Ist, was wir wahrnehmen, wirklich immer wahr?

Das kann doch nicht sein!

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Dr. Rainer Rosenzweig führt vor, wie leicht sich unser Gehirn täuschen lässt.

Bei dem Vortrag "Ist, was wir wahrnehmen, wirklich immer wahr?" von Dr. Rainer Rosenzweig hatten die Zuhörenden oft den Eindruck "Das kann nicht sein!". Und tatsächlich: Was nicht sein darf, ist auch nicht real. Wenigstens nicht für unser Gehirn.

Dicht gedrängt um den Laptop des Referenten sitzen die Zuhörenden im Hörsaal der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) und starren gebannt auf ein Video: Eine Maske dreht sich um die eigene Achse. Die Maske eines Gesichts – nach außen gewölbt, wie ein echtes Gesicht, entsprechend innen hohl. Sie dreht sich, und obwohl bei jeder Drehung dasselbe passiert, sind alle bei jeder Runde neu fasziniert: Die unnatürliche Wölbung nach innen können wir partout nicht erkennen. Man meint stattdessen, die Maske drehe sich in die andere Richtung. Das nach innen gewölbte Gesicht sieht dabei wieder ganz normal aus: nach außen gewölbt.

Weil für unser Gehirn nicht wahr ist, was nicht wahr sein darf, wird der Sinnesreiz gemäß unseren Erfahrungen passend gemacht: Ein nach innen gewölbtes Gesicht kennt unser Gehirn nicht. Das passende Licht, das keine verräterischen Schatten ins Innere des Gesichts wirft, hilft – die Wahrnehmungstäuschung ist perfekt. Nicht nur die Beleuchtung, auch der Kontext, hilft, solche Phänomene zu erzeugen. Denn unser Gehirn will, dass neue Eindrücke zu gewohnten Erfahrungen passen. Hier scheint die menschliche "Software" einen "Fehler" zu haben. In Wirklichkeit steckt dahinter ein raffinierter Mechanismus, der sich stets daran messen muss, ob er uns Überleben und Fortpflanzung erleichtert oder nicht.

Nicht nur der Seh-Sinn lässt sich täuschen: Dr. Rainer Rosenzweig hebt zwei Quader hoch: beide haben dieselbe Farbe, scheinen aus demselben Material. Aber sie sind nicht gleich: der kleine ist der deutlich schwerere. Einzeln angehoben wirkt er schwerer als beide zusammen – eine paradoxe Wahrnehmung! Die falsche Erwartung, einen deutlich leichteren, weil kleineren Klotz anzuheben, erzeugt die Illusion, der kleinere Klotz sei überschwer – sogar schwerer, als beide Klötze zusammen.

Aber auch schon vorher, bei der "Hardware", können wir einem Irrtum unterliegen: Unser Auge ist nicht perfekt. Es ist nur so gut, wie es evolutionär nötig war, um die Herausforderungen zu bewältigen, die der "Spezies Mensch" gestellt wurden. Auch Phänomene auf der Ebene der "Hardware", des Auges, lassen sich zeigen. Und so starrte das Publikum gebannt auf eine Trikolore. Rosenzweig entfernt anschließend alle Farben und zeigt nur noch einen weißen Hintergrund. Zu sehen sind dann jedoch die Gegenfarben der vorher ausgestellten Trikolore – ein physiologisches Nachbild. Die Netzhaut hatte sich an die lange Zeit gezeigten Farben gewöhnt und es brauchte eine Zeit der Rückgewöhnung, bis die Gegenfarben blasser wurden und zu sehen war, was tatsächlich da war: ein weißes Nichts.

Faszinierend. Genauso wie das: Strecken Sie Ihre Arme aus, ballen Sie eine Faust, spreizen Sie die Zeigefinger so ab, dass sie aufeinander zeigen. Bewegen Sie nun langsam Ihre Arme so, dass sich die Zeigefinger-Spitzen einander annähern. Nicht auf die Zeigefinger schauen! Sondern auf einen Punkt in möglichst weiter Ferne dahinter. Richtig ausgeführt müsste bei der Annäherung der Finger eine Art Würstchen zwischen Ihren Fingern schweben.

In der Evolution war es vor allem wichtig, Kontraste zu identifizieren. Das "schwebende Würstchen" ist eine Folge daraus, dass wir zwei Augen haben, die zwei leicht unterschiedliche Bilder liefern, die im Gehirn aber zu einem sinnvollen Wahrnehmungsergebnis zusammengesetzt werden müssen. Von diesen beiden Bildern setzt sich jeweils der Teil durch, der den höheren Kontrast bildet – also jeweils die Fingerspitze. Zusammengesetzt ergibt das eine Art "Würstchen" mit zwei Enden.

Aber ist das mehr als launige Unterhaltung, ein kurzweiliger Taschenspielertrick? Ja. Wenn wir uns klarmachen, dass unsere Wahrnehmung uns täuschen kann und wir verlässliche Erkenntnisse nur dann erhalten, wenn wir kluge Fragestellungen formuliert und geeignete Methoden zur Prüfung angewendet haben. Wenn wir uns bewusst werden, welche Mechanismen in unserem Gehirn ablaufen: Das Gehirn will Neues so verarbeiten, dass es in gewohnte Muster passt. Wir haben Annahmen über die Welt und verarbeiten alle Sinnesreize so, dass sie dazu passen. Wenn wir daraus lernen, nicht alles "blind" zu glauben, sondern mit geeigneten Methoden zu prüfen, dann ist das mehr als ein Taschenspielertrick.

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