Werden Konfessionsfreie in Berlin benachteiligt? (1)

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Das Rote Rathaus zu Berlin
Das Rote Rathaus zu Berlin

BERLIN. (hpd) Das Grundgesetz und die Berliner Landesverfassung ordnen an, dass Religionen und Weltanschauungen und religiöse und weltanschaulich gebundene Menschen gleich zu behandeln sind. Da auch die negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit geschützt ist, sind auch Menschen, die keine Religion oder keine weltanschauliche Überzeugung haben, gleich zu behandeln. Niemand darf benachteiligt werden, weil er anstatt religiös weltanschaulich orientiert ist oder auch weil er keine religiöse oder philosophische Überzeugung hat.

Im Bereich der Zivilgesellschaft finden wir weder in Berlin noch sonst in Deutschland eine Benachteiligung nicht religiöser Menschen. Das ist nicht in allen Ländern so. Menschen die nicht religiös sind oder explizit atheistische Einstellungen haben, werden in vielen Ländern diskriminiert, z. B. auch in den USA. Deutschland und auch der größte Teil Europas bildet hier aufgrund seiner langen säkularen Tradition eine erfreuliche Ausnahme.

Von dieser Ausnahme gibt es jedoch wiederum eine Ausnahme, die auch in Berlin vorzufinden ist, nämlich die Privilegierung der Kirchen im Arbeitsrecht. Die Kirchen haben in der Bundesrepublik von Anfang an Einfluss auf politische Prozesse genommen, um für ihre sozialen Einrichtungen im Arbeitsrecht eine privilegierte Stellung zu erlangen.

Das betrifft zum einen die Einstellung von Arbeitnehmern. Hier dürfen die Kirchen aufgrund der "Kirchenklausel" in § 9 des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes die Einstellung von der Kirchenmitgliedschaft des Bewerbers abhängig machen, auch wenn die Stelle mit der Verkündung der religiösen Lehre nichts zu tun hat. Dies hat 2014 das Landesarbeitsgericht Berlin für die Stelle einer Referentin im Arbeitsbereich Rassismuskonvention erneut bestätigt (Urteil v. 28.05.2014, Az. 4 Sa 157/14). Eine betriebliche Mitbestimmung gibt es in kirchlichen Einrichtung nicht, da das Betriebsverfassungsgesetz keine Anwendung findet (§ 118, Abs. 2 BetrVG; vgl. zur Entstehung dieser Ausnahme aufgrund intensiver Lobbyarbeit der Kirchen: Frerk, Kirchenrepublik Deutschland, 2015, S. 9ff.). Sofern doch Arbeitnehmer eingestellt werden, die keiner Kirche angehören, weil es an kirchlichen Bewerbern mangelt, haben diese keine Aufstiegschancen (vgl. Gekeler, Loyal dienen, 2013). Auch in kirchlichen Sozialeinrichtungen in Berlin werden daher weltanschaulich Gebundene und Konfessionsfreie benachteiligt. Müller hat in einer Studie für das Institut für Menschenrechte festgestellt, dass die Menschenrechte der Arbeitnehmer bei kirchlichen Einrichtungen nicht ausreichend geschützt sind.

Dies hat in Berlin allerdings nicht die Dimension wie in einigen anderen Regionen der Bundesrepublik. In Nordrhein-Westfalen, in Bayern und auch in Baden-Württemberg gibt es Regionen, in denen die Kirchen ein Quasimonopol haben. Fast alle Sozialeinrichtungen im Bereich der Jugendarbeit, der Gesundheit und Altenpflege und der Sozialarbeit haben dort kirchliche Träger. Ein Ausweichen auf andere Arbeitgeber ist dort kaum möglich. In Berlin ist die Lage aufgrund der vielfältigen Trägerlandschaft erfreulicherweise anders. Wer hier nicht bei einem kirchlichen Arbeitgeber arbeiten will, wird auch bei einem anderen Sozialträger eine Arbeit finden.

Das größte Diskriminierungsrisiko für weltanschaulich Gebundene und Konfessionsfreie liegt jedoch in Deutschland nicht im zivilgesellschaftlichen Bereich, sondern beim Staat und bei der Politik. Dies ist auch in Berlin so. Allerdings ist auch hier in Berlin die Lage für weltanschaulich Gebundene und Konfessionsfreie im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern besonders günstig. Dies liegt daran, dass die Zahl der religiös gebundenen Menschen in Berlin bundesweit den niedrigsten Stand hat. Nur noch rund 37 % der Berliner gehören einer Religionsgemeinschaft an. Zwangsläufig nehmen damit die Einflussmöglichkeiten der Kirchen auf die Politik ab.

