Kann Suizid ein Vergehen sein? Zur Beantwortung dieser Frage gehörte die Frage nach der Sonderstellung des Menschen im Universum. Was hat es mit der menschlichen Seele auf sich? In ethischen Debatten können die Argumente des britischen Empiristen David Hume, posthum 1777 erschienen, noch heute eine Argumentationshilfe sein. Reclam hat "Über den Freitod" und "Über die Unsterblichkeit" neu aufgelegt.
Bereits 1745 war eine Bewerbung Humes um eine Professur wegen Atheismusvorwürfen negativ beschieden worden. Stattdessen wird Hume Tutor des geistesgestörten Marquis of Annandale. Schon 1755 unternimmt die Kirche Schottlands Versuche, David Hume zu exkommunizieren. Erfolglos. 1761 werden jedoch sämtliche Schriften David Humes vom Vatikan auf den Index gesetzt. Dabei waren seine brisantesten Essays "Of Suicide" und "Of the Immorality of the Soul" erst nach seinem Tod erschienen – und Hume starb zur großen Enttäuschung seiner religiösen Gegner in völliger Seelenruhe.
Mal spricht Hume von der Ordnung der Natur, an anderer Stelle von der Vorsehung. Auf jeden Fall könne der Mensch sich mit einem Suizid nicht gegen die Ordnung Gottes auflehnen. Bestünde sie doch aus dem Naturgeschehen einerseits und schließe andererseits mit ein, dass der Mensch mit seinem Willen und seinen Entscheidungen den Verlauf der Geschehnisse ändern könne. Dabei erscheinen Ordnung der Natur und Ordnung Gottes seltsam eins, unspektakulär, und als sei dies gar nichts besonderes.
Von welch einem Gott ist in David Humes Schrift "Über den Freitod" die Rede? Einem, in dessen Ordnung dem Menschen keine Vorrangstellung zukommt. "Alle Lebewesen sind im Hinblick auf ihr Verhalten in der Welt mit der ihr eigenen Umsicht und Geschicklichkeit betraut und haben die volle Autorität, soweit ihr Einfluss reicht, sämtliche Wirkweisen der Natur zu verändern." Darin macht der Mensch keine Ausnahme, heißt es. "Das Leben eines Menschen hat für das Universum jedoch keine größere Bedeutung als das einer Auster", schrieb der schottische Philosoph mit unerschütterlicher Selbstverständlichkeit in seinem Essay "Über den Freitod" dann schon damals. Auch weil dem Menschen keine Vorrangstellung zukomme, kann der Suizid also keinen Widerstand gegen die Ordnung des Universums sein – gegen die Ordnung Gottes oder der Natur.
An den anderen Lebewesen sehen wir, wie sie vergehen, wenn ihre Körper sich auflösen. Warum sollte es sich mit dem Menschen anders verhalten, überlegt David Hume. Selbst wenn der Mensch eine Seele habe, welchen Grund haben wir, zu meinen, dass der Geist sich in dieser Hinsicht so ganz anders verhalte? "Zweifellos fühlen, denken Tiere, wollen, hassen Tiere, und zweifellos schlussfolgern sie sogar wie ein Mensch, jedoch in einer unvollkommeneren Weise. Sind ihre Seelen dann auch immateriell und unsterblich?" spannt David Hume den Bogen und dämpft die menschliche Hybris, mit der dem Menschen mit dem Suizid eine besondere Schuldfähigkeit zugeschrieben werde. "Die Kräfte des Menschen sind, wenn sie in dessen Leben betrachtet werden, im Verhältnis zu ihren Bedürfnissen genauso wenig überlegen wie die der Füchse und Hasen im Verhältnis ihrer und zu ihrer Lebenszeit", schreibt Hume in seinem Essay "Über die Unsterblichkeit der Seele".
Der Mensch ist also nicht mit einer prinzipiell anderen Art von Seele ausgestattet. Sie ist vergänglich wie die von Fuchs und Hase. In beiden Fällen, betreffs des Suizids, aber auch bei der Untersuchung, was es mit der menschlichen Seele auf sich habe, rekurriert David Hume auf das Argument, dass zwischen Mensch und Tier kein wesentlicher Unterschied besteht. So unspektakulär, so niedrigschwellig dargelegt haben diese Gedanken ihre Gültigkeit nicht verloren. Und so viel britisches Understatement kann der derzeitigen Debatte nur gut tun.
