Ökonomische Plaudereien

Ohne Egoismus keine Wirtschaft? Ohne Kooperation auch nicht.

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BERLIN. (hpd) Wer ist erfolgreicher - der Egoist oder der Teamplayer? Vielleicht hat die Frage gar keine Antwort oder die Antwort hilft nicht weiter. Es kann auch sein, dass es nicht um ein "entweder - oder" geht sondern um die Strategie dafür, wann man besser zusammenarbeitet und wann man es läßt.

Die extremen Positionen aus der Überschrift sind leicht zu behandeln. Jemand, der seinen unmittelbaren Vorteil stets und unter allen Umständen über alle anderen Optionen stellt, wird damit nicht weit kommen - von "Erfolg" gar nicht zu reden. Es würde bedeuten, dass man bei keiner Interaktion mit anderen Menschen kooperiert.

"Solche Leute kenne ich", mag mancher vielleicht denken und gewiß gibt es Zeitgenossen, die in dieser Hinsicht etwas anstrengender sind als andere. Mancher meint eben, sich grundsätzlich vorn anstellen zu müssen. Aber wie oft kann man morgens zu einem Bäcker gehen und mit einer Tüte Brötchen und ohne zu bezahlen verschwinden? Man mag einwenden, dass so etwas nicht wirklich vorteilhaft wäre.

Das ist nicht richtig, denn kurzfristig bzw. "unmittelbar" wäre es ein Vorteil, mit der Brötchentüte davonzukommen. Ob einen der Ärger vielleicht binnen weniger Augenblicke einholt, steht auf einem anderen Blatt. Hier geht es zunächst um die Extremposition: nie kooperieren, stets den unmittelbaren Vorteil anstreben. Sofort wird klar, dass die Egoistenposition schon durch den Zeithorizont in Frage gestellt wird, vor dem eine Entscheidung getroffen wird. Denkt man ein Stückchen weiter, erscheint es nicht besonders nützlich, den Bäcker um drei Euro sechzig zu prellen. Hier beginnt der Egoist bereits zu kooperieren.

"Mittelfristig" ist es einfach besser, beim Bäcker zu bezahlen. Umgekehrt ist auch nachzuvollziehen, dass jemand, der die entgegengesetzte Haltung pflegt, nur selten sein Frühstück bekommt. Er müßte stets die später hinzugekommen Kunden bitten, in der Schlange beim Bäcker vor ihn zu treten.

Die Extrempositionen scheinen also praktisch nicht besonders nützlich zu sein. Gangbare Wege liegen irgendwo dazwischen. Gewöhnlich erlernt man die Grundzüge einer vorteilhaften Koopperationsstrategie und damit für einen solchen Weg bereits in der Kindheit. Nicht zuletzt deshalb kommen viele Menschen im Hinblick auf diese Frage ganz gut durch den Alltag. In einem solchen Alltag, jenseits wirtschaftlicher Entscheidungen, spielt es auch keine Rolle, ob man ein wenig netter ist als seine Mitmenschen oder halt das Gegenteil. Aber wie ist das im Geschäftsleben? Viel ist gedacht, experimentiert und geschrieben worden, um die Frage nach Kooperation und Egoismus in der Wirtschaft zu untersuchen.

Dafür kann man die realen Vorgänge beobachten und versuchen, darin jene Muster zu finden, die die Fragen beantworten. Man kann aber auch von der anderen Seite kommen und Experimente durchführen, die demselben Zweck dienen. Im ersten Fall läuft man leicht Gefahr, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen. Das Leben ist so vielfältig, dass es bei den Beobachtungen größte Mühe bereiten kann, die Spreu vom Weizen zu trennen. Der andere Weg hat den Vorteil, dass man durch den Versuchsaufbau die Dinge ganz gut in der Hand hat. Man legt selbst fest, wie die "Laborwelt" funktioniert. Allerdings muß man im Auge behalten, dass man das Modell nicht mit der Realität verwechseln darf und Deutungen und Schlußfolgerungen auf seiner Grundlage mit großer Umsicht zu machen sind. Oder mit Murphys Regel: "Versuch nicht, die Speisekarte zu essen"[1].

Die vertauschten Fahrradschlüssel

Durch einen Zufall haben Anna und Bernd jeweils den Schlüssel für das Fahrradschloß des anderen. Die Fahrräder sind angeschlossen. Beide kennen die Standorte beider Räder. Sie vereinbaren einen Übergabezeitpunkt der Schlüssel in zwei toten Briefkästen. Anna und Bernd wissen sonst nichts voneinander, können daran nichts ändern und haben keine Konsequenzen aus ihrem Handeln zu erwarten. Sie mögen sich auch nicht einfach treffen und die Schlüssel austauschen, denn dann hätten wir dieses Spiel nicht. Anna und Bernd haben nun die Möglichkeit zu kooperieren. Das bedeutet, sie machen, was sie vereinbart haben und überlassen dem anderen dessen Schlüssel. Sie können aber auch die Kooperation verweigern. Sie legen dem anderen also den Schlüssel nicht in dessen toten Briefkasten und schauen dann, ob der andere ihnen etwas hinterlegt hat. Das führt zu drei Fällen:

  • Wenn beide kooperieren, bekommt jeder sein Fahrrad zurück.
  • Wenn keiner kooperiert, bekommt niemand sein Fahrrad zurück und hat nur das des anderen.
  • Wenn nur einer kooperiert, hat der andere beide Fahrräder.