Die Bundesrepublik Deutschland und auch der Stadtstaat Berlin sind nicht laizistisch. Es gibt keine strenge Trennung von Staat und Religions-/Weltanschauungsgemeinschaften. Religionen und Weltanschauungen werden als positiv und als für das Gemeinwesen nützlicher Teil der Gesellschaft verstanden und vom Staat – nicht zuletzt finanziell – gefördert. Es gibt an vielen Stellen eine enge Zusammenarbeit, z. B. bei der moralischen Erziehung der Kinder in der Schule, bei der Ausbildung von Theologen, im Bereich der Sozialarbeit und des Gesundheitswesens, beim Einzug der Kirchensteuer, im öffentlichen Rundfunk, bei der Seelsorge in Gefängnissen, bei Polizei und Bundeswehr.

Unabhängig von der Frage, ob diese Kooperation in jedem Einzelfall sinnvoll ist und an manchen Stellen nicht mehr Distanz zwischen den Religionen/Weltanschauungen und dem Staat angebracht wäre, gilt auch hier in jedem Fall, dass, solange es diese Kooperationen gibt, Religionen und Weltanschauungen gleich zu behandeln sind.

Dies ist aufgrund der historisch gewachsenen, traditionell starken und politiknahen Stellung der Kirchen nicht immer der Fall. Das Verhältnis zwischen den Religionen und den Weltanschauungen ist auch ein Konkurrenzverhältnis. Öffentliche Ressourcen, die einer bestimmten Religion oder Weltanschauung zufließen, stehen den anderen nicht zur Verfügung. Die Kirchen fürchten nicht zu Unrecht, dass sie in der heutigen Situation bei einem fairen Wettbewerb den kürzeren ziehen werden.

Was passiert, wenn ein fairer Wettbewerb ermöglicht wird, zeigt sich am Fall des humanistischen Lebenskundeunterrichts in Berlin. Seitdem er 1982 eingeführt wurde, steigen die Teilnehmerzahlen jährlich. 2015 lagen sie über 60.000. Damit unterrichtet der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg in den Grundschulen bis zur sechsten Klasse bereits mehr Kinder im Humanismus als es die evangelische Kirche in ihrer Konfession tut. Es ist absehbar, dass in den nächsten Jahren der HVD Berlin-Brandenburg der größte Anbieter eines konfessionellen Unterrichts an den Schulen in Berlin sein wird.

Die Säkularisierung der Zivilgesellschaft nimmt weiter zu, die Zahl der Kirchenmitglieder immer weiter ab. In dieser Situation versuchen die Kirchen, durch ihre guten politischen Kontakte ihre alten Privilegien zu bewahren. Die Kirchen betreiben eine intensive Lobbyarbeit. Sie unterhalten beim Bund und in allen Bundesländern kirchliche Büros. Auch für Berlin und Brandenburg gibt es kirchliche Büros, die sich darum bemühen, im Sinne der Kirchen Einfluss auf die Politik zu nehmen.

Gegen Lobbyarbeit ist in einer parlamentarischen Demokratie grundsätzlich nichts einzuwenden. Sie muss aber transparent erfolgen. Daran mangelt es wie so häufig bei Lobbyarbeit auch bei der Lobbyarbeit der Kirchen (vgl. Frerk, Kirchenrepublik Deutschland. Christlicher Lobbyismus).

Das Hauptargument der Kirchen, mit dem sie ihre andauernde bevorzugte Behandlung gegenüber den Weltanschauungen zu rechtfertigen suchen, ist, dass weltanschaulich Gebundene und Konfessionsfreie keine, zumindest keine richtige Moral hätten. Nur Religionen und insbesondere die Kirchen seien in der Lage, Werte und Moral zu begründen und zu vermitteln. So plakatierte in Berlin die kirchliche Kampagne gegen den staatlichen Ethikunterricht "Pro Reli" 2009 mit der Schlagzeile "Keine Moral ohne Gott!". Dies ist eine eindeutige Diskriminierung nichtreligiöser Menschen, die als moralisch defizitäre Subjekte diffamiert werden.

wird fortgesetzt