Seit Hume müssen wir immerhin auch akzeptieren, dass sich die Verknüpfung von Ursache und Wirkung allein in unserem Kopf abspielt und der Glaube an die Naturgesetze nicht mehr ist als das Vertrauen, dass sich die Natur auch morgen mit derselben Regelmäßigkeit verhalte wie heute.
David Hume: "Über den Freitod" und "Über die Unsterblichkeit der Seele", Zwei Essays in der Reihe "Was bedeutet das alles", aus dem Englischen von Holger Hanowell, Reclam Verlag Stuttgart 2018, ISBN: 978-3-15-019471-3, 64 S., 6,00 Euro
11 Kommentare
Kommentare
Andreas Lichte am Permanenter Link
Hume ist "der Liebling" von Bertrand Russell, in "Philosophie des Abendlandes" ist er wohl der einzige Philosoph, dem Russell wirklich "Respekt erweist" ... vor allem deshalb:
Zitat Simone Guski: "... der Glaube an die Naturgesetze nicht mehr ist als das Vertrauen, dass sich die Natur auch morgen mit derselben Regelmäßigkeit verhalte wie heute."
"Der Mann, der das Huhn tagtäglich gefüttert hat, dreht ihm zu guter Letzt das Genick um und beweist damit, daß es für das Huhn nützlicher gewesen wäre, wenn es sich etwas subtilere Meinungen über die Gleichförmigkeit der Natur gebildet hätte."
Bertrand Russell, "Probleme der Philosophie"
Junius am Permanenter Link
„Seit Hume müssen wir immerhin auch akzeptieren, dass sich die Verknüpfung von Ursache und Wirkung allein in unserem Kopf abspielt und der Glaube an die Naturgesetze nicht mehr ist als das Vertrauen, dass sich die Nat
Müssen wir das, oder wissen wir nicht mittlerweile, daß das, was wir Naturgesetze nennen, nichts anderes sind als die Beschreibung von Zusammenhängen, die auch dann bestehen, wenn wir nicht an sie glauben?
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Junius
es geht um das "Induktionsproblem" ... eine lustige "Problembeschreibung" von Bertrand Russell habe ich in meinem Kommentar, oben, wiedergegeben.
Uwe Wüstenhagen am Permanenter Link
Im ersten Abschnitt hieße der korrekte Originaltitel "Of the Immortality of the Soul".
"Immorality" ist allerdings ein besonders hübscher (freudscher?) Verschreiber. ;-)
Kay Krause am Permanenter Link
GOTT mit allem seinem himmlischen Zubehör ist - genau so wie die SEELE - eine menschliche Erfindung für etwas Unerklärliches.
Wäre Gott nicht erfunden worden, benötigten wir auch nicht dieses ungeheure und teure Aufgebot an Bodenpersonal, welches mit Hilfe seiner Intelligenz nur Dummheit verbreitet und dafür auch noch von der verdummten Menschheit fürstlich entlohnt wird!
Und wenn dieser Phantasie-Geist nicht erfunden worden wäre, dann müßte ich auch gar kein Atheist sei, weil mein Atheismus dann völlig überflüssig wäre!
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Kay Krause
"Und wenn dieser Phantasie-Geist nicht erfunden worden wäre, dann müßte ich auch gar kein Atheist sei, weil mein Atheismus dann völlig überflüssig wäre!"
Atheismus („ohne Gott“) bezeichnet die Abwesenheit oder Ablehnung des Glaubens an Gott bzw. Götter (Theismus). Das ist doch völlig unabhängig davon, was ANDERE glauben ...
Im engeren Sinne könnte man vielleicht wirklich sagen, dass der Atheismus "überflüssig" ist, da er ja nichts in die Welt setzt ...
Kay Krause am Permanenter Link
Gut gebrüllt, lieber Andreas Lichte! Aber was wollten Sie mir damit nun eigentlich sagen?
