Werden Konfessionsfreie in Berlin benachteiligt? (2)

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Das Rote Rathaus zu Berlin
Das Rote Rathaus zu Berlin

BERLIN. (hpd) Das Grundgesetz und die Berliner Landesverfassung ordnen an, dass Religionen und Weltanschauungen und religiöse und weltanschaulich gebundene Menschen gleich zu behandeln sind. Da auch die negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit geschützt ist, sind auch Menschen, die keine Religion oder keine weltanschauliche Überzeugung haben, gleich zu behandeln. Niemand darf benachteiligt werden, weil er anstatt religiös weltanschaulich orientiert ist oder auch weil er keine religiöse oder philosophische Überzeugung hat.

Selbst in Berlin mit seiner hohen Zahl an nichtreligiösen Menschen und seiner relativ guten Stellung der Weltanschauungsgemeinschaften werden die Kirchen immer noch privilegiert und die weltanschaulich Gebundenen und Konfessionsfreien benachteiligt.

Dies zeigt sich zum Beispiel am Umfang der finanziellen Förderung, die die Kirchen erhalten (vgl. den Überblick bei Frerk, Violettbuch Kirchenfinanzen, 2010). Während die Zahl der Kirchenmitglieder und die soziale Bedeutung der Kirchen seit Jahren abnimmt, bleiben die finanziellen Zuschüsse konstant. Damit werden die Kirchen inzwischen weit überproportional finanziell gefördert. Dies zeigt sich über die feste Förderung hinaus auch immer wieder an Einzelfällen. So fördert das Land Berlin den evangelischen Kirchentag 2017 mit einem Zuschuss von 8,4 Millionen – eine Summe, die in keinem Verhältnis zur Bedeutung der evangelischen Kirche in Berlin steht. Nur noch 18,7 % der Berliner waren 2010 evangelisch. Die Zahl dürfte bis heute weiter gesunken sein.

Auf der anderen Seite werden den Weltanschauungsgemeinschaften Rechte versagt, die den Religionen gewährt werden. Dem Humanistische Verband Berlin wurde in den 90er Jahren die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts durch das Land Berlin verweigert, obwohl in Berlin 55 Religionsgemeinschaften den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts haben, darunter so marginale Religionsgemeinschaften wie die »Christliche Wissenschaft«. Ein 2014 neu gestellter Antrag ist nach über anderthalb Jahren immer noch nicht beschieden worden.

Im Land Berlin gibt es eine Verordnung über die Möglichkeit, von der Schulpflicht befreit zu werden (AV Schulpflicht Bln). Diese Verordnung sieht für religiös gebundene Schüler die generelle Befreiung vom Unterricht an einer Vielzahl von religiösen Feiertagen vor. Nachdem schulfrei für Humanisten zunächst überhaupt nicht vorgesehen war, ist als Ergebnis einer Klage nunmehr eine Regelung in die AV Schulpflicht aufgenommen worden, nach der Humanisten am Welthumanistentag auf Antrag Schulfrei erhalten können. Auch darin liegt immer noch eine Benachteiligung der Humanisten gegenüber religiösen Schülern, die keinen Antrag stellen müssen, um an ihren Feiertagen Schulfrei zu haben.

Auch an den Hochschulen sind die Religionsgemeinschaften privilegiert. Es gibt in Berlin an der Humboldt-Universität und an der Freien Universität theologische Fakultäten für katholische und evangelische Theologie. An der Freien Universität gibt es ein Institut für Judaistik. Ein Islamlehrstuhl soll an einer Berliner Universität eingerichtet werden. Eine Institut für Humanistik gibt es nicht. Die Ausbildung der humanistischen Lebenskundelehrer z. B. erfolgt bislang lediglich im Rahmen eines Weiterbildungsangebotes.

In Berlin ist ein "Dialog der Religionen" institutionalisiert worden. Die Weltanschauungsgemeinschaften sind nicht hinzugezogen worden. Religionen und Weltanschauungen sind grundsätzlich dasselbe. Rechtlich ist Weltanschauung der Überbegriff. Religionen sind eine Sonderform von Weltanschauungen. Sofern es einen sozialen Bedarf für einen Dialog der unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen gibt, sind alle Gruppen zu einem solchen Dialog einzuladen. Die Weltanschauungsgemeinschaften können und müssen in einem solchen Dialog ihren Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben der unterschiedlich religiösen/weltanschaulichen Kulturen in Berlin leisten.

Stattdessen hat der Berliner Senat nun zu einem "Dialog der Weltanschauungen" gesondert eingeladen. Für einen solchen Dialog gibt es zum einen keinen Bedarf, da es keine Konfliktsituation zwischen den Weltanschauungen gibt, wie dies ansatzweise bei bestimmten Ausprägungen des Christentums, Judentums und Islams der Fall ist. Zum anderen ist nur der Humanistische Verband eine sozial relevante Weltanschauung in Berlin. Alle anderen Gruppen sind marginal. Daher gibt es gar keinen sinnvollen Gesprächsgegenstand für einen solchen Dialog. Es handelt sich um eine Alibiveranstaltung des Senats. Auch dadurch werden die Weltanschauungen diskriminiert, da sie nicht die Möglichkeit erhalten, an den sozial relevanten Dialogprozessen gleichberechtigt teilzunehmen.

Im Landesrundfunkrat Berlin-Brandenburg sitzen Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche. Die jüdische Gemeinde hat einen Sitz, den sie derzeit nicht wahrnimmt. Ein Vertreter des Humanistischen Verbandes ist nicht vorgesehen. Der Rundfunkrat wählt den Intendanten und bildet einen Programm- und Finanzausschuss. Er kann damit einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Programmgestaltung nehmen. Dass kein Vertreter einer Weltanschauungsgemeinschaft dort Mitglied ist, benachteiligt diese.

Die Kirchen haben darüber hinaus im öffentlichen Rundfunk feste Sendezeiten, in denen sie ihre Lehre verbreiten können. Sendezeiten für Weltanschauungsgemeinschaften gibt es nicht. Auch dadurch werden diese benachteiligt.

Diese überkommenen und nicht mehr zeitgemäßen Privilegien der Kirchen zu beseitigen und eine wirkliche Gleichstellung der Weltanschauungsgemeinschaften zu erreichen ist ein zäher politischer Prozess, der nicht selten auch den Gang zum Gericht fordert. Auch dies ist eine Benachteiligung. Kirchen bekommen Privilegien vom Staat gewährt, die weltanschaulich Gebundene erst erstreiten müssen. Dass es nur über eine Klage möglich war, den humanistischen Lebenskundeunterricht im Land Brandenburg durchzusetzen, war ein klassischer Fall für eine solche Diskriminierung.

Siehe auch "Werden Konfessionsfreie in Berlin benachteiligt? (1)"