensch mit seinem Willen und seinen Entscheidungen den Verlauf der Geschehnisse ändern könne. Dabei erscheinen Ordnung der Natur und Ordnung Gottes seltsam eins, unspektakulär, und als sei dies gar nichts besonderes.

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Von welch einem Gott ist in David Humes Schrift "Über den Freitod" die Rede? Einem, in dessen Ordnung dem Menschen keine Vorrangstellung zukommt. "Alle Lebewesen sind im Hinblick auf ihr Verhalten in der Welt mit der ihr eigenen Umsicht und Geschicklichkeit betraut und haben die volle Autorität, soweit ihr Einfluss reicht, sämtliche Wirkweisen der Natur zu verändern." Darin macht der Mensch keine Ausnahme, heißt es. "Das Leben eines Menschen hat für das Universum jedoch keine größere Bedeutung als das einer Auster", schrieb der schottische Philosoph mit unerschütterlicher Selbstverständlichkeit in seinem Essay "Über den Freitod" dann schon damals. Auch weil dem Menschen keine Vorrangstellung zukomme, kann der Suizid also keinen Widerstand gegen die Ordnung des Universums sein – gegen die Ordnung Gottes oder der Natur.

An den anderen Lebewesen sehen wir, wie sie vergehen, wenn ihre Körper sich auflösen. Warum sollte es sich mit dem Menschen anders verhalten, überlegt David Hume. Selbst wenn der Mensch eine Seele habe, welchen Grund haben wir, zu meinen, dass der Geist sich in dieser Hinsicht so ganz anders verhalte? "Zweifellos fühlen, denken Tiere, wollen, hassen Tiere, und zweifellos schlussfolgern sie sogar wie ein Mensch, jedoch in einer unvollkommeneren Weise. Sind ihre Seelen dann auch immateriell und unsterblich?" spannt David Hume den Bogen und dämpft die menschliche Hybris, mit der dem Menschen mit dem Suizid eine besondere Schuldfähigkeit zugeschrieben werde. "Die Kräfte des Menschen sind, wenn sie in dessen Leben betrachtet werden, im Verhältnis zu ihren Bedürfnissen genauso wenig überlegen wie die der Füchse und Hasen im Verhältnis ihrer und zu ihrer Lebenszeit", schreibt Hume in seinem Essay "Über die Unsterblichkeit der Seele".

Der Mensch ist also nicht mit einer prinzipiell anderen Art von Seele ausgestattet. Sie ist vergänglich wie die von Fuchs und Hase. In beiden Fällen, betreffs des Suizids, aber auch bei der Untersuchung, was es mit der menschlichen Seele auf sich habe, rekurriert David Hume auf das Argument, dass zwischen Mensch und Tier kein wesentlicher Unterschied besteht. So unspektakulär, so niedrigschwellig dargelegt haben diese Gedanken ihre Gültigkeit nicht verloren. Und so viel britisches Understatement kann der derzeitigen Debatte nur gut tun.

Seit Hume müssen wir immerhin auch akzeptieren, dass sich die Verknüpfung von Ursache und Wirkung allein in unserem Kopf abspielt und der Glaube an die Naturgesetze nicht mehr ist als das Vertrauen, dass sich die Natur auch morgen mit derselben Regelmäßigkeit verhalte wie heute.

David Hume: "Über den Freitod" und "Über die Unsterblichkeit der Seele", Zwei Essays in der Reihe "Was bedeutet das alles", aus dem Englischen von Holger Hanowell, Reclam Verlag Stuttgart 2018, ISBN: 978-3-15-019471-3, 64 S., 6,00 Euro