Diese Versuchsanordnung gibt es vielen Varianten[2] [3]. Dabei variiert nicht nur der Gegenstand der Bemühungen sondern auch die Details der Rahmenbedingungen.

Robert Axelrod verwendet in seinem Buch "Die Evolution der Kooperation" das Wort "defektieren" für das "Nicht-Kooperieren". Das könnte ein erfreulicher Hinweis darauf sein, dass wir wohl ein Wort für den positiven Aspekt der Sache haben, aber kein gleichermaßen geeignet scheinendes Wort für das Gegenteil. Um nun etwas über Erfolg und Misserfolg verschiedenen Handelns zu lernen, kann man das Spiel mehrfach wiederholen, auch mit mehreren Teilnehmern und entsprechend wechselnden Partnern. Dabei wird unterstellt, die Spieler erinnerten sich an vorangegangene Spielrunden.

Was sollten sie tun, um langfristig erfolgreich zu sein? Gesucht ist eine Strategie, mit der man auf Dauer möglichst viele Punkte macht, viele Fahrräder bekommt oder möglichst oft das eigene wiederbekommt, möglichst wenig im Gefängnis sitzt (Gefangenendilemma) - je nachdem, wie das vielfach zu wiederholende Basisspiel formuliert wird. Axelrod hat ein Computerturnier durchgeführt, um diese Frage zu untersuchen. Das genannte Buch bietet, obgleich schon etwas angejahrt, einen interessanten Einstieg ins Thema.

Tit for Tat

Die Ergebnisse der Bemühungen, bei denen also etliche Programme bzw. Strategien aufeinandertrafen, sind vielfältig. Die Frage nach der besten Strategie wurde - für manche vielleicht überraschend - recht einfach beantwortet:

Wie du mir - so ich dir.
Fang mit einer Kooperation an und mach dann, was der andere zuvor gemacht hat.
Sei nicht nachtragend. (Behandle den anderen so, wie du behandelt werden willst)
Halt die Strategie einfach. (Komplizierte, nicht durchschaubare Strategien und zufälliges oder irrationales Verhalten können aus einer gewissen Distanz ziemlich ähnlich aussehen.)

Das scheint irgendwie vertraut und der Alltagserfahrung entnommen. Aber es macht wohl einen Unterschied, ob man das über den Daumen gepeilt oder von Oma gelernt hat oder ob es Ergebnis systematischer Untersuchungen ist. Als durchaus bemerkenswert darf dabei vielleicht auch gelten, dass sich diese Strategie ohne moralische Bezüge herausgeschält hat. Es geht nicht um Belohnung und Strafe oder gut und böse. Dementsprechend zeigt Axelrod in seinem Buch, dass sich Kooperationen auch dort herausbilden, wo man sie kaum erwarten mag - etwa in Kriegen zwischen feindlichen Parteien und auch bei einfachen Lebewesen, die keinerlei moralischer Erwägungen verdächtig sind.

Da in der Wirtschaft gleichfalls Menschen miteinander umgehen und nicht die Zahlenwerke, die ihnen zur Verfügung stehen, funktioniert das Rezept, das Axelrod fand, auch dort. Eigentlich ist es eine Form von "fair play", die sich da als besonders erfolgreich zeigt. Jenseits der Experimente unter Laborbedingungen gibt es im "richtigen Leben" selbstverständlich auch für das "fair play" gewisse Grauzonen.

Auf dem Fußballplatz - für viele Menschen harter Wirtschaftsalltag - geht manchmal etwas als "gerade noch zulässig" durch, was dem Buchstaben der Regel eigentlich zuwiderläuft. Anderes beurteilt der Schiedsrichter vielleicht als "gelbwürdig", was so in keinem Regelwerk steht.

Auch in etwas gewöhnlicheren Bereichen der Wirtschaft kann man manches ein wenig dehnen. Beispielsweise wird es oft akzeptiert, wenn man 2% Skonto berechnet, sofern man seine Lieferanten dafür aber zuverlässig binnen 3 Tagen bezahlt. Wollte man hingegen 5% einbehalten, wäre die Konvention damit wohl überstrapaziert.

Mancher kennt auch die Angebote von Bauern an der Landstraße. Da sind die Äpfel, Kartoffeln, Eier oder was gerade ansteht und es gibt eine Kasse des Vertrauens. Man nimmt sich, was man braucht und steckt in die Büchse, was als Preis genannt wird. Es funktioniert, weil mehr Menschen kooperieren als defektieren. Man könnte auch sagen, es bewährt sich, einander mit einem gewissen Vertrauensvorschuß zu begegnen. Oder wie man es auch unter hanseatischen Geschäftsleuten noch heute hört, die Verträge per Handschlag abschließen: "Bei Leuten,denen man trauen kann, braucht man keinen Vertrag. Bei Leuten, denen man nicht trauen kann, hilft ein Vertrag auch nicht."


  1. Murphys Gesetze http://www.murphyslaws.net/german.htm  ↩

  2. Axelrod, R., Die Evolution der Kooperation, ISBN 978–3486539967, 2005  ↩

  3. Wikipedia, de: "Gefangenendilemma", "Robert Axelrod", "Die Evolution der Kooperation", "Vertragstheorie", "Tit for Tat"  ↩