Rezension

Karl, der durchgestrichne Große

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BERLIN. (hpd) Der Strich durch den Namenszusatz “der Große” auf dem Buchdeckel deutet es bereits an: Der Historiker Rolf Bergmeier sieht Karl vermutlich nicht als einen "Großen". Das scheint im ersten Moment nichts zu sein, was einem den Schlaf rauben muß. Karl ist mehr als 1200 Jahre tot. Warum war es dem Autor die Mühe eines Buches wert, sich mit der Frage nach seiner Größe zu befassen?

Viele werden "Große" genannt, ohne dass man das heute allzu ernst nimmt. Man denke nur an Alexander. Dieser Große hat so viele Alexandrias gegründet oder dazu benannt, dass es fast nicht zu vermeiden war, dass aus irgendeinem dieser Orte etwas wird und dieser dadurch lobend auf ihn verweist. Aber jenem jungen Mann aus Makedonien, der auf seinem Egotrip raubend und mordend bis nach Indien zog, das kulturelle Schwergewicht, zu dem das Alexandria in Ägypten später wurde, als Verdienst zuzuordnen, wäre vielleicht ein wenig übermütig. Das scheint klar. Aber was ist mit Karl? Karl der Große (ca. 747-814) war König des Frankenreichs und ab 800 Kaiser. Es werden ihm allerlei Verdienste zugeschrieben, weshalb er mit jenem Beinamen erwähnt wird. Rolf Bergmeier widmet sich der Frage, ob diese Zuschreibungen und damit manche moderne Bezugnahmen auf Karl zutreffen.

Man könnte an dieser Stelle ein Buch erwarten, in dem neben der durch den Titel vorweggenommenen These einleitend der Gegenstand der Untersuchung näher gefaßt wird und sodann der Stand der Forschung Erwähnung findet. Dann könnte der Autor seine Methode darstellen, die Quellenlage erörtern und dann das Ziel seiner Mühen formulieren. Danach könnte ein entsprechender Text folgen, der dem Anliegen gerecht wird. Rolf Bergmeier ging die Sache anders an. Er beginnt mit einem Urteil: "Sakrosankten Texten ist niemals zu trauen". Dann folgen Vorwürfe an die Adresse von "Nachkriegshistorikern und Publizisten", die schnell den Eindruck entstehen lassen, es handele sich um einen Rundumschlag.

Cover

Große Teile seines Buches widmet Rolf Bergmeier nicht Karl, sondern der Kirche. Dies geschieht auf eine über lange Strecken ermüdend polemische Weise. Eine Vielzahl von manchmal undifferenzierten, zuweilen sogar absurd wirkenden Behauptungen, Schwärmereien über "die Antike" und die arabisch geprägte Kultur sowie inhaltlich unzutreffende Bezüge machen das Lesen mühsam. Man kann den Eindruck gewinnen, dass der Autor vielleicht ein wenig zu sehr durch eine auch emotionale Abneigung gegen die katholische Kirche getrieben erscheint. Träfe dies zu, so mag man vielleicht auch zustimmen, dass ein "Feindbild Kirche" die nüchterne Wahrnehmung und sachliche Auseinandersetzung nicht besonders fördert. Daneben scheint auch manches historisch nicht ganz stimmig zu sein.

Beispielsweise wurde Bagdad, anders als der Text an vielen Stellen zu suggerieren scheint, erst gegründet, als Karl bereits ein Teenager war. Und das später dort geschaffene "Haus der Weisheit" mit seinen wenigen Lehrern war vielleicht eher ein Übersetzungsbüro mit erfreulicher Bedeutung als ein Hort der Wissenschaft. Der "scientific impact" der arabischen Welt des 8. und 9. Jahrhunderts scheint vergleichsweise überschaubar. So bleibt Rolf Bergmeier dem Leser denn auch Beispiele für originäre wissenschaftliche Leistungen aus jener Quelle schuldig.

Man kann sich bei der Vielzahl fragwürdiger Thesen, angesichts mancher Verwechslungen und Widersprüche, wie sie das Schreiben zuweilen mit sich bringt und etlicher Wiederholungen im Text fragen, ob der Verlag diesem Buch mit einer effektiveren Lektoratsarbeit nicht dienlicher gewesen wäre. So ist das Buch für den Rezensenten enttäuschend.

Wirklich überzeugend wirkt Rolf Bergmeier im Hauptteil seines Buches nicht. Anders ist da ein am Ende des Buches und nur als Anlage aufgeführter Text über den Karlspreis. Hier scheint die Polemik zu passen. Hier wettert Rolf Bergmeier und erinnert dabei am Ende sogar ein klein wenig an Stéphane Hessel in seinem "Empört euch!".

Rolf Bergmeier, "Karl der Große, Die Korrektur eines Mythos", Tectum Verlag Marburg 2016, ISBN 978-3-8288-3661-7, 19,95 Euro