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Kay Krause
ich bin doch ganz leise ... warum muss man seinen Atheismus eigentlich laut in die Welt hinausposaunen – wie die Trompeten von Jericho? – und das als "Kampf" bezeichnen?
Hier mal zum Vergleich ein Statement eines Atheisten ...:
https://it.wikipedia.org/wiki/Nanni_Moretti
"Nanni Moretti è ateo, ma preferisce la dizione «non credente». Il 13 maggio 2011, dopo la presentazione del suo film «Habemus Papam», durante l'incontro con la stampa ha dichiarato «non sono credente e mi dispiace»."
"Nanni Moratti ist Atheist, aber bevorzugt den Ausdruck «nicht gläubig». Am 13. Mai 2011, nach der Vorstellung seines Films «Habemus Papam», während des Treffens mit der Presse, erklärte er: «ich bin nicht gläubig und es tut mir leid»“
"non sono credente e mi dispiace“ ist ein Wortspiel, wegen der „falschen“ Wortstellung:
Normal wäre: „Mi dispiace, ma non sono credente“, im Sinne von:
„Tut mir leid (, dass ich Sie enttäuschen muss), aber ich bin nicht gläubig.“
Moretti sagt aber: "non sono credente e mi dispiace“
„Ich bin nicht gläubig, und das tut mir (für mich) leid"
Günther Jagodzinski am Permanenter Link
@Kay Krause, sehr guter Einwand, bin ganz Ihrer Meinung. GOTT ist eigentlich eine Geldmaschinen Erfindung. Früher konnte man sich von Sünde freiKAUFEN, wenn man Christ ist.
Weder Politiker noch der Ethikrat mit seiner religiösen GrundEinstellung, hat über den Freitod Wunsch eines mündigen Bürgers zu entscheiden, und die Religionen erst Recht NICHT.
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Günther Jagodzinski
"Erst mit 34 Jahren bin ich zum Buddhismus gewechselt, was eine Lehre darstellt, und KEINE Religion."
Welche Form von "Buddhismus" soll das sein? So aggressiv wie Sie schreiben ... das geht mit "Buddhismus" gar nicht.
Dietmar W.P. Heuel am Permanenter Link
zu den Beiträgen der Herren Krause und Jagodzinski: ich war (auch) erzkatholisch erzogen worden.
Aus diesen Informationen und eigenen Erfahrungen - weiß ich, daß es ein unsterbliches Leben gibt, wenn auch nicht im Sinne der üblichen religiösen Lehren.
Der SUIZID wird in der Geisteswelt -trotz aller Freiheit von uns eingetrichterten Geboten und Verboten und Bestrafungen jeglicher Art- als den Prinzipien der kosmischen Welt- und damit jedes damit verbundenen Geisteswesens- nicht entsprechend bewertet. Der Grund ist vermutlich daß dabei von dem vor der Inkarnation verabredeten LEBENSPLAN ( getroffen von den beteiligten Geistwesen einer "Seelenfamilie") abgewichen wird. Der sozusagen irdische Teil des Menschen beschließt eigenmächtig -was das Gesetz der Freiheit des Erdenmenschen kategorisch erlaubt- das irdische Dasein zu beenden.
Obwohl die Gründe oftmals völlig nachvollziehbar und verständlich sind, bewirkt es- auch in der Geisteswelt- anormale und negative Folgen für den dort Ankommenden. Jedenfalls wird - nach allen mir bekannten Informationen-in der Regel eine intensive Regeneration und Integration des irritierten Geistwesens erforderlich.
Die Behauptung , der Suizid widerspreche nicht der Naturordnung- ist aus den vorgenannten Gründen für mich nicht grundelegend akzeptabel.
Ich weiß, daß diese Informationen für die vorherrschende materialistische völlig un-spirituelle Denkvorstellung "baren Unsinn " und "esoterisches Geschwafel" darstellen MÜSSEN.
Es ist auch nur für die Wenigen gedacht und sinnvoll, die sich der herrschenden massenhaften lebenslangen Gehirnwäsche und Denkverboten des materialistischen GLAUBENS (!) widersetzen können und wollen.Irgendwo muß die Vernunft ja ansetzen, um Änderungen im Denken anzuschiben.