Ökonomische Plaudereien

Pareto-Prinzip? Im Prinzip ja...

BERLIN. (hpd) Vom Pareto-Prinzip haben viele schon gehört. 80 Prozent der Arbeit erledigt man in 20 Prozent der Zeit. Beim Rest ist es umgekehrt. So etwa kennt man es. Aber stimmt das so?

Zunächst einmal sind es meist eben nicht 80 Prozent der Arbeit, die man in 20 Prozent der Zeit erledigt, sondern nur 20 Prozent, wenn man die Zeit als Maßstab für die Arbeit nimmt. Mit einem anderen Maßstab kann man sich das aber zurechtbiegen. Nimmt man die Länge seiner To-Do-List, könnte es schon eher hinkommen. Die meisten Punkte sind halt schnell gemacht. Ein paar dickere Brocken bleiben übrig. Die kosten dann den Rest der Zeit - des Projekts, des Arbeitstages, des Urlaubs. Das weist zunächst einmal darauf hin, dass die Notizen auf der Liste nicht gleichwertig sind. Die Menge Arbeit, die einer Zeile entspricht, ist also nicht konstant. Aber bevor Spitzfindigkeiten dieser Art zu sehr langweilen: Hat dieser Pareto das wirklich gemeint?

Vilfredo Pareto und sein Prinzip

Vilfredo Pareto (1848–1923) wurde in Paris geboren. Seine Eltern, der Vater Italiener und die Mutter Französin, nannten ihren Sohn aus Begeisterung für die Deutsche Revolution in diesem an revolutionären Aktivitäten reichen Jahr Fritz Wilfried. Als sie 1858 nach Italien gingen, wurde daraus Vilfredo Federico. Er erhielt eine solide Ausbildung zum Ingenieur und wurde mit seiner Arbeit zu Prinzipien des Gleichgewichts in Festkörpern promoviert. Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Bauingenieur und später als Manager.

Die professionelle Auseinanderseztzung mit wirtschaftswissenschaftlichen Fragen begann spät. Pareto wurde 1886 in Florenz Dozent. 1893 ging er als Professor für Ökonomie an die Universität Lausanne, wo er bis zu seinem Tode blieb. 1906 machte er die Beobachtung, dass in Italien 20 Prozent der Bevölkerung 80 Prozent der Vermögen besaßen. Dies wurde 1941 von J. M. Juran (1904–2008!) als "80–20-Regel" bzw. "Pareto-Prinzip" verallgemeinert.

Abgesehen davon fiel Pareto durch seine marktliberalen Ansichten auf. Diese, seine politischen Aktivitäten und die Veränderungen in seinem Privatleben, brachten ihn dazu, den Job in Florenz aufzugeben und in die Schweiz zu gehen. Daneben befaßte er sich mit soziologischen Fragen und entwickelte die Ansicht, Eliten wären Dreh- und Angelpunkt gesellschaftlicher Entwicklungen. Große Gruppen - "das Volk" - spielten danach keine Rolle. Statt dessen sah er in der Gesellschaft einen Kreislauf der Eliten, worin in der einen oder andere Weise herausragende Personen einander ablösten und die Erscheinung “Elite” dabei konstant blieb. Leicht vorstellbar ist, welchen Einfluß diese Elitentheorie auf eine Person wie Mussolini gehabt haben mag, den Pareto in der Schweiz kennenlernte.

Ökonomisch war Pareto ein Vertreter der Grenznutzenschule. Darin hängt der Wert einer Sache von der subjektiven Einschätzung durch ein Individuum und der Seltenheit der Sache ab. Diese schwammige Grundlage hat seit dem Ende des 19.Jh. viele mathematische Bearbeitungen erfahren, die zuweilen recht anspruchsvoll sind und manchem Studenten leicht den Blick auf die dürftige und unbefriedigende Grundlage verstellen können.

Aber Pareto fand heraus, dass der Reichtum in einer Gesellschaft nicht etwa einer Normalverteilung folgt sondern rechtsschief ist. Untersucht man etwa die Körpergröße von Erwachsenen in einer Stadt, wird man in gewisser Näherung herausfinden, dass die meisten Leute etwa die Durchschnittsgröße haben bzw. nur wenig größer oder kleiner sind. Gleichzeitig sind nur relativ wenige Menschen sehr viel größer oder sehr viel kleiner als der Durchschnitt. Außerdem gibt es etwa gleich viele sehr kleine wie sehr große Menschen. Mit dem Reichtum ist das anders. Da gibt es viel mehr Menschen, die weniger haben als der Durchschnittswert angibt und nur wenige, die deutlich darüber liegen. Hier hat Pareto mit seiner Untersuchung der Verteilung die mathematische Untermauerung für die "80–20-Regel" geliefert, die dasselbe stark vergröbert andeutet.[1] [2]

Das Pareto-Prinzip im Alltag

Die "80–20-Regel" oder das "Pareto-Prinzip" ist aber so schön griffig, dass es jeder leicht für seinen eigenen Lebensbereich umformen kann. Die Alltagserfahrungen geben eine Menge zu dem Thema her. Manches davon offenbart interessante Beobachtungen. Anderes ist allenfalls augenzwinkernd gemeint.

Manchmal wird aus 80–20 auch 90–10, was aber oft nur eine rhetorische Zuspitzung darstellt. Programmierer kennen das: Die geforderten Grundfunktionen einer Software sind oft schnell gemacht. Die für eine sichere Funktion notwendigen Fehlerbehandlungen hingegen benötigen oft endlos Zeit. Und wenn es das nicht ist, dann sind es irgendwelche Schnittstellen, Austauschformate, Kompatibilitäten zu Hinz und Kunz oder etwas anderes, was in der Wahrnehmung des Programmierers manchmal eher Schnickschnack ist - nicht jedoch aus dem Blickwinkel des Auftraggebers. Da kann rasch der Eindruck entstehen, dass die Sache "eigentlich" in 10 Prozent der Zeit erledigt sei und man dann noch 90 Prozent der Projektzeit mit allerlei Kleinkram verbringe.

Verkäufer machen ähnliche Erfahrungen: Manchmal macht man mit 20 Prozent der Kunden 80 Prozent des Umsatzes.

Auch mancher Berater macht vielleicht ein Konzept für seinen Klienten mit Pareto plausibel, wenn er diesen vor Übertreibungen zu bewahren sucht. Beispiel: Mit 20 Prozent des bisherigen Aufwandes ist die Arbeit gut gemacht. Um sie "perfekt" zu machen, was immer das sein mag, sind die anderen 80 Prozent Aufwand erforderlich - oft vielleicht sinnlos. Da kann man ansetzen - beim Coaching, beim Projekt- oder Zeitmanagement, bei der Planung usw.

Beim Flirten verhält es sich ähnlich. Nur verbietet manchen die Eitelkeit, da von 90–10 oder 80–20 zu sprechen. Höchstens 50–50, meistens besser. Na sicher doch.

Der Haken bei diesen mehr oder weniger verfälschten Adaptionen des Paretoprinzips ist aber das, was man auch aus Murphys Gesetzen [3] kennt: "Das Gesuchte liegt am letzten Platz, an dem man sucht. Eine Umkehrung ist nicht möglich." Das ist wohl richtig, es hilft aber nicht wirklich weiter und ist deshalb kaum mehr als ein Scherz. Entsprechend ist es beim Verkaufen, Goldwaschen oder Flirten. Die 80 Prozent sind einfach nötig, um an die 20 Prozent zu kommen.


  1. Wikipedia, ital., en., de: "Vilfredo Pareto"; de: Jospeh M. Juran  ↩

  2. Meyers Universallexikon, 1979  ↩

  3. Murphys Gesetze http://www.murphyslaws.net/german.htm  ↩